"Bayern ist immer Titelkandidat Nummer eins"

Von Interview: Christian Bernhard
Der 28-jährige Andrea Barzagli wechselte im Sommer 2008 von US Palermo zum VfL Wolfsburg
© Getty

Im Sommer 2008 wechselten die beiden Italiener Andrea Barzagli und Cristian Zaccardo zum VfL Wolfsburg. Während Zaccardo unter Felix Magath kaum zum Einsatz kommt, hat sich sein Landsmann als unumstrittener Chef der Defensive etabliert. Barzagli über den Magath-Wechsel, die Eingewöhnungszeit in Wolfsburg und den sportlichen Höhenflug der Wölfe.

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SPOX: Herr Barzagli, wie haben Sie die Entscheidung von Felix Magath, den VfL im Sommer zu verlassen, aufgenommen?

Andrea Barzagli: Natürlich kam die Nachricht überraschend für uns, aber wir dürfen uns jetzt nicht damit beschäftigen. Unsere volle Konzentration gilt dem Meisterschafts-Endspurt. Was in der neuen Saison passiert, werden wir sehen.

SPOX: Magaths Verhandlungen und die Bekanntgabe seines Wechsels fielen mitten in den heiklen Saisonendspurt...

Barzagli: Das gehört zum Fußball. Transfergerüchte gibt es das ganze Jahr über, sei es um Spieler oder um Trainer. Das Wichtigste ist, dass man sich davon nicht beeindrucken lässt. Und übrigens: In Italien ist das alles noch viel schlimmer (lacht).

SPOX: Für Magath ist Wolfsburg jetzt Titelfavorit...

Barzagli: Eins ist mal klar: Wir sind nicht in die Saison gegangen, um Meister zu werden. Aber jetzt stehen wir da oben und wenn wir schon mal da sind, versuchen wir auch, da zu bleiben. Prinzipiell haben wir aber sehr viele junge Spieler, denen es noch an Erfahrung - vor allem im Meisterkampf - fehlt.

SPOX: Bei Bayern hat sich schon früher was auf der Trainerposition getan. Ist der FCB jetzt noch gefährlicher?

Barzagli: Bayern ist immer Titelkandidat Nummer eins. Sie haben so viel Klasse, so viel Erfahrung. Dass es was mit dem Trainer zu tun hat, glaube ich nicht. Trainerentlassungen gehören zum Fußball dazu.

SPOX: Die Frage ist eher, ob mit Klinsmann nicht vielleicht das Alibi für die Spieler weg ist und Sie sich mehr anstrengen werden.

Barzagli: Um diese Frage genau beantworten zu können, müsste man Interna von der Säbener Straße kennen - und die kenne ich nicht. Aber ich stimme Ihnen zu: So ein Wechsel setzt oft ungeahnte Kräfte frei.

SPOX: Zu Beginn der Saison waren Sie vom harten Training unter Magath überrascht. Das hat sich aber offenbar ausgezahlt...

Barzagli: (lacht) Das stimmt, am Anfang musste ich mich erst an die neuen Trainingsmethoden gewöhnen, das ging aber ziemlich schnell. Zu Magath habe ich von Anfang an eine absolut respektvolle Beziehung aufgebaut, was sehr wichtig ist.

SPOX: Was macht Magath als Trainer so besonders?

Barzagli: Unter ihm lässt niemand auch nur für eine Sekunde locker. Alle müssen sich stets aufs Neue beweisen, das ist sehr wichtig. Wehe dem, der sich auch nur ein bisschen hängen lässt...

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SPOX: Ihr Landsmann Cristian Zaccardo hat sich im Gegensatz zu Ihnen nicht durchsetzen können. Warum?

Barzagli: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich habe mir schnell einen Stammplatz erarbeitet und diesen mit guten Leistungen bestätigt. Cristians Eingewöhnungszeit dauerte etwas länger, und dann hat er sich auch noch verletzt. Er hatte wirklich Pech. Trotz allem bleibe ich dabei: Wenn er fit ist und alles passt, kann er mit seiner Erfahrung eine wichtige Rolle für uns spielen.

SPOX: Wenn er geht - gehen Sie dann auch?

