Die moderne Wiese

Von Jochen Tittmar
Deutschland muss in Russland auf dem Kunstrasen des Luschniki-Stadions antreten
© Imago

Der 10. Oktober wird zum wichtigsten Tag des Jahres für den deutschen Fußball. Die Nationalmannschaft trifft dann im Luschniki-Stadion zu Moskau als Tabellenführer der Qualifikationsgruppe 4 auf den schärfsten Verfolger Russland. Für die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw geht es beim Knaller des Jahres um die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. SPOX hält Euch bis zum Showdown mit allen Details, Fakten und Geschichten rund um den Kampf der Giganten auf dem Laufenden - in der großen Serie "Endspiel in Moskau".

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Kunstrasen. Ein Wort, bei dem viele Fußballer die Augen verdrehen. Umgewöhnung, Verletzungsanfälligkeit, selbst Wettbewerbsverzerrung sind die Vorwürfe, die einem dabei zu Ohren kommen. Und das wohlgemerkt schon vor dem Anpfiff.

Am 10. Oktober um 17 Uhr wird in Moskau auch auf Kunstrasen angepfiffen. Für die deutsche Nationalmannschaft ist die Partie gegen Russland das Spiel der Spiele in diesem Jahr. Kehrt das DFB-Team ohne eine Niederlage im Gepäck heim, kann Bundestrainer Joachim Löw fast sicher für die WM 2010 planen.

Geheimtraining in Mainz

Problem: Im Luschniki-Stadion ist eben jener Kunstrasen verlegt. Eine für die meisten deutschen Nationalspieler fast gänzlich neue Erfahrung.

"Im Grunde genommen entsteht auf Kunstrasen ein komplett anderes Spiel. Die Bälle springen anders und es entwickeln sich ungewohnte Situationen", ist sich Jogi Löw der Umstellung bewusst, die auf sein DFB-Team zukommt.

Um dem vorzubeugen, wird die Nationalelf zwei Tage vor dem Match ein Geheimtraining unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Mainz absolvieren. Wieso Mainz?

Mainzer Rasen wie in Moskau

Ganz einfach: Dort gibt es einen Kunstrasen, der mit dem Geläuf aus Moskau "absolut identisch" ist, wie Heiner Dammel, Stadionverwalter am Mainzer Bruchweg, im Gespräch mit SPOX versichert.

"Es gibt verschiedene Kunstrasenplätze von verschiedenen Herstellern. Aber unserer ist der gleiche wie der, der in Moskau liegt", sagt Dammel.

Perfekte Bedingungen also für Löw, um mit seinem Team den Ernstfall zu simulieren und sich auf die veränderten Gegebenheiten einzustellen.

Doch was genau ändert sich überhaupt?

Geschwindigkeit erhöht sich

"Auf einem Kunstrasen springt der Ball eigentlich immer gleich hoch. Ob der Rasen nass oder trocken ist - da wird sich nichts verändern", sagt Andre Kastigen von der Firma Heiler, die den Kunstrasen in Mainz verlegt hat.

Dennoch ist es laut Alexander Zickler, der mit Red Bull Salzburg in Österreich alle Heimspiele auf Kunstrasen austrägt, eine Umstellung: "Wir haben im ersten Jahr auch etwas gebraucht, um uns daran zu gewöhnen", so der Ex-Bayern-Stürmer gegenüber SPOX.

Beispielsweise erhöht sich die Geschwindigkeit des Balles im Vergleich zum Spiel auf Naturrasen.

"Man muss im Passspiel genau sein. Wenn man zwei Meter daneben spielt, ist der Ball weg. Bei langen Bällen ist es genauso: Der Ball setzt auf und ist bei ungenauen Zuspielen verloren. Zudem ist das Spiel insgesamt nicht so aggressiv wie auf Naturrasen, da weniger gegrätscht wird", so Zicklers Erfahrungen.

Belastung individuell unterschiedlich

Er sieht für die Löw-Truppe allerdings keinen Nachteil, da der Kunstrasen vor allem technisch starken Mannschaften zugute kommt. "Ich denke, dass die Nationalspieler kein Problem haben werden, sich darauf zurecht zu finden. Das Training reicht auf jeden Fall, um sich an Geschwindigkeit und Abspringen des Balles zu gewöhnen."

Viele fürchten zudem die unterschiedliche Belastung für den Körper. Kastigen versichert zwar, dass die "Beanspruchung der Muskeln und Gelenke immer gleich" bleibt, weil eben an jeder Stelle der identische Belag ist.

Die folgenden unterschiedlichen Äußerungen von Zickler und Martin Stranzl, der mit Spartak Moskau jede zweite Woche im Luschniki-Stadion spielt, zeigen jedoch, dass die körperliche Beanspruchung individuell verschieden ist.

"Ich liebe den Kunstrasen"

"Man wird schneller müde, braucht etwas länger zur Regeneration. Das Ganze ist belastender als der Naturrasen", so Stranzls Meinung.

Zickler sieht das anders: "Alles, was ich mir auf Kunstrasen zuziehe, kann auch auf Naturrasen passieren. Die Regenerationszeit ist genau die gleiche. Der Kunstrasen, den wir aktuell im Stadion haben, kommt einem Naturrasen schon sehr, sehr nah."

Doch ist es nicht so, dass sich die Nationalelf das Training in Mainz schenken kann. Geübt werden muss trotzdem, damit die deutschen Akteure ein Feeling für das Unbekannte unter den Füßen bekommen.

Zickler weiß zudem um den ewig schlechten Ruf, den der Kunstrasen besitzt: "Das Problem ist der Kopf. Meist fängt man schon vorher an, nach Ausreden zu suchen. Wenn man Profi ist, muss man überall spielen können. Ich persönlich liebe den Kunstrasen."

Kunstrasen im Kommen

Ob nun beliebt oder unbeliebt - Kunstrasen ist ungebremst auf dem Vormarsch. Die Bedingungen der neuen, dritten Kunstrasengeneration haben sich denen auf Naturrasen angenähert. Auch deshalb - und wegen diverser anderer Vorteile (siehe erste Faktenbox oben) - werden bereits in zehn europäischen Ligen Meisterschaftsspiele darauf ausgetragen (siehe dritte Faktenbox oben).

Im Idealfall schaffen es Ballack und Co. also, sich rechtzeitig an das trotz allem immer noch recht seltene Geläuf zu gewöhnen. Was bislang zudem kaum thematisiert wird: Auch die hochkarätigen Legionäre im russischen Kader haben wenig Erfahrung auf Kunstrasen.

Zwar werden die Länderspiele immer in Moskau ausgetragen, doch auch sie spielen in ihren Ligen zumeist auf Naturrasen. Nur, damit man nicht jetzt schon beginnt, nach Ausreden zu suchen.

Die Ausgangslage in Quali-Gruppe 4