Borussia Dortmund: Ruhig Blut

Von Für SPOX in Bad Ragaz: Jochen Tittmar
Gelassen in die kommende Saison: Hans-Joachim Watzke, Jürgen Klopp und Michael Zorc (v.l.n.r.)
© Imago

In der Vorsaison war Borussia Dortmund in der Bundesliga das Maß aller Dinge. Als amtierender Meister scheinen dem BVB jedoch nur wenige eine erneut starke Spielzeit zuzutrauen. Den Vereinsverantwortlichen macht das wenig aus. Ihr Credo heißt: Entwicklung geht vor Titelverteidigung.

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An das Tempo in Dortmund muss sich Neuzugang Ivan Perisic noch gewöhnen. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Borusse war der Kroate nämlich überhaupt nicht auf der Höhe. Perisic war zu langsam - beim Autogramme schreiben.

Ganze zwei Stunden nahm sich die Meister-Truppe Zeit, um bei der Saisoneröffnung die Wünsche der Fans zu erfüllen. Perisic unterschrieb so gemächlich, dass sich ein Stau bildete und er sich freiwillig umsetzte.

Das ist bislang jedoch das einzige Anzeichen dafür, dass beim BVB so etwas wie Stillstand einkehrt. Zum Trainingsstart betonte Trainer Jürgen Klopp daher auch vordergründig das allgemeine Wachstum, das seine Mannschaft wie auch den gesamten Verein weiterhin Schritt für Schritt in höhere Leistungssphären befördern soll.

"Die Meisterschaft endete mit dem 34. Spieltag, unsere Entwicklung aber nicht. Wir setzen uns keine Limits, sondern wollen mit Feuer und mit Lust zu Werke gehen", sagte Klopp.

Klopp: "Schwierige, aber reizvolle Saison"

Das klappte in der Vorsaison vorzüglich. Die Dortmunder waren in allen sportlichen Bereichen das Nonplusultra der Liga.

Doch kaum war die sich wochenlang ankündigende Meisterschaft unter Dach und Fach gebracht, konnte man am Horizont bereits warnende Zeigefinger wahrnehmen. Tenor: Jetzt, als Meister, ist der BVB dem Absturz geweiht, die spielerische Dominanz könne nun gar nicht mehr weiterhin so unaufgeregt auf den Rasen gebracht werden.

Borussia Dortmund in der Sommerpause

Der Erwartungsdruck als Titelträger, die Belastungen in der Champions League, der Weggang von Nuri Sahin - all dies seien Gründe dafür, nicht erneut eine solch starke BVB-Saison zu erwarten. Klopp muss man all dies nicht erzählen, er geht von einer "schwierigen, aber reizvollen Saison" aus.

Meisterschaft "einfach viel zu überraschend"

Die Quintessenz steckt allerdings in der Aussage, die er direkt nachschiebt: "Es geht nicht darum, noch einmal genauso viele Spiele zu gewinnen wie im Vorjahr oder genauso wenige Gegentore zu kassieren."

Es gehe vielmehr um den BVB-Fußball, der von den Angestellten gelebt werden soll. "Einsatz und Leidenschaft in außergewöhnlichem Maße" sind und bleiben für Klopp die zentralen Werte.

Immerhin aber gab die Vereinsführung mit der Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb erstmals seit Jahren wieder ein konkretes Saisonziel aus. Dies dürfte jedoch schlicht und einfach dem Gewinn des Meistertitels, der "einfach viel zu überraschend" (Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke) kam, geschuldet sein. Streng genommen gäbe sich der BVB also auch mit Platz sechs zufrieden.

Klopp geht nicht von Titel-Verteidigung aus

Für Watzke stellt sich auch nach der kommenden Spielzeit nur eine Frage: "Haben wir wirklich alles getan, was möglich war? Ich mache das nicht so sehr von der Tabelle abhängig."

Daher auch die bescheidene Zielsetzung, die einem Meister wiederum reflexartig als Understatement ausgelegt wird.

"Wenn die Ziele zu hoch sind, wird man nie glücklich. Und wir können den Bayern normalerweise nicht das Wasser reichen. Für unsere Titelverteidigung müssten schon Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen", macht Klopp klar.

Vorbildliche Entwicklung unter Klopp

Natürlich drosseln die Oberen damit bewusst die Erwartungen. Das ist gerade an einem vor aufbrausender Euphorie nur so strotzendem Standort wie Dortmund auch notwendig.

Zumal es nur wenig Sinn ergeben würde, sich in Sachen Transfers oder Zielsetzungen plötzlich großartig aus dem Fenster zu lehnen.

Die Entwicklung seit Klopps Amtsantritt verläuft mehr als vorbildlich: Im ersten Jahr verwandelte der Coach die schlechteste Defensive der Liga in die zweitbeste - das Happyend, die Europa-League-Qualifikation, platzte erst in der 90. Minute des 34. Spieltags.

Watzke: "Die Königsklasse ist kein Muss"

Diese gelang in der Saison darauf. Das Team erweiterte seine defensive Stabilität um die Komponenten (Offensiv-)Pressing und überfallartiges Umschalten in die Spitze. Die Meistersaison offenbarte eine ideale Melange beider Disziplinen.

Es ist keineswegs auszuschließen, dass der BVB viele Facetten seiner Dominanz in die neue Spielzeit übertragen kann. Oder sogar noch weitere Bestandteile dazupackt. Sollte dies und etwa der erneute Einzug in die Königsklasse allerdings nicht klappen, dürfte das positive Grundgerüst des vor wenigen Jahren noch klinisch toten Klubs kaum Schaden nehmen.

"Die Königsklasse ist kein Muss", unterstreicht Watzke, "der BVB hat sich wirtschaftlich extrem entwickelt. Wir sind in der Lage, diesen Kader - so, wie wir ihn jetzt haben - problemlos auch ohne Champions-League-Teilnahme zu finanzieren."

Kader mit bislang nur 31 CL-Einsätzen

Überhaupt die CL: Mit Roman Wiedenfeller, Sebastian Kehl, Patrick Owomoyela, Mohamed Zidan und Antonio da Silva verfügen ganze fünf Spieler über Erfahrung in diesem Wettbewerb - bei insgesamt 31 Einsätzen, die alle schon jahrelang zurückliegen. Die Stammelf des Vorjahres betritt damit also völlig neues Terrain.

Dortmunds Kader im Überblick

Um sich auf diesem Niveau mit der Konkurrenz messen zu können, hat der BVB Optimierungen am Kader vorgenommen und geht - so denn alle fit sind - breit aufgestellt die kommenden Aufgaben an. Der Konkurrenzkampf tobt, allein im Mittelfeld streiten sich formal gesehen zwölf Spieler um fünf Positionen.

BVB baut auf Lernprozess

Es ist das Ziel der Verantwortlichen, die Mannschaft wie im Vorjahr in der Europa League auch eine Klasse weiter höher an einem Lernprozess reifen zu lassen, unabhängig vom finalen Abschneiden.

Dieses vermeintliche Understatement mag einigen möglicherweise nicht schmecken.

Die Herren Klopp, Watzke und Zorc zeigen bislang allerdings, dass man trotz der extrem zügig eingetretenen Renaissance des Vereins ruhig Blut bewahren und die auf den Weg gebrachte Philosophie weiter unbeirrt fortführen kann. Ein Vorgehen, das man in der Fußballbranche nicht sehr häufig beobachten kann.

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