Barzagli: Seine Situation hängt nicht mit meiner zusammen. Ich weiß auch noch nicht, ob er nach Italien zurückkehrt. Klar freue ich mich über einen anderen Italiener im Team, aber meine Entscheidungen betrifft das überhaupt nicht.

SPOX: Sie haben die Entscheidung nach Wolfsburg zu gehen, also nie bereut?

Barzagli: Absolut nicht. Wolfsburg ist eine schöne Erfahrung, ich fühle mich auch abseits des Platzes sehr wohl. Hier ist alles sehr gemütlich. Natürlich hängt das allgemeine Befinden immer auch mit dem sportlichen Erfolg zusammen. Deshalb kann ich mich in keiner Weise beklagen.

SPOX: In Wolfsburgs Abwehr sind Sie der Chef. Wie läuft das eigentlich mit den Kommandos? Immerhin ist die Viererkette sehr international besetzt.

Barzagli: Das läuft schon auf Deutsch. Die wichtigsten Wörter beherrsche ich. Manchmal hilft man sich auch auf Englisch oder im Training mit einem Übersetzer aus. Das Gute ist, dass es im Fußball keine großen Geheimnisse gibt. Entweder man versteht sich, oder man versteht sich nicht.

SPOX: Sind Sie auf dem Platz eher laut oder eher besonnen?

Barzagli: Nein, nein, ich spreche wirklich sehr viel! In der Abwehr muss man ja auch viel miteinander kommunizieren. Für mich ist das sehr wichtig.

SPOX: Und wie läuft der Deutschunterricht?

Barzagli: (lacht) Ehrlich gesagt noch nicht so toll. Ein bisschen besser als am Anfang ist es schon, aber die Zeit ist nun mal relativ knapp.

SPOX: Können Sie trotz der Sprachprobleme eine Führungsperson sein?

Barzagli: Ich glaube schon, dass mich die jungen Spieler schätzen. Der Verein hat mich sicher auch wegen meiner Erfahrung geholt. Es gibt bei uns auch andere erfahrene Spieler, die Mischung aus jungen und international routinierten Spielern ist sehr gut.

SPOX: In Italien haben Sie gegen Topstars wie Zlatan Ibrahimovic, Francesco Totti oder Kaka gespielt. Wer war in der Bundesliga bislang Ihr härtester Brocken?

Barzagli: Die drei Hoffenheim-Stürmer in der Hinserie oder auch die beiden Leverkusener Patrick Helmes und Stefan Kießling waren sehr stark. Und natürlich Mario Gomez. Sie sehen schon: Es gibt einige starke Stürmer, man muss immer auf der Hut sein.

SPOX: Und wie stark sind Ihre Stürmer Edin Dzeko und Grafite im internationalen Vergleich?

Barzagli: Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann, aber sage Ihnen mal was: Wenn jemand 20 Tore schießt, ist er ein guter Stürmer, egal wo er spielt. Das hat nichts mit der Qualität der Liga zu tun. Dzeko hat im Vergleich zu Grafite das Alter auf seiner Seite, deswegen stehen ihm vielleicht für die Zukunft noch mehr Türen offen.

SPOX: Bosniens Nationalcoach Miroslav Blazevic hat gesagt, dass Dzeko mal ein ganz Großer wird. Hat er das Zeug für Milan oder Inter?

Barzagli: Er ist jung, will sich beweisen und macht seine Sache bei uns und im Nationalteam sehr gut. Einen Fehler dürfen wir aber nicht machen: Ihn mit allzu großen Erwartungen unter Druck setzen. Es wird hauptsächlich von ihm abhängen, ob er ein Mann für ein Topteam wird, oder nicht.

SPOX: Stimmt die allgemeine Wahrnehmung, dass in der Bundesliga im Vergleich zur Serie A im Training eher weniger auf taktische Elemente gesetzt wird?

Barzagli: Ich kann nur von Wolfsburg sprechen und da stimmt es schon, dass in Italien noch mehr am taktischen Aspekt gearbeitet wird. Das ist aber auch eine Philosophiefrage. In Deutschland wird viel Wert auf das Offensivspiel gelegt. In Spanien steht letztlich der Ballbesitz im Vordergrund und in England mehr das physische Element.

