Aus der Mitte entspringt die Jugend

Von Haruka Gruber
Der FC Schalke 04 wagt vor Beginn der Bundesliga-Saison 2011/2012 den Neuanfang
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: der FC Schalke 04.

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Es ist der Reflex im modernen Fußball: Auf der Suche nach einer eigenen Identität verkündet ein Bundesligist den Neuanfang und die Besinnung auf die Jugend. Dem FC Schalke 04 geht es da nicht anders als dem Hamburger SV oder vor drei Jahren Borussia Dortmund.

Das Außergewöhnliche jedoch: Die Zeitenwende auf Schalke wurde nicht etwa nach einer enttäuschenden Saison verkündet, sondern nach dem erfolgreichsten Jahr aller Zeiten.

Das Champions-League-Halbfinale brachte über 50 Millionen Euro und internationale Geltung, der DFB-Pokalsieg den ersten Titel seit 2002 und die Teilnahme an der Europa League. Das am Ende folgenlose, aber doch desaströse Abschneiden in der Bundesliga mit Rang 14, der schlechtesten Platzierung seit dem Abstiegsjahr 1988, veranlasste die sportliche Führung aber zu einer Umkalibrierung der Mannschaft.

Zwar fehlen die großen Zukäufe und von Manuel Neuer abgesehen die nenneswerten Abgänge, dennoch ist es augenscheinlich, dass ein tiefgreifender Prozess eingeleitet wurde. Schalke soll zukünftig frischer, jugendlicher und dynamischer sein.

Das ist neu

Zunächst einmal: der schlanke Kader - zumindest für Schalker Verhältnisse. Zwar sind 29 Spieler noch immer zu viel für Trainer Ralf Rangnick, in der vergangenen Saison jedoch hatte die Mannschaftsstärke noch bei fast 40 gelegen.

Dem Cut zum Opfer fielen Spieler mit begrenzter Perspektive (Schmitz, Pliatsikas, Hao, Avelar, Deac), mit einer langen Verletzungshistorie (Pander) und vor allem mit einem zu hohen Alter (Asamoah, Karimi, Charisteas, Plestan).

Rangnick hat sich dem Nachwuchs verschrieben und die Stammelf entsprechend umgebaut. Sollten sich die Eindrücke aus der Vorbereitung bestätigen, könnten zum Auftakt in Stuttgart acht Spieler auflaufen, die 23 Jahre oder jünger sind. Hinzu kämen Linksverteidiger Christian Fuchs (25) sowie Klaas-Jan Huntelaar (27) und Raul (34).

Jefferson Farfan ist noch verletzt, erfahrene Stützen aus der vergangenen Saison wie Christoph Metzelder (30), Peer Kluge (30), Hans Sarpei (35) und Edu (29) verloren hingegen an Standing. Auch Atsuto Uchida (23) hat offenbar das Nachsehen - gegen den zwei Jahre jüngeren Marco Höger (21), für 1,5 Millionen Euro von Aachen verpflichtet und als Allrounder offenbar auch als Rechtsverteidiger geeignet.

Die spannendeste Position wird das neu formierte Mittelfeld sein. Matip (19) scheint Kluge verdrängt zu haben und könnte mit dem zurückgezogenen Lewis Holtby (20) die Doppel-Sechs bilden. Wegen Farfans Fehlen werden für die Flügel zunächst aus dem Pool aus Alexander Baumjohann (24), Jan Moravek (21) und Julian Draxler (17) zwei Spieler ausgesucht. Sprich: Rechnet man Raul zum Sturm, könnte das Durchschnittsalter des Mittelfelds 19 Jahre betragen.

Im Tor hat sich der zurückgekehrte Ralf Fährmann nach seiner Glanzleistung im Supercup gegen Dortmund als Nummer eins bewährt und den zweifelnden Rangnick überzeugt.

Dringenden Handlungsbedarf sieht er daher nur noch im Sturm. Doch solange nicht die abkömmlichen Jermaine Jones, Anthony Annan und Edu abgegeben werden können, fehlen vermutlich die Mittel für Nolan Roux (Brest). Freiburgs Papiss Cisse dürfte ohnehin unerschwinglich sein. Zuletzt ein Gesprächsthema: Rangnicks weiterhin bestehendes Interesse an Hamburgs Sturmtalent Heung-Min Son.

