Robert Enke: "Die Leere ist immer da"

Von Haruka Gruber
Trauer in Hannover: Die Fans trauerten vor der AWD-Arena um Robert Enke
© Getty

Mit einem Selbstmord schied Robert Enke im Alter von 32 Jahren aus dem Leben. Nach einer "Tour der Leiden", dem Tod seiner Tochter und vielen Rückschlägen. Dennoch kam der Suizid aus dem Nichts. Deutschland hat ein Vorbild und eine Ikone verloren.

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"Aufprall auf eine Person. RE 4427 prallte im Gleis HHAG - HNRU in km 37,0 auf eine männl. Person und verletzte sie tödlich. Urs.: Suizid. Strecke HHAG - HNRU von 18.17 Uhr bis 20.52 gesperrt. RE 4427 um 20.02/+108 weitergefahren."

So lautete die Mitteilung der Deutschen Bahn zur Tragödie, die Deutschland am Dienstagabend in Schockzustand versetzte. HHAG steht für Hagen (Hannover), HNRU für Neustadt am Rübenberge und +108 für die 108-minütige Verspätung, nach der der Regionalexpress 4427 um 20.02 Uhr seine Fahrt fortsetzte.

Es ist die bürokratische Beschreibung eines Ereignisses, das auch nach einer Nacht Schlaf niemand im vollen Umfang begreifen kann. Robert Enke, Ehemann, Vater und deutscher Nationaltorwart, ist tot. Er hat sich selbst vor den Zug geworfen.

Mittwoch Interview geplant

Von einem Abschiedsbrief ist bisher nichts bekannt, und auch seine Vorgesetzten von Hannover 96 tappen wie die Öffentlichkeit im Dunkeln. 96-Präsident Martin Kind geht von privaten Gründen für den Freitod aus und machte bei Enke eine labile Psyche aus, die dieser "überlagert" habe.

Laut der "Bild"-Zeitung befand sich Enke in psychologischer Behandlung und die "Süddeutsche Zeitung" schreibt von "engen Begleitern", die Enke zuletzt einsilbiger und verschlossener erlebt hätten. Dass Enke schon bei seiner ersten Bundesliga-Station in Mönchengladbach angeblich mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte, berichtet die "Rheinische Post".

Fakt ist: Für Mittwoch hatte Enke einen Interview-Termin vereinbart. Und 96-Trainer Andreas Bergmann suchte noch vor einigen Tagen eigens den Konflikt mit Bundestrainer Joachim Löw und machte sich stark dafür, dass sein Torwart zur Nationalmannschaft nachnominiert wird, da man Enke die Möglichkeit geben sollte, "sich wieder zu zeigen".

Tod der Tochter

Enkes Suizid kam - wie es scheint - aus dem Nichts, auch wenn er in den letzten Jahren wie kaum ein anderer Bundesliga-Profi vom Schicksal gebeutelt wurde. In dieser Saison erkrankte der 32-Jährige an einer mysteriösen Virusinfektion, die ihn neun Bundesliga-Spiele, das entscheidende WM-Qualifikationsspiel in Russland und womöglich die Rolle der Nummer eins im DFB-Team kostete. Das Hinspiel gegen Russland ein Jahr zuvor verpasste er bereits wegen eines Kahnbeinbruchs.

Das einschneidendeste Erlebnis ereignete sich jedoch im September 2006. Tochter Lara verstarb im Alter von zwei Jahren. Bereits mit einem Herzfehler zur Welt gekommen, musste sie sich mehreren Operationen unterziehen - doch ihr Zustand wurde zunächst als stabil eingestuft. "Das meiste ist erst einmal geschafft", sagte Enke damals. Nach einem eigentlich harmlosen Eingriff am Gehör, das wegen all der Medikamente beschädigt war, hörte Laras Herz jedoch auf zu schlagen.

Ende der "Tour der Leiden"

Enke versuchte den Schicksalsschlag zu verarbeiten, indem er schon sechs Tage später für 96 wieder auf dem Fußball-Platz stand. Er sprach mit einigen Wochen Abstand offen mit den Medien über die Trauerbewältigung und ließ sich gemeinsam mit Ehefrau Teresa den Namen Lara als Tattoo stechen. Im Mai dieses Jahres adoptierten beide die damals zwei Monate alte Leila. Enke galt als gefestigt und in sich ruhend.

