Cesare Prandelli: Sir Alex der Toskana

Von Thomas Gaber
Cesare Prandelli wartet noch auf einen Titel mit dem AC Florenz
© Getty

Gebildet, freundlich, ruhig - Cesare Prandelli wird in ganz Italien geliebt. Der Trainer des AC Florenz wird zudem für sein fachliches Know-how verehrt. Der nächste Karrieresprung steht kurz bevor. Am Dienstag (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und auf Sky) will Prandelli aber erstmal mit der Fiorentina Geschichte schreiben. Vor diesem Mann zittert der FC Bayern.

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Jährlich pilgern Hunderttausende Touristen nach Florenz, um sich von der Schönheit der Hauptstadt der Toskana inspirieren zu lassen. Aufgrund seiner kulturellen Bedeutung wird Firenze seit dem 19. Jahrhundert als "italienisches Athen" bezeichnet. Die historische Altstadt mit ihren Plätzen, Museen, Kirchen und Palästen wurde 1982 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.

Das Stadion Artemio Franchi zählt dagegen nicht zu den architektonischen Hotspots. Uli Hoeneß fühlte sich nicht besonders wohl, als er im November 2008 zum ersten Mal dort war. "Wenn man seine Millionen nur in die Fußballer steckt, braucht man sich nicht wundern, wenn man in so einer Bruchbude spielt", polterte der Präsident des FC Bayern München.

Die Fiorentina-Fans kommen trotzdem gerne. Das Artemio Franchi ist ihr Zuhause. Kürzlich haben sie sogar die Fassade ein wenig aufpoliert. Vor dem Stadion hängt ein großes Plakat, auf dem die Tifosi ihrem Liebling huldigen: "Zusammen haben wir viele schöne und schmerzhafte Momente geteilt. Bleib für immer ein Viola! Du bist unser Ferguson, wir sind deine Familie! Florenz!"

Schwerer Schicksalsschlag

Der Sir Alex der Fiorentina heißt Cesare Prandelli. Seit 2005 ist der 52-Jährige Cheftrainer. Er löste den großen Dino Zoff ab und führte Florenz seitdem jedes Jahr in den Europacup. Platz fünf 2007 war das schlechteste Ergebnis, ohne den Abzug von 15 Punkten infolge des Manipulationsskandals wäre es Platz drei gewesen.

Jahr für Jahr gelingt es Prandelli, eine Mannschaft zu formen, die den großen Vier in Italien (Inter, Milan, Juventus und AS Rom) die Stirn bietet. Mit Hilfe des gewieften Sportdirektors Pantaleo Corvino holte Prandelli Sebastien Frey, Alessandro Gamberini, Riccardo Montolivo, Adrian Mutu, Alberto Gilardino und Juan Vargas nach Florenz. Er fördert junge Spieler wie Zdravko Kuzmanovic oder den Montenegriner Stevan Jovetic, der im Hinspiel in München bester Mann auf dem Platz war.

Prandelli ist aufgrund seiner ruhigen, freundlichen Art in ganz Italien beliebt. Das Land war mit ihm, als seine Frau 2004 an Krebs erkrankte und 2007 verstarb. Die Beisetzung von Manuela Prandelli glich einem Staatsbegräbnis.

Taktik-Fuchs Prandelli

Seit Monaten muss Prandelli auf Pressekonferenzen Fragen nach einem möglichen Engagement als künftiger National- oder Juve-Trainer beantworten. Er tut dies mit der ihm eigenen Geduld und Sachlichkeit. Außer Roma-Coach Claudio Ranieri genießt kein Trainer im Land des Weltmeisters ein so hohes Ansehen.

Das richtige Gespür für Neuverpflichtungen, der Umgang mit jungen Spielern und sein fachliches Know-how haben Prandelli 2006 und 2008 den Titel "Italiens Trainer des Jahres" eingebracht.

Die Bayern können ein Lied davon singen, wie gut es Prandelli immer wieder gelingt, seine Mannschaft auf den Gegner einzustellen. Im Oktober 2008 gewannen die Bayern zwar 3:0, das Torschuss-Verhältnis lautete aber 11:19. "Wir kamen mit dem taktischen Konzept von Florenz nicht zurecht. Sie haben mit zwei offensiven und einem defensiven Mittelfeldspieler gespielt. Sie hatten im Mittelfeld bei Ballbesitz immer einen Mann mehr", sagte Mark van Bommel damals.

