Emotion schlägt Kalkül

Von Thomas Gaber
Hamburgs Eljero Elia überspringt etwas unorthodox Bayerns Arjen Robben

HSV-Coach Bruno Labbadia wehrte sich nach dem Sieg gegen die Bayern gegen das Krisen-Gerede und lobte seine leidenschaftlichen Grenzgänger. Louis Van Gaals mathematische Formel ging nicht auf, dennoch bleibt man beim FC Bayern erstaunlich gelassen.

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Mladen Petric' Führungstreffer nahm Bruno Labbadia vergleichsweise gelassen zur Kenntnis. Ein bisschen Händeklatschen, eine geballte Faust - wenig Emotion für ein so wichtiges Tor.

Nach dem Schlusspfiff brach es dann aber heraus aus dem HSV-Coach. Labbadia verkeilte sich in einen Knäuel aus Trainern, Zeugwarten und Ersatzspielern. Echte Männerliebe für gefühlte zwei Minuten.

Verständlich, immerhin hatte der HSV den großen FC Bayern in die Knie gezwungen, nach all den sportlichen Katastrophen in den letzten zehn Tagen. 0:3-Abfuhr von Österreichs Rekordmeister Rapid Wien, ein fades 1:1 in Frankfurt und das Aus im DFB-Pokal in Osnabrück.

Leidenschaft nach Laissez-faire

Labbadia ist noch nicht lange Trainer, dennoch kennt er sich bereits bestens aus mit den manchmal seltsamen Mechanismen des Profisports. "Wir waren vor dem Spiel Erster und überall wurde nur über Krise gesprochen", sagte der Trainer nach der Partie auf SKY.

"Die Mannschaft weiß, dass sie im Pokal einen Fehler gemacht hat. Die Spieler sind ihrer Verantwortung gegenüber dem Verein nicht nachgekommen. Aber sie hatte eine Super-Antwort. Die muss man gegen so eine starke Mannschaft wie Bayern erstmal hinbekommen", so Labbadia.

Das Leistungsvermögen des HSV ist schwer einzuschätzen. Dem Laissez-faire im Pokal folgte die pure Leidenschaft gegen die Bayern.

Das Greenhorn reift

Was aber in Hamburg konstant bleibt, ist die Art und Weise, wie mit Niederlagen und Siegen umgegangen wird. Nach einer Pleite wird alles in Frage gestellt, nach einem gewonnenen Spiel liegt man sich kollektiv in den Armen. "Nach drei Spielen ohne Sieg waren wir alle niedergeschlagen. Da dürfen wir nach einem Sieg gegen Bayern auch mal feiern", sagte Torschütze Petric.

Kaum ein Bundesligaverein ist derart emotionsgesteuert und stimmungsabhängig wie der HSV.

Die Mannschaft spielte eine sehr gute Saison 2008/09 und hatte bis in den April hinein drei Titel vor Augen. Dann kam eine Papierkugel und mit ihr der Absturz. Der Trainer flüchtete nach Holland, Sportdirektor und Vorstandsboss lagen überkreuz bis einer die Konsequenzen zog und die Brocken hinwarf. Und mit Labbadia wurde ein innovativer Trainer, aber ein scheinbar leicht angreifbares Greenhorn geholt.

Nach sieben Spieltagen steht der runderneuerte HSV an der Tabellenspitze, hat Dortmund und Wolfsburg beherrscht und die Bayern ausgeknockt. Spieler wie Jerome Boateng oder Dennis Aogo haben unter Labbadia einen beachtlichen Sprung nach vorne gemacht.

Eljero Elia ist ein enorm belebendes Element. Man könnte meinen, er habe nie für einen anderen Verein gespielt. Gleiches gilt für den ewigen Ze Roberto. Fast schon logisch, dass ausgerechnet der Ex-Bayer den Siegtreffer unnachahmlich vorbereitet.

"Spiel im Kopf entschieden"

Labbadia hat in kurzer Zeit eine Mannschaft geformt, die eine sehr gute Rolle spielen kann in dieser Saison. Er beschäftigt sich intensiv mit der Psyche seiner Spieler. "Die Mannschaft hat das Spiel gegen Bayern im Kopf entschieden. Wir haben 120 Minuten im Pokal gespielt und hatten einen Tag weniger Pause. Aber man sieht, was alles in einem Körper steckt. Es ist wichtig, dass man das Gefühl bekommt, dass die Grenze noch weiter nach oben zu verschieben ist."

Der HSV hatte den größeren Willen, ein Spitzenspiel auf einem beachtlich hohen Niveau für sich zu entscheiden. Die Bayern waren nicht schlechter, doch man muss SKY-Experte Stefan Effenberg recht geben, wenn er sagt, dass im Spiel der Münchner "irgendetwas fehlt".

Trotz spielerischer Überlegenheit konnte sich die van-Gaal-Elf kaum gute Torchancen erspielen. Die wenigen wurden vergeben und entsprechend nüchtern fiel die Analyse von Trainer Louis van Gaal aus. "Wir haben ein gutes Spiel gemacht und haben die Chancen nicht genutzt. Das war das Problem und nichts anderes", sagte der Niederländer.

Van Gaal hatte seine Mannschaft in ein komplett neues taktisches Gewand gehüllt. Drei Abwehrspieler verteidigten hinter einem Sechser-Mittelfeld. Van Gaal hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten einen Namen gemacht als Taktikgenius. Ein Fußball-Mathematiker, in dessen Planspielen Emotionen wenig Platz haben.

Stürmer-Sorgen? Nicht mit Hoeneß

Noch hat van Gaal nicht viele Punkte geholt (elf von 21 möglichen). Das sehen die Bayern aber keineswegs als Anlass, in Panik auszubrechen. Selten hat man Manager Uli Hoeneß so entspannt erlebt wie nach dem 0:1 von Hamburg. Die Mannschaft habe ein gutes Spiel gezeigt und hätte einen Punkt verdient gehabt, so Hoeneß.

Auch mit der Stürmer-Diskussion - in Hamburg saßen Gomez und Klose lange auf der Bank - geht der Manager gelassen um. "Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft ein Problem bekommen werden, so viele gute Stürmer im Kader zu haben. Das ist ein Luxusproblem. Bruno Labbadia hat schlaflosere Nächte in den nächsten Wochen, wenn alle drei, vier Tage ein Spiel ansteht und er nur zwei Stürmer zur Verfügung hat."

Die Bayern sind sich ihrer Stärken und vor allem ihres Entwicklungspotentials bewusst. Das erklärt die unterkühlten Reaktionen auf die zweite Saisonniederlage. Van Gaal sagte letzten Freitag im Gespräch mit SPOX, dass seine Mannschaft noch sehr weit entfernt sei von dem, was sich der Coach vorstellt.

Am kommenden Mittwoch ist Juventus Turin auf Champions-League-Besuch in München. Van Gaal wird wieder grübeln. Wie schlägt man eine alte Dame?

Hamburg - Bayern: Daten zum Spiel