"Natürlich gibt es immer wieder Phasen, in denen es sehr, sehr schwierig ist. In denen man sich fragt: Hätte Laras Tod verhindert werden können? Die Leere, wenn jemand stirbt, die ist immer da", erklärte Enke. Er sagte aber auch: "Die Trauer darf dich nicht besiegen."

Ausgerechnet in der schwersten Phase seiner Karriere gewann Enke an Profil. Der sonst so zuverlässige, aber eben auch unscheinbare Keeper als Vorbild, der den Rückschlägen und Sinnkrisen trotzte und als Torhüter derart überzeugte, dass er im März 2007 erstmals in der Nationalmannschaft eingesetzt wurde. Mit 29 Jahren schien seine "Tour der Leiden" ("Player") endlich ein Ende genommen zu haben.

Tiefer Fall in Barcelona

Erstmals aufgefallen war Enke kurz vor der Millennium-Wende. Nach zwei Jahren Lehrzeit in Mönchengladbach beförderte ihn Friedel Rausch 1999 zur Nummer eins. Obwohl die Borussia in dieser Saison abstieg, war Benfica Lissabon von ihm angetan und verpflichtete Enke, der ein Jahr später sogar zum Kapitän befördert werden sollte.

Damals war Enke ein rastloser Youngster, der nach immer Höherem strebte - und jäh abstürzte. 2002 ging er zum FC Barcelona, absolvierte dort aber nur drei Pflichtspiele. Der ungeduldige Enke ließ sich nach einem Jahr an Fenerbahce Istanbul ausleihen. Obwohl er kein gutes Gefühl hatte, "aber ich habe es mir schön geredet".

In Istanbul folgte der endgültige Karriereknick. Nach einer schwachen Leistung im ersten Pflichtspiel wird Enke von den Fans mit Handys, Feuerzeugen und Bierflaschen beworfen, woraufhin er aus der Türkei flüchtet. "Bevor man noch unglücklicher wird, zieht man lieber einen Schlussstrich", sagte Enke damals. In der Türkei hieß es, er sei zu sensibel.

Ikone in Hannover

Ein halbes Jahr war Enke arbeitslos, bevor er mit Teneriffa einen neuen Klub fand. In den Niederungen der zweiten spanischen Liga. Er fiel nicht besonders auf, aber in Hannover erinnerten sich die Verantwortlichen an den einst so talentierten Torwart und holten ihn zurück in die Bundesliga.

Enke dankte es, indem er sich zum vielleicht größten Fußball-Star entwickelte, den Hannover je hatte. Mit seiner unaufgeregten, aber sympathischen Art wurde er zum Aushängeschild des sonst so grauen Mittelfeld-Klubs. Und der nachdenkliche Enke schien endlich seine innere Mitte gefunden zu haben.

"Alles hat einen Sinn"

Trotz der überschaubaren Perspektiven in Hannover und des Interesses vieler Topklubs - noch vor wenigen Wochen soll Hamburg Kontakt aufgenommen haben - blieb Enke fünf Jahre bei 96. "Natürlich könnte ich, wenn ich es darauf anlege, zu einem größeren Verein wechseln", sagte Enke - und hielt dann doch Hannover die Treue. Bis zum 10. November 2009.

Als er vor einem Jahr in einem Interview gefragt wurde, ob er an Gott glaube, an ein Schicksal, sagte er: "Ich weiß nicht, ob jemand das Leben lenkt. Aber so viel weiß ich: Man kann es nicht ändern. Ich glaube, dass alles einen Sinn hat."

Wie Enkes Beerdigung aussehen wird, ist nicht bekannt. Für seine Tochter Lara war es ihm und seiner Ehefrau ein Bedürfnis, dass sie "so bunt und hell wie möglich" beigesetzt wird.

"Das hat besser zu ihr gepasst als eine große schwarze traurige Masse", sagte Enke. "Viele unserer Freunde haben gesagt, es war ein schöner Tag. Trotz der Trauer."

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