"Wir brauchen wieder Spieler, die Werder prägen"

Von Interview: Florian Reindl / Stefan Rommel
Zwei Bremer Häuptlinge: Abwehrchef Per Mertesacker (r. ) und Torhüter Tim Wiese
© Getty
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SPOX: Sie sind ein langjähriger Weggefährte von Michael Ballack in der DFB-Elf. Wie beurteilen Sie die ganze Geschichte um sein Ende in der Nationalmannschaft?

Mertesacker: Grundsätzlich haben wir es in der Nationalmannschaft in den letzten Jahren geschafft, dass eine sehr positive Stimmung herrschte und es wenige bis keine Streitigkeiten gab. Aber ist sehr schwierig, wenn ein Zeitpunkt kommt, wo einem gesagt wird: 'Du stehst jetzt nicht mehr zur Verfügung.' Oder: 'Wir setzten auf jüngere Spieler.' So ein Wechsel ist immer schwierig. Da gab es auch in der Vergangenheit Reibereien, das ist ja normal. Diesen Generationenwechsel wird es immer geben. Davon schließe ich mich nicht aus, auch mich wird es einmal treffen.

SPOX: Können Sie es nachvollziehen, dass er auf sein 'Abschiedsspiel' verzichtet und stattdessen einen kurzzeitigen Mini-Krieg angezettelt hat?

Mertesacker: Das ist natürlich schade, weil ich beide, Michael Ballack und Jogi Löw, sehr gut kennengelernt habe. Und zwar so, dass man mit beiden immer alles aus der Welt räumen konnte. Aber ich stecke da nicht tief genug drin, um mir ein Urteil zu erlauben. Das wäre reine Spekulation.

SPOX: Sie haben mit und ohne Ballack bei großen Turnieren bestanden. Gab es gravierende Unterschiede - sowohl auf, als auch außerhalb des Platzes?

Mertesacker: Was heißt gravierend unterschiedlich?

SPOX: Das System mit einem Anführer, das die Nationalmannschaft mit Michael Ballack ja verkörpert hat, gegen das System mit einer flachen Hierarchie, so wie es jetzt herrscht..

Mertesacker: Fakt ist, dass wir uns in der Mannschaft immer gegenseitig unterstützt haben. Das hat nichts mit einem Anführer zu tun. Michael war eben so ein Spielertyp, der die Mannschaft geprägt hat, aber er hat auch immer wichtige und entscheidende Tore geschossen. Mich stört es nur, wenn viele jetzt alles schlecht reden. Denn ich konnte aus der Zeit mit Michael viel Positives für mich gewinnen. Es ist mit ihm gegangen und es wird jetzt auch ohne ihn gehen.

SPOX: An der grundlegenden Spielidee hat sich nicht all zu viel verändert. Deutschland muss neben dem schnellen Überfall-Konterfußball jetzt auch die nächste Teilstrecke erlernen: Das dominante Ballbesitzspiel. Wie ändert sich dabei die Aufgabenstellung für einen Innenverteidiger?

Mertesacker: Ich glaube, dass wir im Vergleich zu 2006 bei der letzten Weltmeisterschaft einen enormen Sprung nach vorne gemacht haben. Ich bin kein Fan von Statistiken, aber was Dinge wie vertikales Passspiel, Laufbereitschaft oder durch Pressing geschaffene Drucksituationen betrifft, waren die Zahlen bei uns durchweg positive. Es gibt es viele kleine Dinge, die das dominante Ballbesitzspiel bestimmen. Spanien ragt da heraus, aber die sind sehr perfektionistisch veranlagt und haben ihre Spieler auch in den entsprechenden Vereinen untergebracht.

SPOX: Was fordert der Bundestrainer von Ihnen genau?

Mertesacker: Als Innenverteidiger muss man nicht mehr einfach nur den Ball an den defensiven Mittelfeldspieler abgeben. Man muss versuchen, Reihen zu überbrücken und das Spiel schnell zu machen. Sich in eine gute Stellung bringen und anbieten, um dann einen guten Pass zu spielen. Man benötigt eine gute Raumaufteilung mit flachem, sicherem Passspiel, wenn möglich nach vorne. Natürlich bedarf das langer Übung, sonst wird das alles sehr hektisch und viele Mannschaften lauern ja genau auf solche Fehler. Man muss das 'seriös spiele', wie der Bundestrainer immer so schön sagt.

SPOX: Wie unterscheidet sich Ihr Spiel im Vergleich dazu in Bremen, wie sehr müssen Sie sich umstellen?

Mertesacker: Es gibt immer Feinheiten, in denen sich das System unterscheidet. Aber die Grundstruktur ist ähnlich. Wenn man eine gute Vorbereitung für beide Systeme hat und eine wichtige Rolle darin spielt, fällt die Umstellung von Nationalmannschaft auf Verein und umgekehrt nicht allzu schwer.

SPOX: Viele sehen in Barcelonas Gerard Pique den derzeit perfekten Innenverteidiger. Schauen Sie sich von solchen Spielern was ab?

Mertesacker: Vielleicht ist er das, aber wenn man sich das Champions-League-Finale angesehen hat, kann man das nicht an einem Spieler fest machen. Er passt einfach perfekt in die Mannschaft und bringt seine Fähigkeiten überragend ein. Man versucht sich da schon einzelne Dinge abzukucken, aber ich bin nicht nur auf eine Person fixiert.

SPOX: In der Nationalmannschaft sind mit Holger Badstuber, Mats Hummels, Benedikt Höwedes oder Jerome Boateng junge Mitspieler Kandidaten für die Innenverteidigung. Geben Sie da als erfahrener Nationalspieler noch Tipps?

Mertesacker: Die Nachwuchsspieler, die seit Jahren in die Nationalmannschaft kommen, sind mittlerweile sehr gut ausgebildet, sind Stammspieler auf höchstem Niveau und haben teilweise schon internationale Erfahrung gesammelt. Da brauchst du nicht mehr viel sagen. Das haben die auch nicht nötig, dass da einer den großen Zampano macht und sagt: 'Das war gut und das weniger.'

SPOX: Es scheint, als holten die Jungen momentan mit großen Schritten auf. Wie sehen Sie Ihre Position derzeit, sind Sie noch immer die Nummer eins, an der sich der Rest messen lassen muss?

Mertesacker: Ich finde diese Entwicklung in Deutschland gut. Es kommen viele gute junge Spieler nach, die sehr gut geschult sind. Für den deutschen Fußball ist das sehr wichtig. Natürlich bin ich da auch gefordert, weil jetzt viele Verteidiger nachkommen. Aber ich habe bislang immer vollstes Vertrauen gespürt. Ich setzte mich da nicht unter Druck. Wenn ich gut bin, dann spiele ich. Und wenn das nicht mehr der Fall sein soll, muss man das auch anerkennen.

SPOX: Wie viel Prozent fehlen in diesem kontinuierlichen Prozess seit 2004 noch, um im kommenden Jahr endlich den großen Wurf zu landen?

Mertesacker: Wir haben in den letzten drei Turnieren gute Spiele gezeigt, waren am Ende aber immer schlechter als unser Gegner. Da wünscht man sich natürlich baldmöglichst ein Happy End. Wir sind auf einem sehr guten Weg und freuen uns auf eine neue Chance. Es gab außer Spanien kaum eine Mannschaft, die kontinuierlich auf Topniveau gespielt hat. Da wollen wir auch hin - möglichst schon 2012 bei der Europameisterschaft.

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