Angerannt und ausgebrannt

Von Marcus Blumberg
Weder John Terry (l.) noch Superstar Lionel Messi (M.) werden am Finale teilnehmen
© Getty

Sie sind angerannt und angerannt und sind hängen geblieben: Der FC Barcelona ist trotz 180 Minuten drückender Überlegenheit im Halbfinale der Champions League am FC Chelsea gescheitert - und steht nach Jahren überdimensionaler Titelgier mit leeren Händen da. In Frage gestellt kann Barcelona nicht, dafür waren sie wieder zu gut. Dennoch müssen Antworten her: Was waren die Gründe und viel wichtiger: Was wird aus Pep Guardiola?

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Die Champions League gibt es seit 1992/93. Noch nie hat es ein CL-Sieger geschafft, seinen Titel im darauffolgenden Jahr zu verteidigen. Auch dem FC Barcelona bleibt dieses Novum verwehrt.

Für Barca ist dieses Ausscheiden nicht nur ein Misserfolg, es bedeutet auch die erste Saison ohne großen Titel seit der Saison 2007/08. Zu gewinnen gibt es lediglich die Copa del Rey, doch die wäre in dieser Saison nicht einmal ein schwacher Trost.

Als vor fast vier Jahren letztmals in ähnlicher Situation war, musste Frank Rijkaard gehen. Auf ihn folgte schließlich Pep Guardiola, der bezeichnenderweise nun selbst seine Zukunft infrage stellt.

Guardiola stellt Zukunft infrage

"Ich werde in den nächsten Tagen mit dem Präsidenten besprechen, was für den Verein das Beste ist. Wir werden gemeinsam entscheiden, ob ich Barca-Coach bleiben soll oder nicht", so ein sichtlich enttäuschter Guardiola. Er zeigte sich jedoch als fairer Verlierer: "Wir haben alles getan, um ins Finale einzuziehen, aber ich muss Chelsea gratulieren."

Seine Mannschaft ist gegen Chelsea 180 Minuten angerannt und ist schließlich ausgebrannt ausgeschieden. Guardiola scheint es nicht anders zu ergehen und sucht Gründe, sich neu zu motivieren.

Für Barca und Guardiola ist es eine perplexe Situation, schließlich hat man fußballerisch auch in dieser Saison wieder weitestgehend brillant agiert. Einzig die Konstanz fehlte, was schon die Primera Division kostete.

Suche nach dem Schuldigen

Fragt man die Spieler, wer denn nun der Hauptschuldige am Ausscheiden gegen Chelsea sei, gibt sich einer ganz offen. Neuzugang Cesc Fabregas bekannte: "Ich bin der Hauptverantwortliche fürs Ausscheiden, weil ich meine Großchance im Hinspiel nicht genutzt habe." An der Stamford Bridge hatte er aus kurzer Distanz am leeren Tor vorbeigeschossen.

Aber nicht nur er wurde zur tragischen Figur dieses Halbfinals. Alle Welt schaute wie immer nur auf Lionel Messi. Gegen Chelsea traf er noch nie, auch dieses Mal nicht - trotz bester Chancen. Als es drauf ankam, versagten ihm die Nerven.

Als es früh in der zweiten Halbzeit Elfmeter für Barca gab, trat er wie immer an. Doch er traf nur die Querlatte. Später setzte er sich noch einmal gut in Szene nach einem seiner Dribblings und auch da traf er nur das Aluminium.

Vor dem Spiel kam die Frage auf, ob Barcelona zu sehr von Messi abhängig wäre. Angesichts dieser zwei Spiele und der fehlenden Tore des Argentiniers ist dies zumindest schwer zu verneinen.

Vielmehr hat es Barca aber nicht geschafft, den seit dem Weltpokal verletzten David Villa zu ersetzen. Barca entwickelte innerhalb einer Woche in drei Spielen gegen Hochkaräter wie Chelsea und Real drückende Überlegenheit, gewohnte 70 Prozent Ballbesitz, fand vorne aber keinen Durchschlag.

