Bayern 70 Minuten lang blamiert

Von Florian Bogner / Daniel Börlein
Bayerns Franck Ribery (l.) im Zweikampf mit Gonzalo Castro und Stefan Kießling
© Getty

Bayer Leverkusen hat den FC Bayern München im DFB-Pokal mit 4:2 (0:0) niedergerungen und zum ersten Mal seit 2003 wieder das Halbfinale erreicht.

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In Düsseldorf waren die Gäste 20 Minuten vor Schluss einem Debakel nahe: Tranquillo Barnetta (54.), Arturo Vidal (61.) und Patrick Helmes (70.) hatten die groß aufspielende Bayer-Elf mit 3:0 in Führung geschossen.

Ein Doppelschlag von Lucio (72.) und Miroslav Klose (74.) brachte den bis dato total enttäuschenden Rekordpokalsieger noch einmal heran - in der turbulenten Schlussphase versagten aber Pech und Bayer-Keeper Rene Adler den Bayern den Ausgleich. Stefan Kießling besorgte mit dem Schlusspfiff die Entscheidung (90.+2).

Labbadia: "Haben hochverdient gewonnen"

"Wir sind enttäuscht und müssen uns jetzt auf die Bundesliga und die Champions League konzentrieren", meinte Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann.

"Wir haben heute aus der Ordnung heraus gespielt und trotzdem offensiv. Ich bin sehr zufrieden. Alles in allem haben wir das Spiel hochverdient gewonnen, auch wenn wir die Leistung richtig einschätzen werden", sagte ein glücklicher Bayer-Coach Bruno Labbadia.

Erster Sieg über Bayern seit 2004

Für Leverkusen war es der erste Sieg über München seit August 2004 (4:1) und im vierten Pokalduell der erste Erfolg überhaupt. Zudem stellte Leverkusen einen Vereinsrekord in Sachen Zuschauer auf.

Mit 50.500 Fans in der ausverkauften Düsseldorfer Arena übertraf die Werkself die alte Bestmarke vom 2. März 1988, als 41.000 Besucher das UEFA-Cup-Spiel von Bayer gegen den FC Barcelona (0:0) im Müngersdorfer Stadion in Köln verfolgten.

Für das Erreichen der Vorschlussrunde (21./22. April) fließen zudem rund 1,5 Millionen Euro an Prämien in die Bayer-Kassen.

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Bayern wie beim 0:0 in Bremen ohne die unpässlichen Lahm und Toni, dazu sitzt Schweinsteiger nur auf der Bank und Ottl spielt von Beginn an. Leverkusen muss ohne den verletzten Friedrich auskommen, für ihn verteidigt Sinkiewicz.

4.: Helmes schlenzt den Ball aus 18 Metern Richtung rechts oben. Rensing fliegt wunderbar und lenkt den Ball über die Latte.

17.: Vidal mit einem klasse Pass auf Helmes in den Strafraum. Der Bayer-Stürmer fackelt nicht lang und zieht aus der Drehung ab. Rensing mit dem Fuß noch dran.

22.: Barnetta läuft parallel zur Strafraumgrenze und zieht mit rechts ab - Zentimeter vorbei. Rensing fliegt, aber da wäre er nicht mehr rangekommen.

42.: Erste Bayern-Chance: Oddo flankt vom rechten Flügel, Altintop nimmt den Ball mit einer Drehung mit und schließt mit links ab. Adler ist unten.

54., 1:0, Barnetta: Borowski verliert den Ball leichtfertig gegen Sinkiewicz, der durchs ganze Mittelfeld spaziert und dann auf Barnetta passt. Der Schweizer zieht den Ball auf den rechten Fuß und schlenzt die Kugel aus 20 Metern rechts unten ins Tor.

61., 2:0, Vidal: Ecke von links. Augusto zieht die Kugel mit rechts an den Fünfer. Dort steht Vidal völlig unbedrängt und köpft aus fünf Metern ein, ohne dabei wirklich springen zu müssen.

66.: Ecke von Ribery. Klose kommt von hinten angerauscht und wuchtet den Ball mit Kopf aus fünf Metern Richtung Bayer-Tor. Adler reißt die Arme hoch und holt das Ding noch raus.

70., 3:0, Helmes: Katastrophaler Querpass von Schweinsteiger quer durch die eigene Hälfte. Oddo geht nicht entgegen, Kadlec dazwischen. Der Tscheche zieht den Ball halbhoch in den Fünfer, wo Helmes ihn über die Linie drückt.

