Vom Tuten und Blasen...

Von Oliver Kucharski
Hat's Dieter Nickles mal ordentlich gegeben: Louis van Gaal
© Getty

Louis van Gaal findet, dass die meisten Journalisten keine Ahnung von Fußball haben. Damit trifft er voll ins Schwarze. Die Alternative Liste zeigt sich selbstkritisch.

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1. HA!: Was waren die Bayern schlecht! Da kann man zum ersten Mal seit dem Krieg Tabellenführer werden, und dann spielt man SO unterkühlt und SO mit halber Kraft und SO ohne Hirn. Das ist schon ein starkes Stück! Aber ganz ehrlich: Die AL fühlt sich da auch ein Stück weit bestätigt jetzt: Der FCB steckt in der Krise, das haben wir schon vor zwei Wochen gewusst, doch niemand wollte es hören!

2. Unglaublich: Und Louis van Gaal kann fuchsteufelswild werden, wenn er so einen Stuss (siehe Punkt 1) hört. Das findet er unglaublich. Wenn Journalisten so was sagen. Einfach unglaublich. Daher ist Louis van Gaal auch der Meinung, dass die meisten Journalisten keine Ahnung haben. Und da muss man auch mal Größe zeigen und selbstkritisch sein und ganz klar sagen: Das stimmt! Wir bei SPOX zum Beispiel: Alle so um die dreißig - alle komplett ohne Plan, wie die Welt da draußen läuft. Als Kind Fußball-Fan gewesen, als Student Redaktions-Praktikant, und dann, ZACK!, plötzlich Redakteur! Ohne jede Ahnung von Tuten und Blasen. Und dann geht man halt in die Mixed Zone, schaut, dass man die Autogramm-Sammlung voll kriegt und schreibt nach Gutdünken bisschen drauflos. Das ist zwar nicht ideal, aber so sieht's nunmal aus.

3. How to: So eine AL zum Beispiel: Die entsteht meist so: Die Praktikanten, die die Spiele tickern und die Berichte schreiben, während sich die Redakteure paar Bier reinziehen und dreckige Witze erzählen, schicken nach dem Spiel noch paar Zeilen mit Einschätzungen und Besonderheiten, aus denen man in der AL was machen kann. Der AL-Autor kommt dann Montagmittag lässig in die Redaktion geschlurft, klatscht die Notizen lieblos aneinander, baut hier und da noch paar Gags mit ein und fertig ist die Laube. Zum Handball zwischen Hoffe und Gladbach schrieb der Prakti zum Beispiel: "Unterhaltsames Spiel, umstrittene Entscheidungen, grobe Schnitzer, nichts Außergewöhnliches." Und daraus soll man dann was machen. Das gelingt natürlich nicht immer.

4. Fürs Volk: Sehr dankbar ist es, wenn Leute wie Michael Skibbe plötzlich das Philosophieren anfangen: "Mit ein bisschen Glück hätten wir gewinnen, mit ein bisschen Pech aber auch verlieren können." Bei so was jauchzt der AL-Autor, denn da muss er nicht mal mehr das Spiel gesehen haben, da kann er sich direkt auf das Zitat stürzen und freudig beipflichten: Genau das ist ja das Geile am Fußball, Herr Skibbe! Dass man gewinnen, verlieren oder remisieren kann. Dass die Eventualitäten so überschaubar sind, dass sie jeder Idiot versteht. Dass das alles so einfach ist. Dass man da so super an den Stammtischen drüber diskutieren kann. Und das muss unbedingt so bleiben!

5. Crowd-Pleaser: Was sich ebenfalls fast von allein schreibt, ist, wenn Jens Lehmann vage andeutet, eventuell noch ein Jahr dranzuhängen. Weil er weiß, dass er immer noch zu den Besten gehört. Und da freut sich der AL-Autor, weil er weiß, dass weitere Balljungen-Clashs, Brillen-Gates und Pinkel-Affären garantiert sind. Und Witze über Jens Lehmann sind klassische Crowd Pleaser, da lacht jeder mit, das ist leicht verdientes Geld, drum bitte, Jens Lehmann, tun Sie uns diesen Gefallen: Machen Sie weiter!

6. "Analysen": Stark ist's auch, wenn Cacau plötzlich vier Tore schießt. Denn diese Woche gibt Joachim Löw das Aufgebot für Argentinien bekannt, und selbstverständlich wird Cacau dabei sein, und ohne diese vier Tore hätte nur wieder das Zetern angefangen, wieso denn dieser Cacau dabei wäre, was denn das bitte solle, und dann hätten wir armen Journalisten mit unserem bisschen Taktik-Verständnis wieder notdürftig erklären müssen, warum Löw einen solchen Stürmertypen womöglich echt ganz gut gebrauchen kann, und egal wie gut diese "Analysen" auch geworden wären, die User hätten trotzdem nur wieder was von "Spätzle-Connection!" und "Löw raus!!" geschrieben, und all das bleibt uns jetzt gottlob erspart, denn wenn einer vier Tore schießt, dann darf er dabei sein, das ist absolut zu akzeptieren, das kapiert man sogar am Stammtisch. Auch wenn es nur gegen Köln war.