Auch beim 1:1 in Florenz im November 2008 und der 1:2-Niederlage in München im Achtelfinal-Hinspiel wurde Florenz unter Wert geschlagen. "Florenz ist ein sehr unangenehmer Gegner, sie haben viele sehr gute Fußballer und ein hohes Maß an taktischem Verständnis", lobte Bayern-Coach Louis van Gaal schon vor dem ersten Duell.

Florenz variiert während eines Spiels gerne das System. Im Hinspiel wurde aus dem 4-3-2-1 bei Ballbesitz ein 4-2-3-1. Vargas unterstützte Jovetic und Marchionni im Aufbauspiel, vor allem Jovetic bekamen die Bayern in der ersten Halbzeit nie zu greifen. Der 20-Jährige ist wegen seiner Technik, seiner Spielintelligenz und seiner Übersicht mittlerweile unverzichtbar in Prandellis System.

Frey: "Haben den festen Glauben ans Viertelfinale"

Das größte Plus der Fiorentina ist aber nicht die individuelle Stärke. Die Mannschaft lebt vom Teamgedanken.

"Die Bayern haben großartige Spieler, aber wir haben ein großartiges Team. Auf dem Papier waren wir schon oft der Underdog, aber wir haben oft gezeigt, zu was wir imstande sind. Unser 2:1-Sieg in Liverpool war magisch. An der Anfield Road gewinnt man nicht, wenn man nicht eine gewisse Qualität hat. Diese Qualität ist bei uns der Teamspirit", sagte Torhüter Sebastien Frey "uefa.com".

Durch die Misserfolge der letzten Wochen (sechs Serie-A-Pleiten in neun Spielen) ist die Mannschaft noch enger zusammengerückt. Das Spiel gegen die Bayern ist nach der Niederlage gegen Juventus am Samstag das wichtigste der Saison.

"Wir haben den festen Glauben, dass wir das Viertelfinale erreichen können. Wenn wir die Leistung aus dem Hinspiel in München wiederholen, können wir den Bayern Probleme bereiten", sagt Frey.

Florenz geht am Stock

Allerdings geht die Fiorentina seit Wochen auf dem Zahnfleisch. Vargas spielt trotz Sprunggelenksproblemen, Gilardino trotz einer Knieverletzung. "Seit vielen Wochen spielen wir mit Spielern, die nicht topfit sind und alles gegeben haben. Jetzt müssen wir uns weniger auf unser schönes Spiel, sondern mehr auf das Resultat konzentrieren. Zwischendurch muss man sich auch zwingen, seine gewohnte Art zu verändern", sagt Prandelli.

Am Dienstagabend soll das Leiden ein Ende haben, Florenz lechzt nach einem Erfolgserlebnis und auch einem Stück Gerechtigkeit. "In den letzten Spielen fehlte uns das Glück. Vielleicht kriegen wir diesmal ein bisschen was ab", sagt Frey.

Der Unterstützung ihrer Anhänger kann sich die Fiorentina jedenfalls sicher sein. Am Dienstag wird eine ganze Stadt hinter den Violetten stehen. "Jetzt ist nicht die Zeit für Diskussionen und Polemiken, denn der Countdown für das nächste Spiel der Spiele läuft bereits. Gegen die Bayern geht es nicht nur um unsere Ehre, sondern um den Eintrag in die Geschichtsbücher", hieß es in einer Mitteilung der "Curva Fiesole", dem harten Kern der Tifosi.

Ein Hauch von Theatralik und Pathos schwingt mit in diesen so wichtigen Tagen. "Juve und Bayern - zwei Schlachten, in denen es um die Ehre der ganzen Stadt geht. Kämpfe tapfer, Florenz steht hinter dir", stand auf einem Transparent, das vor dem Juve-Spiel im Stadion aufgehängt wurde.

Das Artemio Franchi ist bereit für einen großen Moment.

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