Sturm und Drang

Von Für SPOX in Eppan: Stefan Rommel
Sami Khedira (r.) und Mesut Özil (M.) sollen zentrale Figuren im deutschen Team werden
© Imago

Der WM-Kader basiert zu großen Teilen auf dem Prinzip "Jugend forscht". Immerhin ist der DFB wieder in der glücklichen Lage, genügend talentierte Spieler in seinen Reihen zu haben. Jetzt zehrt der Verband von den notwendigen Umstrukturierungen vergangener Tage.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Wie so oft musste vor dem Erfolg eine böse Niederlage stehen. Deutschland war bei der EM 2000 an den Rand der Bedeutungslosigkeit geschliddert. Das Vorrunden-Aus damals war die schlechteste Platzierung seit 16 Jahren.

Die Mannschaft verdiente ihren Namen nicht, Teamchef Erich Ribbeck hatte scheinbar wahllos eine Truppe zusammengestellt, ohne Konzept und strukturelle Ausrichtung. Dafür aber mit acht Spielern im Kader über 30 und einem beinahe 40-jährigen Lothar Matthäus als Libero.

Frankreich und Spanien lange weit voraus

28,5 Jahre betrug das Durchschnittsalter der Mannschaft, lediglich ein Spieler war jünger als 23 Jahre alt: Der 20-jährige Sebastian Deisler sollte mit der grenzenlosen Erfahrung von 37 Bundesligaspielen einer der wenigen Hoffnungsträger sein.

Das Unterfangen scheiterte dermaßen spektakulär, dass sich der deutsche Fußball-Bund doch zum Handeln gezwungen sah. Und zwar dort, wo der Grundstein gelegt wird für die Erfolge in der Profispitze: An der Basis, bei den Kindern und Jugendlichen.

Jahrzehntelang hatte es der Verband verpasst, seine nicht gerade wenigen Millionen in ein vernünftiges und vor allen Dingen nachhaltiges Jugendkonzept zu stecken. Zu schön, aber eben auch zu gefährlich war der Glanz der Erfolge, die die Nationalmannschaft in schöner Regelmäßigkeit trotzdem feierte.

Dass Nationen wie Frankreich oder Spanien dem DFB da schon Lichtjahre voraus waren, erkannten die Experten erst spät. Aber immerhin nicht zu spät. Zehn Jahre später profitiert die A-Nationalmannschaft nämlich so stark wie noch nie von ihrem Unterbau. Und der ist das Ergebnis jahrelanger kontinuierlicher Arbeit.

Sammer: "Noch sehr viel Luft nach oben"

"Wir freuen uns riesig, dass die Maßnahmen von 2000 jetzt greifen", sagte Teammanager Oliver Bierhoff auf der Pressekonferenz in Eppan beinahe beiläufig. Im Grunde ist diese Erkenntnis aber gar nicht oft genug zu würdigen.

Die Erfolge der U-Mannschaften in den letzten Jahren waren ein Indikator dafür, dass der Weg der richtige ist. Auch wenn er noch lange nicht zu Ende gegangen ist.

Matthias Sammer, seit 2007 als Sportdirektor hauptverantwortlich für die Nachwuchsförderung, wurde auch in den Stunden der Titelgewinne nicht müde zu betonen, dass "noch sehr viel Luft nach oben" sei.

"Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Wer jetzt denkt, wir seien bereits am Ende angekommen, hat nichts begriffen. Die Konzepte sind alle mittel- und langfristig angelegt", sagte Sammer damals.

Rückschläge für Sammer

Was das genau heißt, erleben die Junioren-Mannschaften des DFB gerade sehr schmerzhaft am eigenen Leib. Erneute Rückschläge bleiben nicht aus. Die U 19 hat die EM-Endrunde verpasst, die U 21 steht als Titelverteidiger in der Qualifikation ebenfalls kurz vor dem Aus.

Letztes Jahr gab es zudem die unsägliche Diskussion um die Abstellung der Spieler zur U-20-WM in Ägypten, als Sammer den Kürzeren zog, weil sich DFB, DFL und die betroffenen Klubs darauf geeinigt hatten, eine Abstellungspflicht zu umgehen.

Erfolge sind ein eindeutiger Gradmesser der geleisteten Arbeit, aber eben auch von flüchtiger Natur. Was wichtiger ist, sind die Strukturen im Hintergrund und deren Umsetzung in die tägliche Arbeit.

1200 Honorartrainer

"Der leistungsorientierte Juniorenfußball ist häufig auf zu kurzfristige Erfolge ausgerichtet. Perspektivisch angelegte Ziele geraten außer Sicht. Aber nur ein geduldiger, systematischer Ausbildungsprozess garantiert spätere fußballerische Spitzenleistungen", sagte Sammer schon bei seinem Amtsantritt.

Da hatte der DFB immerhin schon einige wichtige Reformen auf die Bahn gebracht. Vor acht Jahren führte der Verband 387 Stützpunkte ein, flächendeckend über die Republik verteilt, ein Jahr später die Junioren-Bundesliga.

Rund 17.000 Jugendliche bilden sich an den Stützpunkten unter fachmännischer Anleitung parallel zur Ausbildung in ihren jeweiligen Vereinen fort. Mehr als 1200 Honorartrainer sind dafür abgestellt, dazu kommen noch 29 hauptamtliche Stützpunktkoordinatoren.

Und wer sich nicht im dicht gespannten Netz verfängt, kann noch durch eine der Eliteschulen des Fußballs aufgefangen werden.

Zehn Millionen Euro pro Jahr

Über zehn Millionen Euro lässt sich der Verband dieses umfangreiche Engagement pro Jahr kosten. Die Lizenz-Klubs müssen zudem seit einigen Jahren ein Leistungszentrum für ihre Nachwuchsspieler zur Verfügung stellen. Der DFB gibt die Richtlinien vor, mit dem Credo der ganzheitlichen Talent- und Persönlichkeitsförderung.

Ohne die sehr gute Ausbildung stünde die Nationalmannschaft wenige Tage vor dem wichtigsten Sportereignis der Welt als dezimierte Einheit da, aufgefüllt mit Verlegenheitslösungen, wie es sie früher desöfteren gab.

Bierhoff: Mit jungen Spielern ist's einfacher

Das wiederum macht Bierhoff für die anstehenden Aufgaben doch zuversichtlich: "Die ganze Mannschaft hat ein enormes Potenzial und wir haben Vertrauen in das Team." Deren Integration verläuft bisher absolut reibungslos.

Und trotz der knapp bemessenen Zeit und bei nur noch zwei Testspielen vor der WM können sich die vielen jungen Spieler immerhin schon an einem Spielsystem orientieren, das sie von Kindesbeinen an gelernt haben. Ein enorm wichtiger Faktor.

"Die Mannschaft ist sehr jung und benötigt noch viel Unterstützung", weiß auch Bierhoff. Und dennoch kann der Teammanager der neuen Zusammensetzung seines Kaders noch einen weiteren positiven Aspekt abgewinnen. "Man kann sagen, dass es mit jungen Spielern einfacher ist, zu arbeiten. Das ist mit gestandenen Spielern schwieriger, die ihre Rollen für sich schon definieren."

WM-Rechner: Wie weit kommt das deutsche Team