Ismael: "Ich habe meinen Körper geopfert"

Von Interview: Petra Philippsen
Valerien Ismael spielte seit 2003 für Bremen, Bayern und Hannover in der Bundesliga
© Getty

Am Montag hat ein unabhängiges Gutachten traurige Gewissheit gebracht: Nach 113 Bundesligaspielen für Werder Bremen, Bayern München und Hannover 96 musste Valerien Ismael aufgrund einer hartnäckigen Knieverletzung seine Karriere beenden. Der 34-Jährige galt zu seiner Glanzzeit als einer der besten Innenverteidiger der Bundesliga und holte mit Bremen und Bayern jeweils das Double. Sein letztes Pflichtspiel bestritt Valerien Ismael am 19. September 2008, als er mit Hannover 0:4 in Leverkusen verlor.

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Im Interview mit SPOX spricht Valerien Ismael über seine lange Leidenszeit und seine Pläne für die Zukunft. Er erzählt, welcher Traum unerfüllt bleiben wird und ob er die Zeit bei den Bayern bereut.

SPOX: Seit Montag sind Sie offiziell Sportinvalide. Ist das ein schwerer Moment für Sie?

Valerien Ismael: Für die Öffentlichkeit ist das jetzt so, aber ich weiß es ja schon seit einem Jahr und hatte Zeit, das zu verdauen. Es wäre schlimm, wenn ich mich verletzt hätte und von einem Tag auf den anderen wäre es vorbei gewesen. Dann hätte ich ein Riesenproblem gehabt. Bei mir war es aber ein Prozess, ich konnte mich orientieren und mir neue Ziele setzen. Im Endeffekt hatte ich Glück, wie es gelaufen ist.

SPOX: Wann fingen die Probleme mit dem Knie an?

Ismael: Das liegt schon lange zurück. Im Jahr 2000 hatte ich damals noch in Lens eine Meniskus-Operation im rechten Knie. Ich konnte danach wieder spielen, aber das Risiko war da, dass mit einem Stück Meniskus weniger irgendwann etwas passiert. Die Probleme bekam ich dann, als ich mir 2006 bei den Bayern das linke Bein brach. Ich habe durch die Schonhaltung mein rechtes Bein mehr belastet und bekam einen chronischen Reiz im Knie. Dann kam ein Knorpelriss dazu, 2007 hatte ich die erste Operation. Die Schonhaltung ging wieder auf das linke Bein, dann hatte ich wieder Schmerzen im anderen. Es war eine Kettenreaktion, ich bin seit 2006 nie wieder richtig auf die Beine gekommen.

SPOX: Dennoch haben Sie zunächst immer an ein Comeback geglaubt. Wie schwer fiel Ihnen die Motivation?

Ismael: Irgendwann fragt man sich schon, ob das alles noch Sinn macht. Beim Aufstehen und Treppensteigen hatte ich Schmerzen, wenn ich zwanzig Minuten mit dem Hund spazieren ging, hatte ich Schmerzen und musste umkehren - da macht man sich natürlich Gedanken. Das soll mein Leben sein? Und dann sagen dir die Ärzte, ich müsste auch mal daran denken, was denn in zehn oder 15 Jahren ist. Ich will noch Kinder haben und mit ihnen vielleicht ein bisschen im Garten Fußball spielen. Da musste ich mich fragen, ob es sich noch lohnt, sich für ein paar weitere Monate Fußball zu quälen und dafür die spätere Lebensqualität aufs Spiel zu setzen.

SPOX: Haben Sie sich diese Frage denn rechtzeitig genug gestellt? Oder haben Sie Ihrem Körper zu viel angetan?

Ismael: Ich glaube, dass ich vernünftig geblieben bin, aber ich bin schon an die Grenze des Machbaren gegangen. Ich habe auch mit Schmerzmitteln gespielt. Als Leistungssportler hat man natürlich enormen Ehrgeiz und nur ein Ziel und denkt nicht unbedingt an die Konsequenz. Im letzten September habe ich den Schlag bekommen und drei Monate pausiert. Dann habe ich wieder zweimal täglich trainiert und bin nur noch gehumpelt. Da fing ich an, doch auf meinen Körper zu hören und ich spürte, dass ich wohl aufhören muss.

SPOX: Wie schauen Sie auf Ihre Karriere zurück?

Ismael: Ich habe meinen Körper geopfert. Ich habe zu 100 Prozent für meinen Sport und meine Leidenschaft gelebt. Ich habe alles gegeben, auch meine Gesundheit. Aber ich bin nicht frustriert, ich bin stolz auf meine Karriere. Und zum Glück ist es jetzt erst passiert. Es wäre schlimm gewesen, wenn ich mit 24 Jahren hätte aufhören müssen, ohne etwas erreicht zu haben.

SPOX: Gibt es denn etwas, das Sie in Ihrer Karriere gerne noch erreicht hätten?