72., 3:1, Lucio: Freistoß Oddo von rechts, auf den zweiten Pfosten gezogen. Adler verschätzt sich völlig. Von Lucios Rücken springt der Ball über die Linie.

74., 3:2, Klose: Podolski legt den Ball links raus auf Ribery, der chippt den Ball locker in die Mitte. Klose kommt frei zum Kopfball und nickt aus etwa sieben Metern ein.

82.: Podolski spielt Ribery im Strafraum frei, der zieht aus acht Metern mit links ab. Adler fährt den Fuß noch aus. Wieder starke Parade!

85.: Ze Roberto haut eine Kerze in den Bayer-Strafraum. Klose hält den Schlappen hin. Doch wieder ist Adler da.

90.+2, 4:2, Kießling: Demichelis köpft Charisteas an, der Grieche damit mit freiem Weg zum Tor. Charisteas legt quer auf Kießling, der Demichelis ins Leere laufen lässt und zur Entscheidung einnetzt.

So lief das Spiel: Leverkusen wie gewohnt angriffslustig, setzte die Bayern früh unter Druck und hatte auch die ersten Torchancen. Barnettas Einzelaktion (22.) hätte die Führung verdient gehabt, die pomadigen Gäste hatten die erste Torchance erst nach 42 Spielminuten.

Die Bayern begannen den zweiten Durchgang zielstrebiger, bekamen mit dem 0:1 aber prompt die Quittung für ihre gesteigerten Offensivbemühungen. Die anschließende Verunsicherung nutzte Vidal freistehend zum 2:0. Klinsmann brachte Schweinsteiger und Podolski. Damit nahm Bayern dann auch die Zügel in die Hand - und lief in den nächsten Konter (0:3). Als Bayern am Boden lag, leitete ein Fehler von Adler die Aufholjagd der Bayern ein. Mit viel Glück und einer Portion Adler retteten die Gastgeber den Sieg; Kießling nutzte einen Konter zur Entscheidung.

Der Star des Spiels: Renato Augusto. Der Brasilianer zog nicht nur aus dem rechten Mittelfeld hervorragend die Fäden, sondern wusste vor allem auch defensiv zu überzeugen. Augusto hinderte Ze Roberto fast gänzlich an Offensivaktionen und fand nebenbei noch die Zeit, Ribery desöfteren zu doppeln.

Die Gurke des Spiels: Tim Borowski. Sollte vom offensiven Mittelfeld aus mit in den Strafraum stechen und Klose entlasten, war aber de facto bis zu seiner Auswechslung (63.) unsichtbar. Der Ex-Bremer sah gegen Rolfes - ein direkter Konkurrent in Sachen Nationalmannschaft - keine Schnitte und verlor zudem vor dem 0:1 den entscheidenden Zweikampf im Mittelfeld. Der 28-Jährige darf so nie und nimmer auf einen Stammplatz hoffen, wenn alle fit sind.

Die Lehren des Spiels: Klinsmann setzte in Abwesenheit von Luca Toni erneut auf ein 4-5-1, beorderte Ribery diesmal aber auf den linken Flügel (statt ihm alle Freiheiten zu geben) und bot Borowski zentral auf.

Dieser Schachzug misslang völlig - Borowski war total überfordert, Ribery bekam links meist zwei Gegenspieler präsentiert und Klose rieb sich vorne gegen zwei Innenverteidiger auf. Die Bayern entwickelten so bis zur Schlussviertelstunde keinerlei Druck nach vorne; Adler blieb bis auf zwei Ausnahmen ungeprüft.

Frappierend: Trotz numerischer Unterlegenheit war das Bayer-Mittelfeld fast immer einen Schritt schneller und zog das Spiel gewohnt sicher auf - die Bayern liefen eigentlich nur hinterher. Bis zum 0:3 geriet das Bayern-Spiel zur Beinahe-Katastrophe, dann erst ging ein Ruck durch die Mannschaft, der beinahe mit dem 3:3 belohnt worden wäre.

Trotzdem: Bayerns Tanz auf drei Hochzeiten ist damit zu einem Drittel beendet - und die Kritiker von Jürgen Klinsmann haben 70 Minuten lang neue Nahrung erhalten. Dem wird sich auch der bislang so wohlwollend um Ruhe bittende FCB-Vorstand nicht erwehren können.

Leverkusen - Bayern: Daten und Fakten