Van Gaal vs. Mourinho: Ästhet vs. Zerstörer

Von Andreas Lehner
Jose Mourinho war beim FC Barcelona der Assistent von Louis van Gaal
© Imago

Das Duell Bayern München gegen Inter Mailand (Sa., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER, auf SAT.1 und SKY) ist auch das Duell Louis van Gaal gegen Jose Mourinho. Beide sind Reizfiguren, beide polarisieren, aber beide werden von ihren Spielern vergöttert. Mourinho hat bei van Gaal gelernt, eine Mannschaft zu führen, sich aber in einem Punkt deutlich von seinem Mentor enfernt.

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Jose Mourinho hat sich in Europa einen Namen gemacht. Nicht nur durch seine internationalen Erfolge mit dem FC Porto oder seine nationalen Titel mit dem FC Chelsea und Inter Mailand. Besonders sein polarisierendes Auftreten in der Öffentlichkeit hat ihn zu einer der größten Reizfiguren im Weltfußball gemacht. Die einen nennen ihn selbstherrlich und arrogant. Die anderen charismatisch und faszinierend. Er selbst bezeichnete sich bei seinem ersten Auftritt in London als etwas ganz Besonderes - The Special One.

Mourinho gefällt sich in der Öffentlichkeit als Schauspieler, aber er versteht sein Handwerk als Trainer im Umgang mit der Mannschaft. Gelernt hat er bei Louis van Gaal, dem Trainer des FC Bayern München. Dem Mann, der sich bei seiner Antrittspressekonferenz in München als selbstbewusst, arrogant und dominant beschrieb. Aber auch als warm und familiär.

Van Gaal ist ein Fußball-Dogmatiker, der ein Team immer nach seinen Vorstellungen baut und dabei auf die drei Grundpfeiler "Disziplin, Kommunikation und Teambuilding" vertraut. Mourinho hat sich in Sachen Mannschaftsführung und Außendarstellung bei van Gaal bedient, aber seine eigene Spielidee entwickelt. Ein Vergleich der beiden Star-Trainer:

Punkt 1: Disziplin

"Fußballspielen ist ein Mannschaftssport, bei dem jeder von seinen Mitspielern abhängig ist. Wenn Spieler ihre Aufgabe auf dem Feld nicht erfüllen, geht dies auch zu Lasten der anderen. Das bedeutet, dass jeder Spieler seine Basisaufgaben so gut wie möglich zu erfüllen hat, und das geht nur, wenn auf dem Spielfeld und auch außerhalb Disziplin herrscht", erklärt van Gaal. Dabei geht es oft schon um Kleinigkeiten wie Pünktlichkeit und Ordentlichkeit.

Van Gaal wies im Trainingslager Luca Toni zurecht und zog ihm die Ohren lang, weil er beim gemeinschaftlichen Essen zu sehr auf seinem Stuhl rumlümmelte. Arjen Robben wurde mehrmals ausgewechselt, weil er in der Schlussphase nicht mehr in der vielzitierten Ordnung spielte. Offene Unmutsbekundungen wie beim Halbfinal-Hinspiel gegen Olympique Lyon erstickt van Gaal sofort. Robben entschuldigte sich hinterher öffentlich.

Philipp Lahm gab im Krisenherbst in seinem schon fast legendärem "SZ"-Interview zu, dass die Mannschaft mit van Gaals Anforderungen noch Probleme hat. Im Laufe der Zeit stellten sie aber fest, dass die Regeln zum Wohle der Gruppe sind und für Erfolg sorgen. Wer nicht mitzieht fliegt raus und wird durch einen anderen ersetzt. Dennis Bergkamp kam im Magazin "11Freunde" auch deshalb zu der durchaus respektvollen Feststellung, dass van Gaal auch mit elf Robotern eine erfolgreiche Mannschaft bauen könnte.

Auch Mourinho erwartet von seinen Spielern die bedingungslose Hingabe zum Wohl der Mannschaft. Mit Inters ziemlich unwirschem Jungstar Mario Balotelli geriet der Portugiese in dieser Saison aneinander. Mehrmals suspendierte Mourinho den italienischen Nationalspieler und nahm ihn auch nicht mit zum Achtelfinalrückspiel bei Chelsea.

In Italien musste er sich für seine Erziehungsmaßnahmen rechtfertigten und Kritik gefallen lassen. Aber wie van Gaal hatte auch Mourinho immer die Mannschaft auf seiner Seite. "Balotelli muss noch viel lernen", sagte beispielsweise Samuel Eto'o, ein selbst nicht ganz einfach zu handhabender Charakter.

Für beide Trainer ist wichtig, dass die Disziplin innerhalb der Mannschaft zu einer selbstverständlichen Sache wird und "dass die Gruppe selbst reagieren soll, wenn die Disziplin gefährdet ist", wie van Gaal sagt.

Punkt 2: Kommunikation

Wie in einem Unternehmen muss man auch bei van Gaal und Mourinho zwischen interner und externer Kommunikation unterscheiden. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten beide Trainer oft als autoritär, diktatorisch und besserwisserisch. "Wer täglich mit mir arbeitet, wird dem nicht zustimmen", sagt van Gaal. "Ich lerne jeden Tag von meinem Umfeld. Ich greife Dinge von den Spielern und vom medizinischen Stab auf und habe viel von meinen Assistenten gelernt."