Ismael: Ich bin ein bisschen traurig, dass ich nicht für Frankreich oder auch für Deutschland international spielen konnte. Das wäre die Krönung gewesen. Ich habe eigentlich alles erreicht, nur dieses letzte Ziel leider nicht geschafft. Aber das Positive überwiegt.

SPOX: Können Sie überhaupt noch Sport treiben oder lässt das Knie das nicht zu?

Ismael: Ich kann noch Krafttraining machen und Fahrrad fahren. Wenn ich zwanzig Minuten ein bisschen Fußball spiele, habe ich drei Tage Schmerzen und ein dickes Knie. Joggen wäre auch nur Quälerei, ich hätte keinen Spaß dabei. Danach müsste ich eine Woche Pause machen.

SPOX: Müssen Sie sich noch einmal operieren lassen?

Ismael: Auf lange Sicht werde ich ein künstliches Kniegelenk bekommen. Im Moment geht es noch so, ich darf nur nicht zunehmen. Mein Feind im Moment ist mein Gewicht (lacht).

SPOX: Haben Sie aus der schweren Zeit Positives ziehen können?

Ismael: Schon, ich habe ein Körpergefühl entwickelt. Jetzt weiß ich, wenn ich zum Beispiel Kopfschmerzen habe, woran es liegt. Und das Gute ist, dass ich später weiß, was man jungen Spielern sagen muss, wenn sie sich verletzen. Ich weiß, wie es ist, kann ihnen helfen, aber ich würde ihnen auch sagen, wenn es besser ist, dass sie aufhören. Ich würde auch als Manager nie sagen, dass ein Spieler auf Kosten seiner Gesundheit weiterspielen. Das wird es mit mir nie geben.

SPOX: Sie denken schon an Ihre Zukunft als Sportdirektor. Wann kam der Berufswunsch auf?

Ismael: Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, als ich mir das Bein brach und eine Woche mit Schmerzen und hohem Fieber im Krankenhaus lag. Das war die schlimmste Woche meines Lebens. Da habe ich mich gefragt, was ich in meinem Leben erreicht hatte, sportlich wie auch für meinen Intellekt. Ich habe weitergespielt, aber der Gedanke war in meinem Hinterkopf. Und als ich mich im letzten Jahr wieder verletzte, wusste ich, ich muss etwas für mich tun. Ich fing an, Betriebswirtschaft, Spanisch und Englisch an der Fachhochschule in Hannover zu studieren.

SPOX: Also richtig im Hörsaal wie ein normaler Student?

Ismael: Klar, ich habe mich ganz normal auf einen Stuhl gesetzt, zugehört und meine Fragen gestellt. Ich hatte erst ein Fernstudium angefangen, aber ich hatte einfach zu viele Fragen. Deshalb bin ich in den Hörsaal gegangen. Aber es war einfach nur für mich, ich habe noch keinen Abschluss (lacht).

SPOX: Momentan absolvieren Sie bei Hannover 96 ein Praktikum. Dürfen Sie mehr machen als Kaffee kochen?

Ismael: Na ja, es ist wohl mehr ein Luxus-Praktikum. Ich lerne jeden Tag, und für die Möglichkeit bin ich Hannover 96 wirklich dankbar. Ich darf reinschnuppern, aber eben richtig reinschnuppern. Ich sehe, wie alles funktioniert. Ich lerne etwas über Finanzen und Menschenführung. Für mich ist das Praktikum Gold wert. Ich habe jetzt im Kopf schon die Seiten gewechselt, ich sehe alles aus Sicht eines Vereins und nicht mehr aus der des Spielers. Das ist auch ganz wichtig. Es gibt nichts Schöneres, als Fußballer zu sein, aber für meinen Intellekt und meine Persönlichkeit fängt jetzt das Leben an.

SPOX: Wird das weiter in Hannover sein?

Ismael: Wir werden uns im November zusammensetzen und besprechen, wie es weitergeht. Ich fühle mich sehr wohl dort, aber ich bin eigentlich offen für alles. Nur würde ich gerne in Deutschland bleiben. Ich bin fast sieben Jahre hier, und es ist mehr als nur eine zweite Heimat für mich geworden.

SPOX: In Bremen fühlten Sie sich auch schnell heimisch, lernten enorm schnell Deutsch. War Werder die schönste Zeit?

Ismael: Sportlich gesehen bestimmt, da war Bremen etwas ganz Besonderes für mich. In der Saison 2003/04 hat fußballerisch, in der Mannschaft und im Verein einfach alles gepasst.

SPOX: Haben Sie den Wechsel zu den Bayern je bereut?

Ismael: Aus emotionaler Sicht schon, aber für meine Karriere war es damals der richtige Schritt. Und gerade jetzt merke ich, wie sehr ich davon profitiere, dass ich mehrere Vereine und viele Menschen kennen gelernt habe.

SPOX: Haben Sie noch Kontakt zu Johan Micoud?

Ismael: Wir haben vor ein paar Monaten telefoniert, ab und zu smsen wir. Er hat jetzt mit ein paar Spielern ein Weingut gekauft und gerade seinen ersten Bordeaux herausgebracht. Er geht einen anderen Weg als ich.