7. Investigativ: Gerade dieses Einordnen und Deuten und Erklären ist ja ein wichtiger Teil des Journalismus. Im Idealfall auch das Aufdecken von Missständen. Investigativ sein! Versuchen wir's doch mal: These: Die Karstadt-Quelle-Ergo-Versicherungsgruppe, die JEDES! Werbebreak der Sportschau ein- und abläutet, die gibt es gar nicht. Das ist nur eine Briefkastenfirma, irgendwo in der Karibik. In Wahrheit steckt Sky dahinter. Die haben diese ganze Werbung verdeckt bei der Sportschau eingebucht (daher auch die roten Zahlen!). Als Psychoterror. Um den Ottonormalfan mürbe zu machen. Damit der Sky abonniert. Das nennt man Psychoterror-Marketing, und das ist nach Guerilla- und Viral-Kampagnen das nächste große Ding in der Werbebranche. Wussten Sie bisher gar nicht, oder?

8. FUN!: Wobei uns diese ganze Ernsthaftigkeit eigentlich gar nicht liegt. Wir mögen vor allem die bunten Meldungen. Fun! Unterhaltung! Infotainment! Dass zum Beispiel Neven Subotic seine Ghetto-Kordeln jetzt durch einen ultrabiederen Studenten-Haarschnitt ersetzt hat: finden wir überaus mäßig. Denn wenn man themenmäßig mal gar nichts hatte - ein billiger Witz über Subotics Frisur ging ja immer. Das kam stets gut an. Doch damit ist's nun erstmal vorbei. Für unsere Praktikanten bedeutet das in erster Linie: mehr Arbeit. Ärgerlich!

9. Haltung: Was vielen Journalisten übrigens fehlt: Haltung. Bisschen Rückgrat. Eine Überzeugung, zu der man steht und bei der man auch bleibt. Ist bei der AL nicht anders. Wir: Fähnchen im Wind! Haben wir uns in den vergangenen Wochen noch permanent dabei eingenässt, billige Witze über Friedhelm Funkel und die Hertha zu reißen, haben wir jetzt, nach diesem furiosen Dreier in Freiburg überhaupt gar kein Problem damit, die totale Kehrtwende zu machen und Friedhelm Funkel abzufeiern.

Und zwar nicht nur für den Dreier, sondern vor allem dafür, dass er den Gegner wie einst Felix Magath die Bayern auch noch so richtig mies mit einer Einwechslung demütigte: In der 72. Minute also brachte Friedhelm Funkel mit einem äußerst dreckigen Grinsen Artur Wichniarek. Artur Wichniarek! Und das finden wir so was von stark, dass wir über Friedhelm Funkel nie wieder ein schlechtes Wort verlieren wollen. [Bis auf Weiteres.]

 

10. Kommentar: Was auch immer gut geht: Stimmungsmache! In Hannover zum Beispiel hat Martin Kind gerade gesagt, dass mit der "heutigen Situation die Frage berechtigt [ist], ob wir den Falschen geholt haben", und damit hat Martin Kind also kurz mal öffentlich die Spekulationen über den dritten (!) Trainerwechsel der Saison angeheizt. Und die AL findet: Die Hauptsache ist immer, dass man überhaupt was macht und nicht nur tatenlos zuschaut, von daher: Warum denn nicht?! Lothar Matthäus sagte ja erst am Sonntagabend wieder: "Ich bin bereit!" Probieren Sie doch den mal aus, Martin Kind! Schlimmer kann es eh nicht werden.

11. Frage, ernst: Wobei wir gerade in Sachen Hannover noch mal eine Frage an die BILD loswerden müssen. Und die ist sogar ernst gemeint: Wenn man einen Sympathen wie Andreas Bergmann interviewt und dabei ganz gezielt auf die Frage zusteuert: "Wären Sie ohne Enkes Selbstmord heute noch 96-Trainer?", woraufhin Andreas Bergmann ja gar nichts anderes sagen KANN als: "Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, ja. Die Mannschaft hat ihren Kapitän verloren und den Nationaltorwart. Das hat sie nicht verkraftet - bis heute", wenn man sein Interview also so aufbaut, um aus so einer Antwort die ZITAT-Überschrift: "Ohne Enkes Tod wäre ich noch Hannover-Trainer" zu machen: Ist dann die Kritik des Louis van Gaal nicht eigentlich noch viel zu freundlich und eng gefasst?

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