SPOX: Italiener gelten gemeinhin als Defensivspezialisten. Wo liegen die Unterschiede in der Abwehrarbeit zwischen Italien und Deutschland?

Barzagli: In Deutschland wird offensiver gespielt, man ist als Abwehrspieler öfter unter Druck. In Italien wird nicht nur taktisch sehr viel defensiv gearbeitet, man probiert auch Systeme mit vier oder fünf Verteidigern. In Deutschland kümmert man sich mehr um das Team als Ganzes, ohne einzelne Mannschaftsteile gezielt herauszunehmen.

SPOX: Hat die Bundesliga die Serie A mittlerweile schon überholt, wenn man alle Faktoren - also auch die Attraktivität, den Zuschauerschnitt und die Infrastruktur - zusammennimmt?

Barzagli: Ich würde da zwei Aspekte trennen. Die Stadien und die Stimmung, die die Fans machen, sind in Deutschland wirklich sehr schön und fair. Die neuen Arenen, die mehr als nur Fußballstadien sind, bieten den Zuschauern auch viele andere Möglichkeiten. Das ist die eine Seite. Fußballerisch sehe ich die Bundesliga noch nicht so weit wie die Serie A. In Italien spielen Weltstars und Weltfußballer des Jahres, die der Bundesliga noch fehlen. Deutschland entwickelt sich aber gut, es gibt sechs oder sieben starke Mannschaften. Das spricht für die Liga.

SPOX: Deutschland war mal das Land der Vorstopper: Karl-Heinz Förster, Jürgen Kohler, Guido Buchwald. Hatten oder haben Sie eigentlich ein Vorbild auf Ihrer Position?

Barzagli: Nein, ich hatte nie Abwehrspieler als Vorbilder, mir haben immer die Stürmer gefallen. Als Kind war ich großer Fan von Marco van Basten. Ich habe meine Karriere auch nicht in der Abwehr, sondern weiter vorne im Mittelfeld begonnen und wurde dann immer weiter nach hinten gezogen (lacht). Ich habe einfach zu wenig Tore geschossen.

SPOX: Ihr Teamkollege Marcel Schäfer hat einem Freund schon als Grundschüler gesagt, dass er Fußballprofi wird. Wie lief das bei Ihnen?

Barzagli: Klar habe ich davon geträumt, Profi zu werden. Bis ich 17 Jahre alt war, habe ich damit aber überhaupt nicht gerechnet. Erst mit 17 bin ich von zu Hause weg, habe meine Erfahrungen gemacht und mich immer weiter nach oben gespielt.

SPOX: Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Ihnen klar wurde, es könnte klappen?

Barzagli: Ja, als ich mit 17 das erste Mal Geld damit verdient habe, damals bei einer Amateurmannschaft in Florenz. Zwei Jahre später war ich dann in der dritten Liga, so wurde es zu meinem Beruf.

SPOX: Trotz Ihrer konstant guten Leistungen wurden Sie seit der EM nicht mehr in die italienische Nationalmannschaft einberufen. Wie erklären Sie sich das?

Barzagli: Erstmal ist es keine Selbstverständlichkeit, unter den 23 Nationalspielern Italiens zu sein. Es ist völlig normal, dass man da mal außen vor bleibt. Marcello Lippi kennt mich, er weiß, was er an mir hat. Ich muss mich einzig und allein darauf konzentrieren, weiter meine Leistung zu bringen. Momentan spielen sich eben andere Spieler ins Rampenlicht.

SPOX: Fiorentinas Alessandro Gamberini und Salvatore Bocchetti (FC Genua) zum Beispiel. Sind die besser als Sie?

Barzagli: Das ist keine Frage von Über- oder Unterlegenheit. Viele Faktoren spielen eine Rolle, zum Beispiel, wie erfolgreich dein Team ist. Ich wurde mit 24 Jahren als Palermo-Spieler zum ersten Mal einberufen. Palermo war damals keine besonders erfolgreiche Mannschaft. Da haben sich sicher einige andere gedacht: Wieso er und ich nicht ich? Das gehört zum Spiel dazu, der Nationalcoach muss ja auch neue Spieler kennenlernen.

Andrea Barzagli im Steckbrief