Horrorsaison? Bloß nicht schon wieder!

Von Fatih Demireli
Borussia Mönchengladbach sicherte sich in den Relegationsspielen den Klassenerhalt
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Borussia Mönchengladbach.

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Den Klassenerhalt hatte man bei Borussia Mönchengladbach schon insgeheim abgeschrieben. Zu groß war im Februar der Rückstand zum rettenden Ufer, zu schwach waren die Leistungen in der vermeintlich entscheidenden Phase.

Doch Lucien Favre riss das Ruder noch rum und rettete Gladbach erst in die Relegation, dann auch die Klasse. Wer jedoch glaubte, dass in Mönchengladbach damit alle Sorgen passe wären, sah sich getäuscht. Die "Initiative Borussia", angeführt von Stefan Effenberg, wagte beim Traditionsverein den Aufstand - scheiterte aber bei der Mitgliederversammlung mit Pauken und Trompeten.

In der neuen Saison gilt die ganze Konzentration nun wieder dem Sportlichen - doch die nächsten Probleme stehen vor der Tür.

Das ist neu

Die Sorgen von Trainer Lucien Favre. Der Schweizer Coach arbeitete mit Bravour am Klassenerhalt Gladbachs, nachdem schon im Umfeld einige mit der Bundesliga abgeschlossen hatten.

Favre kreierte ohne eigene Transfers eine neue Spielphilosophie, die mehr auf Spiel, Kombination und Ballsicherheit beruhte, installierte frische neue Kräfte wie Tony Jantschke oder Marc-Andre ter Stegen aus den eigenen Reihen und gab alten Kräften wie Juan Arango neue Impulse.

Doch Favre will in Mönchengladbach den nächsten Schritt gehen - die nächste Entwicklungsstufe erreichen. Dabei kommt ihm aber die finanzielle Situation des Vereins in die Quere. Gladbach kann sich keine großen Sprünge auf dem Transfermarkt erlauben.

Selbst die potenziellen Millionen-Einnahmen, die man sich durch den Verkauf von Michael Bradley erhofft, wandern nicht in die Mannschaft, sondern in die Sanierung der Finanzen.

"Wir können die Situation nicht ändern, müssen positiv bleiben und das Beste daraus machen", sagt Favre. Angesprochen auf die bisherigen Neuzugänge, antwortet der Schweizer leicht genervt: "Geben Sie mir ein paar Millionen, dann holen wir auch andere Spieler..."

Sportdirektor Max Eberl, der in der Vergangenheit immer wieder ein glückliches Händchen für Transfers bewies, sieht es sachlicher: "Wir sind gesund, aber nicht reich. Wir haben Qualität geholt, aber wir können keine großen Sprünge machen."

Die bisherigen Neuzugänge drängen sich nur bedingt für die Startelf auf: Die Ex-Karlsruher Matthias Zimmermann und Lukas Rupp sind zweifelsfrei große Talente, die mittelfristig ihren Weg machen werden. Auch Mathew Leckie gilt als Langzeit-Projekt, obwohl der Australier schon in der aktuellen Vorbereitung zu gefallen wusste und neben Rupp als ein Gewinner der Vorbereitung bezeichnet werden kann. Der Japaner Yuki Otsu ist noch ein gänzlich unbeschriebenes Blatt, ebenso wie der von Manchester United ausgeliehene Joshua King.

Lediglich Oscar Wendt, der vom FC Kopenhagen verpflichtet wurde, könnte schon direkt eine Verstärkung darstellen.

Favre wird entgegen der widrigen finanziellen Umstände versuchen, seine Idee vom Fußball weiter durchzuboxen - und versuchen, eine erneute Zittersaison zu vermeiden. Max Eberl dazu: "Ich bin überzeugt, dass wir unter normalen Umständen eine Mannschaft haben, die um Platz zehn, elf, zwölf mitspielen kann. Trotzdem kann ich nichts versprechen. Ich bin Realist, ich bin kein Träumer, ich verkaufe keine Dinge, die sehr schwer zu erreichen sind."

Die Taktik

Lucien Favre ist ein Fußball-Professor - im positiven Sinne. Des Schweizers Handschrift war schon bei Hertha BSC zu erkennen und auch bei Gladbach schaffte er es, trotz Abstiegskampf, seine Art von Fußball der Borussia zu injizieren.

Nach den ersten Beobachtungen zu Beginn seiner Amtszeit im Februar stellte er fest: "Klar braucht man Disziplin, Kampf, Laufstärke und die Balleroberung, aber Fouls können sehr teuer werden. Es ist bewiesen, dass zu viele Fouls den Spielrhythmus unterbrechen."

Viel wichtiger sei das "Herstellen einer Überzahl und das schnelle Spiel in die Tiefe". Gladbach wolle nicht destruktiv spielen. Was sich zunächst kontraproduktiv anhörte, war Gladbach doch die Schießbude der Liga, offenbarte sich als das richtige Rezept: Die Borussia schoss mehr Tore, kassierte weniger Gegentreffer.

Viel wird Favre nicht ändern - wohl weiter seinem 4-2-2-2-System vertrauen. Das Spielermetariel erlaubt es alternativ auf 4-2-3-1 umzustellen.

Lediglich das Spieltempo will der Schweizer noch erhöhen. In den Testspielen war ihm seine Truppe teils noch zu langsam in der Umschaltung.

Gefordert sind in der neuen Saison auch Havard Nordtveit und Roman Neustädter, die im Zentrum die nächste Stufe der Entwicklung erreichen sollen. Favre fordert noch bessere Spieleröffnung.

Der Spieler im Fokus

Marco Reus. In der Defensive ist Dante The man, in der Offensive ist es Reus. Der 22-Jährige überzeugte auch in seiner zweiten Bundesliga-Saison voll und ist der Motor und Antreiber der Borussia.

In der zurückliegenden Saison brachte es Reus auf zehn Tore und neun Assists. Unvergessen zudem sein entscheidender Treffer in der Relegation in Bochum, der Gladbach den Klassenerhalt sicherte.

Mit seiner Antrittsschnelligkeit und seiner Begeisterung kann der 22-Jährige das komplette Team mitreißen. Und die Fans, bei denen Reus spätestens nach seiner Ankündigung Anfang Mai, die Borussia auch im Falle eines Abstiegs nicht zu verlassen, einen Stein im Brett hat.

Sollte seine Entwicklung weiter nach oben gehen, werden die Top-Klubs der Bundesliga und aus Europa nach der Saison Schlange stehen, um Reus aus Gladbach weg zu ködern.

Die Prognose

Vor der vergangenen Saison sprach man im Umfeld des Klubs sogar schon von der Europa League, weil sich die vorangegangene Spielzeit vielversprechend gestaltete. Nach der schweren Saison 2010/11 wagen in Mönchengladbach nicht einmal die kühnsten Fans den Durchmarsch nach oben zu prognostizieren.

Vielleicht wird die Rückkehr auf den Boden der Tatsachen dem Klub ganz gut tun, so dass die (zuvor teils übertriebenen) Erwartungen nicht zu hoch gesteckt werden. Die Mannschaft kennt sich im Abstiegskampf so gut aus, wie kaum ein anderes Bundesliga-Team.

Zwar hat Lucien Favre nicht die Transfers tätigen können, die er sich erhoffte, doch das vorhandene Spielermaterial sollte genügen, auch in dieser Saison den Klassenerhalt zu schaffen. Favre ist es zuzutrauen, den Abstiegskampf diesmal sogar um einiges früher zu entkommen als zuletzt.

Der Kader von Borussia Mönchengladbach im Überblick