Demonstration der Lässigkeit

Joachim Löw arbeitet seit 2004 für den DFB
© getty

Die WM 2014 wird auch zum Härtetest für Bundestrainer Joachim Löw. Sein Führungsstil und sein Coaching stehen unter besonderer Beobachtung. Kann Löw seine Prinzipien dem Erfolgsgedanken unterordnen? Der Bundestrainer gibt sich entspannt.

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Zerstreuung ist bei einem großen Turnier wichtig. Rauskommen, abschalten, mal etwas anderes sehen als die immer gleichen Gesichter. Knapp zwei Monate leben Spieler, Trainer und Betreuerstab im Maximalfall vor und während der WM zusammen.

Der DFB ist schon seit Jahren gut darin, seinen Spielern Möglichkeiten zum Ausgleich zu bieten. Vor dem Auftaktspiel gegen Portugal (Mo., 18 Uhr im LIVE-TICKER) sind die Angebote aber erst einmal beschränkt. Der Fokus ist auf das Spiel gerichtet, das Teambuilding steht im Vordergrund.

Der DFB nutzt hier gern die Expertise von erfolgreichen Akteuren aus anderen Sportarten oder Bereich der Gesellschaft. In der Vergangenheit sprachen Größen wie Michael Schumacher zum Team. Am Montag bestieg die Mannschaft gemeinsam mit dem südafrikanischen Extremsportler und selbsternannten Weltentdecker Mike Horn eine Segelyacht. Joachim Löw nannte ihn "so einen Abenteurer".

Teamwork, so die Botschaft, ist für Crew auf einem Boot ebenso unverzichtbar wie für eine Mannschaft bei einem Turnier. Horn sprach einige Minuten zum Team und sagte dabei diesen Satz: "Winning is not everything, it's the only thing."

Die Folgen von Warschau

Dieses Motto könnte auch für Bundestrainer Joachim Löw über der WM in Brasilien stehen. Seit dem Ausscheiden bei der EM 2012 gegen Italien hat sich die Wahrnehmung Löws in der Öffentlichkeit verändert.

Bis zu diesem Abend in Warschau genoss Löw den Ruf, dem deutschen Fußball einen modernen und in der Welt begeistert aufgenommenen Stil beigebracht zu haben. Doch durch seine zum Teil unverständlichen Personalentscheidungen und seine passive Art des Coachings ist er in die Kritik geraten.

Löw steht in Brasilien im Fokus. Sein Vertrag wurde zwar vor dem Turnier als Zeichen des Vertrauens bis zur EM 2016 verlängert. Aber nur wenige glauben, dass Löw auch nach der WM noch Trainer der Nationalmannschaft sein wird.

Der Titel wird erwartet

Nach drei Turnieren unter seiner Regie ohne Titel wird der WM-Pokal erwartet. Und sollte er Deutschland wirklich zum Triumph in Marcana führen, scheint das Ende seiner Amtszeit auf dem Höhepunkt unausweichlich.

Man kann Löw zugute halten, dass er dem deutschen Fußball wieder ein Gesicht gegeben hat, noch dazu ein attraktives. Auf der anderen Seite kann man natürlich auch die Frage stellen, ob er dabei nicht in erster Linie von der starken Arbeit in den Vereinen und den Nachwuchsleistungszentrum profitiert hat, sein Beitrag also überschaubar war.

Wie auch immer. Die personellen Voraussetzungen der Nationalmannschaft sind unabhängig von der aktuellen Verletzungsproblematik gut wie nie zuvor in der Geschichte. Löw muss jetzt zeigen, dass er mit seiner Philosophie und seinem Führungsstil auch Titel gewinnen kann.

Ist Löw ein Turniertrainer?

Selbst der Plan gegen Italien bei der EM 2012 mag auf dem Papier gut geklungen haben, aber Turniere verlangen ein hohes Maß an Flexibilität und Löw fand damals keine Antwort, er stand recht teilnahmslos an der Seitenlinie. Die Frage über allem lautet: Ist Löw ein Turniertrainer?

Ist er bereit, seine grundlegende Idee von Fußball und seine Vorstellung des Spiels im Vorfeld schnell der Realität anzupassen? "Nur wer schön spielt, holt den Titel", hat Löw vor einiger Zeit gesagt. Ist er bereit, dieses Credo auch mal mit einem brachialen Coaching über den Haufen zu werfen und schmutzige Siege mit taktischen oder personellen Maßnahmen zu erzwingen?

Harte Worte, wenig Taten

Im Laufe des letzten Jahres hat Löw seine Ansprache verändert. Er ist klarer, direkter geworden und hat sich in der Öffentlichkeit ein kantigeres Profil zugelegt. Noch ziemlich frisch sind seine klaren Ansagen vor dem Spiel gegen England in London und Weckruf an die Spieler im März in Stuttgart.

Mehrmals hat er klargemacht, dass er seinen Plan für die WM im Kopf habe und diesen auch kompromisslos durchziehen werde. Die Realität hat ihn auch hier überholt. Die vielen Verletzungen der Leistungsträger hat er akzeptiert und trotzdem in den Kader für das "Turnier der Extreme und Strapazen" nominiert. Auch daran wird er sich messen lassen müssen.

Der "Kicker" schrieb am Montag, dass selbst Hansi Flick und Oliver Bierhoff "der Unberechenbarkeit des Bundestrainers" gereizt seien. Der Bundestrainer "drohe allmählich die Bodenhaftung zu verlieren und in eine Parallelwelt abzugleiten".

Löw stärkt Ersatzspieler

Auf der Pressekonferenz am Donnerstag hat Löw ein paar ungewöhnliche Ansichten präsentiert. Wichtig sei es, nicht nur den Gegner, sondern auch die klimatischen Bedingungen und die frühen Anstoßzeiten zu besiegen. "Das fordert eine andere Sicht des Trainers", sagte der Bundestrainer.

Löw erklärte die Zeit der Stammspieler für beendet. Die entscheidende Rolle komme den Einwechselspielern zu, weil sie dem Team neue Energie zuführen müssten und die Spiele voraussichtlich am Ende entschieden würden. Dann sei es wichtig, Spieler mit Spezialfähigkeiten zu haben.

Ausgeglichen und zufrieden

Der Bundestrainer machte dabei einen auffällig gelösten Eindruck. Er kam im lässigen blauen T-Shirt des Ausrüsters mit V-Ausschnitt. Es passte zur Atmosphäre rund ums Campo Bahia. Er lachte demonstrativ viel, nahm sich der Pressekonferenz Zeit zur Begrüßung des ehemaligen Pressesprechers Harald Stenger und hinterher für Monika Lierhaus.

Die Schlagzeilen der letzten Wochen und der Druck schienen ihn nicht zu belasten. "Man sollte nicht schauen, was viele mögliche Bundestrainer sagen und schreiben. Davon muss man sich freimachen."

Er sei zufrieden und fühle sich "hervorragend und ausgeglichen." Dabei hilft dem Bundestrainer auch der morgendliche Strandlauf, den er schon um 6 Uhr hinter sich hat. "Das ist ein guter Auftakt in den Tag." Was Löw jetzt noch fehlt, ist ein guter Auftakt ins Turnier.

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