Im Auftrag des Herrn

Von Tristan Ebertshäuser
Tayfun Korkut muss versuchen, Leverkusen schnell wieder in die Spur zu führen
© getty

Im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Atletico (20.45 Uhr im LIVETICKER) geht es für Leverkusen unter dem neuen Trainer Tayfun Korkut um viel. Das berühmte "Wunder" soll her. Viel wahrscheinlicher scheint aber nicht nur ein erneutes Königsklassen-Debakel. Der Trainerwechsel könnte für die Werkself auch in der Liga im Desaster enden.

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"Wir fahren nicht nach Madrid, um einen Ausflug zu machen. Wir müssen dran glauben! Wunder gibt es immer wieder - gerade im Sport." Bei diesen Worten von Tayfun Korkut fühlt man sich versucht, die Augen zu schließen, die Hände emporzuwerfen und inbrünstig einen Gospel zu schmettern. Halleluja! Es klingt, als sei Korkut im Auftrag des Herrn unterwegs. Doch der Film, in dem sich der 42-Jährige befindet, heißt weder Sister Act noch Blues Brothers - er heißt Bayer 04.

An ein Weiterkommen in der Champions League bei einem der defensiv- und heimstärksten Teams der Welt glaubt selbst bei Bayer nach der 2:4-Klatsche im Hinspiel niemand wirklich. Vielmehr ist man froh, wenn man um eine Packung wie beim 1:7 vor fünf Jahren in Barcelona herumkommt. Die Priorität liegt darauf, in der Bundesliga endlich wieder konstant zu punkten - da kann man auf ein völlig zerstörtes Selbstbewusstsein im Gepäck gerne verzichten. Es gilt, ein Momentum aufzubauen.

Die erste Hoffnung, dass ein kräftiger Ruck die Werkself schon durch den Trainerwechsel allein erfasst, wie zuletzt etwa bei Leicester City zu beobachten, zerschlug sich bereits gegen Bremen. Korkut ist kein heißblütiger Kabinenprediger, der die Mannschaft allein durch sein Charisma von alten Fesseln befreit und als Motivator zu neuen Höchstleistungen peitscht.

"Wir werden viele Dinge ändern"

Es muss sich fußballerisch etwas ändern. Das hat auch Korkut erkannt. Bloß was? Aus ihm selbst waren bislang fast nur Floskeln herauszukitzeln. "Wir werden viele Dinge ändern", "das Ziel ist, als Mannschaft einen Tick voranzukommen, in der Art und Weise wie wir Fußball spielen wollen" etc. Eines verriet er aber: Er sei ein Trainer, der mehr auf Ballbesitz baue und da sein Team zuletzt sechs Tore gegen den BVB und vier gegen Atletico kassierte, "wollen wir zuerst von hinten beginnen".

Gegen Werder war das durchaus zu erkennen. Es gab weniger lange Bälle, eine insgesamt vorsichtigere Spielanlage und den Versuch, Ballzirkulation und spielerische Vorstöße in Gang zu bringen. Weniger Harakiri, mehr defensive Stabilität scheint die Devise. Allein: Es machte den Eindruck, das Team weiß jetzt überhaupt nicht mehr, was es eigentlich tun soll und wirkt statt befreit erst recht gefangen. Nämlich zwischen dem alten Vollgas-Pressing-Ansatz von Roger Schmidt, der den Spielern über Jahre in die DNA eingeimpft wurde, und einer neu verordneten vorsichtigen Zurückhaltung - beides scheint sich leider nicht besonders gut miteinander zu vertragen.

Trainerwechsel zur Unzeit?

Viel Zeit für seine Änderungen hat Schmidts Nachfolger nicht. Noch drängender als die Frage, was Korkut ändern soll, ist nämlich die Frage, wann. Nach Atletico geht es auswärts zu starken Hoffenheimern, dann wartet Wolfsburg, das nach dem Erfolg in Leipzig und mit Darmstadt vor der Brust seinerseits dabei ist, so etwas wie Schwung aufzunehmen. Das Restprogramm der Leverkusener hält dann noch Mannschaften wie Leipzig, Bayern, Freiburg, Schalke, Köln und Hertha bereit - alles andere als Selbstläufer.

Während die Vereinsverantwortlichen in der Trennung von Schmidt wohl den letzten Ausweg sahen, ihre Saisonziele noch zu erreichen und schon in Bremen auf den Turnaround gehofft hatten, ist durchaus auch ein Blick nach unten angebracht. Der Abstand auf den Relegationsplatz beträgt gerade mal fünf Zähler. Sollte man gegen Atletico und Hoffenheim verlieren, hätte man einen ausgewachsenen Negativ-Lauf am Hals und das Spiel gegen die Wölfe würde zum Abstiegskracher - wohl nicht gerade das Momentum, das man sich erhofft hatte.

Horrorstreifen oder Happyend?

Die Alarmglocken sollte die Bayer-Führung also zunächst noch nicht wieder einmotten. Und das hat nicht einmal etwas mit Korkut als Trainer zu tun. Schmidts Entlassung zu diesem kritischen Zeitpunkt war hochriskant, kein Wunder, dass Rudi Völler darüber schon bei der Verkündigung nicht gerade glücklich wirkte.

Leidtragender ist Tayfun Korkut, der sich auf eine enorme Herausforderung eingelassen hat. Er muss jetzt liefern. Was scheint egal, Hauptsache schnell. Davon wird abhängen, ob sich sein Film Bayer 04 zu einem Horrorstreifen entwickelt oder ob es doch nur ein Drama mit Happyend wird.

Natürlich wäre die Champions League da eine Chance, endlich Fahrt aufzunehmen. Doch die sieben Ausfälle gegen Atletico (Bender, Kießling, Havertz, Toprak, Tah, Henrichs, Calhanoglu) machen das Unterfangen auf jeden Fall nicht leichter. Doch man sollte noch nicht vom Glauben abfallen. Bayers neuer Trainer im Auftrag des Herren weiß ja: "Wunder gibt es immer wieder."

Bayer Leverkusen im Überblick