Einen wie Didier Drogba hätten sie gebrauchen können. Der Ivorer opferte sich in beiden Halbfinals förmlich auf.

Nicht schön, aber erfolgreich

Dabei kann man eine Abhängigkeit bei Chelsea von einem Einzelnen mitnichten ausmachen. Sie traten in beiden Partien mit großer mannschaftlicher Geschlossenheit auf und verteidigten mit allem, was sie hatten.

Der Fußballästhet mag sich grämen ob der fußballerischen Vernichtungstaktik des italienischen Interimscoachs Roberto Di Matteo. Matthias Sammer etwa ließ zur Pause bei "Sky" wissen: "Wenn Chelsea so weiterkommt, dann weiß ich auch nicht mehr..."

Di Matteo rechtfertigte indes seine Spielweise: "Wir spielen einen anderen Stil als Barca, aber unserer war an diesem Abend der bessere und das Ergebnis gibt uns recht." Er räumte ein: "Wir hatten auch etwas Glück, das braucht man gegen einen solchen Gegner", machte jedoch klar: "Aber wir waren auch sehr gut organisiert in der Defensive und somit denke ich nicht, dass das Resultat unfair ist."

Chelsea hat ähnlich wie Inter anno 2010 gezeigt, dass man mit gezielter und konzentrierter Verteidigung auch Barcelona aufhalten kann. Natürlich hatten die Blau-Roten wie immer deutlich mehr Ballbesitz - 72 Prozent - doch sie machten daraus viel zu wenig. Chelsea machte die Räume geschickt eng, ließ sich selten auf Eins-gegen-Eins-Duelle ein und zwang Barca so dazu, immer wieder quer zu spielen.

Personelle Probleme in der Defensive

Noch bedeutender erscheint die Leistung vor dem Hintergrund der personellen Situation, die sich den Blues schon früh bot. Zunächst musste Gary Cahill mit einer Muskelverletzung vom Platz. Für ihn kam Jose Bosingwa. Dann ging John Terry mit Rot und plötzlich waren beide Innenverteidiger aus der Partie mit einem Mann weniger.

Jedoch präsentierte man sich in beiden Spielen extrem kaltschnäuzig vor dem gegnerischen Tor. Im Hinspiel nutzte Drogba die einzige echte Torchance. Im Rückspiel gab es eigentlich auch nur zwei, beide waren drin und beide passierten nach Kontern.

Terry bringt sich um die Wiedergutmachung

Insgesamt werden den Blues im Finale vier Stammkräfte fehlen. Darunter Torschütze Ramires, der noch vor seinem Traumtor wusste, dass er am 19. Mai nicht dabei sein würde. Außerdem sahen Raul Meireles und Branislav Ivanovic Gelb und dürften schmerzlich vermisst werden.

Der größte Schlag jedoch ist der Verlust von Kapitän und Abwehrchef Terry! An der roten Karte gibt es freilich nichts zu deuteln. Sie war berechtigt. Terry nach dem Spiel: "Ich habe Alexis Sanchez nicht absichtlich getroffen", gab aber zu: "Ich habe die Zeitlupe gesehen und es sieht in der Tat schlecht aus."

Er entschuldigte sich umgehend bei Fans und Kollegen und gab zu verstehen: "Ich gehöre nicht zu der Art Spieler, die jemanden absichtlich verletzen. Ich habe mein Knie gehoben, was ich rückblickend nicht hätte tun sollen." Und er fuhr fort: "Ich habe das Gefühl, dass ich die Jungs im Stich gelassen habe, aber sie haben eine brillante Leistung gezeigt. Ich habe mich entschuldigt und ich möchte mich auch bei den Fans entschuldigen."

Am Ende bringt sich Terry um die große Chance, seinen verschossenen Elfmeter aus dem Finale 2008 gegen Manchester United wieder gutzumachen. Damals hatte er die Entscheidung und den Titel auf dem Fuß, traf nur den Pfosten. Jetzt muss er mit ansehen, wie seine Teamkollegen versuchen werden, es in München besser zu machen als damals in Moskau.

FC Barcelona - FC Chelsea: Daten zum Spiel