Es ist nicht so, als würde van Gaal keinen Widerspruch zulassen, der 58-Jährige bezeichnet sich sogar als "Liebhaber von Widerstand", nur muss sein Gegenüber mit starken Argumenten aufwarten. Wie Mourinho erwartet er von seinen Spielern während der Analysen eine intensive und kommunikative Auseinandersetzung mit den Fehlern einer Partie. Denn Fehler eines Einzelnen sind auch Fehler der Mannschaft.

Van Gaal will, dass seine Spieler sich nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb unterhalten. Beim Mannschaftsessen änderte er zu Beginn der Saison die Sitzordnung, Musik oder Zeitungen am Tisch sind verboten und keiner darf aufstehen, bis auch der Letzte fertig ist. Was zu Beginn ein ziemliches Trauerspiel gewesen sein soll, ist jetzt eine lebhafte Unterhaltung, die van Gaal oftmals unterbrechen bzw. beenden muss.

Mourinho legt ebenfalls viel Wert auf die Meinung seiner Spieler. Selbst auf dem Platz spricht er mit seinen erfahrenen Leitwölfen wie Javier Zanetti oder Esteban Cambiasso über taktische Feinheiten und lässt sich auch von seinen Spielern überzeugen.

Bei beiden Trainern geschieht alles immer in Absprache mit Assistenten und Mannschaft. Jeder hat eine Stimme, jeder wird gehört und jeder steht damit auch in der Verantwortung. Van Gaal und Mourinho legen am Ende dieser Diskussionen den Kurs fest. An diesen muss sich dann auch jeder in der Öffentlichkeit halten.

Punkt 3: Teambuilding

"Durch Disziplin und ständige Kommunikation erreicht man von selbst ein hohes Maß an Teambuilding", sagt van Gaal. Das Gemeinschaftsgefühl wird durch diese Maßnahmen gestärkt. Van Gaal wusste bei Ajax und Barca (bis auf Rivaldo und Stoitschkow) die gesamte Mannschaft hinter sich. Die Porto- und Chelsea-Spieler schwärmen noch heute vom Teamspirit unter Mourinho. Für Inter und Bayern ist Teamgeist in dieser Saison das größte Plus.

Aber das Ziel des Teambuilding heißt nicht: Elf Freunde müsst ihr sein. Sondern: Alle Spieler müssen lernen, im Interesse der Mannschaft zu denken. "Teambuilding soll nicht dafür sorgen, dass man den anderen nett findet, sondern dass man die Qualitäten des anderen kennenlernt und diese Qualitäten auch in Anspruch nehmen kann", sagt van Gaal.

Beide Trainer vertreten die Überzeugung, dass nicht die besten Einzelspieler über Sieg oder Niederlage entscheiden, sondern die Mannschaft triumphiert, die als Team besser funktioniert.

Gestärkt wird die Gruppendynamik durch das Auftreten van Gaals und Mourinhos in der Öffentlichkeit. Der Portugiese verhält sich noch einen Tick provokativer, aber beide lenken den Fokus auf sich und bieten somit der Mannschaft ein willkommenes Schutzschild. Die Spieler können sich dahinter komplett auf ihre Arbeit und das Spiel konzentrieren, während die Trainer eine Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Stimmung schaffen.

Punkt 4: Spielidee

Mourinho hat auf dem Gebiet der Mannschaftsführung und Außendarstellung viel von van Gaal gelernt und adaptiert. Trotzdem treffen zwei unterschiedliche Fußball-Weltanschauung aufeinander.

"Er hat mit mir zusammen gearbeitet und gelernt, was meine Philosophie ist. Er hat seine eigene Philosophie geformt: Eine Philosophie, die den Gegner kaputt macht. Meine Philosophie ist, attraktiven Fußball zu spielen und auch zu gewinnen", sagt van Gaal.

Van Gaal ist ein Ästhet. Er will ständige Kontrolle über den Ball und das Spiel und mit schönem Fußball zum Erfolg kommen. Mourinho ist der Zerstörer. Sein Spiel basiert nicht auf Ballbesitz, sondern auf einem perfekten und aggressiven Spiel gegen den Ball. Die daraus resultierenden Fehler des Gegners sollen mit schnellem Umschaltverhalten konsequent genutzt werden. So machte er es auch im Achtelfinale gegen Chelsea und im Halbfinale gegen Barca.

Zuletzt wehrte sich Mourinho zwar vehement gegen den Vorwurf der destruktiven Spielweise, aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Inter erzielte im laufenden Wettbewerb die wenigsten Treffer aller Halbfinalisten (15), kassierte die meisten Gelben Karten (29) und stand am häufigsten im Abseits (56).

Und noch ein paar Statistiken: Während die Bayern in der K.o-Phase im Schnitt über 60 Prozent Ballbesitz hatten, kam Inter nur auf 43 Prozent. Die Bayern spielen im Schnitt 552 Pässe pro Spiel und bringen 76 Prozent an den Mann, Inter kommt dagegen nur auf 419 Pässe bei einer Passrate von 69 Prozent.

Bayern-Star Arjen Robben, der unter Mourinho bei Chelsea spielte, beschreibt den Unterschied zwischen Mourinho und van Gaal so: "Beide sind die besten Trainer der Welt. Ich denke, der Unterschied ist, dass Mourinho defensiv taktiert. Unter van Gaal wollen wir immer Fußball spielen."

Bayern München - Inter Mailand: Die Bilanz