Die Taktik

Rangnick ist von der Idee beseelt, eines Tages eine Mannschaft vorzufinden, die mit der gleichen Formation und ähnlichen Spielertypen den Fußball des FC Barcelona zeigt. Heißt: ein 4-3-3 mit besonderem Akzent auf das Mittelfeld, in welchem die drei Spieler so gut ausgebildet sind, dass sie je nach Situation als Sechser, Achter oder Zehner fungieren können.

Nur: Auf Schalke fehlen ihm genau diese Typen. Holtby, Baumjohann, Jose Jurado, Draxler und Moravek verkörpern zwar anders als Kluge und Matip das Gestalterische, doch ihnen geht noch die Robustheit, die Cleverness und vor allem die Geschwindigkeit ab, um Rangnicks Wunsch von schnellem Umschalten und anhaltendem Pressing zur vollsten Zufriedenheit zu erfüllen.

Noch offensichtlicher sind die Defizite im Sturm. Auch wenn Raul derart überzeugend auftreten sollte wie in der Champions League (8 Scorer-Punkte in 12 Spielen) und Huntelaar so gefährlich sein würde wie im ersten Drittel der letzten Saison (7 Tore in 10 Spielen) - ihre Art des Fußballs scheint nicht ganz kompatibel mit Rangnicks Vorstellung vom laufintensiven Spiel.

Entsprechend wird der Trainer eine Kompromisslösung wählen und mit einem 4-2-3-1 versuchen, sein Ideal mit der Realität in Einklang zu bringen. Ein Hauptanliegen von Rangnick: "Schalke hat die wenigsten Kontertore der Liga erzielt, das wollen wir ändern."

Der Spieler im Fokus

Klaas-Jan Huntelaar. Er gehört zu den großen Rätseln des Fußballs. Sein Lebenslauf sagt: Stürmer von internationalem Format. Seine Leistungen für Schalke sagen hingegen: ein eindimensionaler Torjäger ohne Zusatzqualifikationen.

Der 27-Jährige wird in dieser Saison belegen müssen, dass sehr wohl die 14 Millionen Euro Ablöse gerechtfertigt waren - und dass er sich auch in dem vor allem für Angreifer anspruchsvollen Rangnick-Pressing bewährt. Der Auftritt im Supercup verhieß im Gegensatz zu seinem Doppelpack beim Pokalfinale nichts Gutes.

Dennoch sagt Huntelaar: "Ich liebe das Attackieren. Und genau dafür steht Ralf Rangnick. Unter solchem Fußball blühe ich wieder auf."

Die Prognose

Schalke und sein Überraschungspaket: So recht vermag niemand die Leistungsfähigkeit der Mannschaft einzuschätzen. Mit Fuchs weiß Schalke endlich einen geeigneten Linksverteidiger bei sich, die Rückkehrer Holtby und Moravek erhöhen die spielerische Qualität, Höger könnte sich als Schnäppchen erweisen und die Neuer-Nachfolge wurde mit Fährmann zwar nicht adäquat, aber zufriedenstellend und kostengünstig gelöst.

Außerdem blieben von Neuer abgesehen die Leistungsträger erhalten: Kapitän Höwedes, Rechtsaußen Farfan, Lichtgestalt Raul.

Und doch bleibt das Team unberechenbar. Sind sich Holtby, Jurado, Baumjohann, Draxler und Moravek nicht zu ähnlich? Können Papadopoulos und Matip die Unbeständigkeit der letzten Saison ablegen? In welcher körperlichen Verfassung kehrt Metzelder zurück? Fehlt nicht ein weiterer Sechser wie etwa Kandidat Etienne Capoue?

Und die beiden vielleicht wichtigsten Fragen: Passt die Mannschaft an sich zu Rangnicks Vorstellungen? Und passt Rangnick zur sportlichen Führung, die die finanzielle Konsolidierung als wichtiger einstuft als den kostspieligen Kauf einer Verstärkung?

Sollte Rangnick die richtige Aufstellung finden und womöglich ein weiterer Stürmer verpflichtet werden, ist ein Platz unter den ersten Fünf möglich. Wenn nicht, steht die Saison nur unter dem Zeichen des Neubeginns.

Der Kader des FC Schalke 04 im Überblick