Anarchie im Land der Talente

Von Josip Radovic
Bosnische Fußballfans protestieren gegen die mafiösen Verhältnisse des Verbandes
© Imago

Einst aus ihrer Heimat vor den Bomben geflüchtet, sind sie heute die Kanoniere der Bundesliga: die bosnischen Nationalspieler Vedad Ibisevic, Sejad Salihovic und Edin Dzeko. Durch die Erfolgsgeschichten der Balkan-Kicker sind in ihrem Heimatland neue Vorbilder entstanden. Das gibt Bosnien und Herzegowina Hoffnung auf eine bessere sportliche Zukunft. Den dortigen Fußball verbessert es kurzfristig aber nicht.

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Für Fans ist ein Spiel der bosnischen Premijer Liga inzwischen reinste Zeitverschwendung. Sämtliche Stadien sind baufällig, die meisten Plätze schwer bespielbar. Ein Umstand, der das ohnehin dürftige Spielniveau unterstützt.

Zudem ist es in Bosnien ein offenes Geheimnis, dass Spiele verschoben und Schiedsrichter gekauft werden. Der Verband NFSBIH (Nogometni/Fudbalski Savez Bosne i Hercegovine) verschließt vor den Problemen die Augen. Die Organisation im Verband ist laienhaft, die Zuständigkeitsbereiche sind nicht eindeutig geklärt. Das Resultat sind interne Machtspielchen zwischen Spielern und Funktionären.

Höhepunkt des Machtkampfes war der 2007 ausgerufene Spielerstreik, an dem die Bundesliga-Akteure Zvjezdan Misimovic und Zlatan Bajramovic beteiligt waren.

Verband bestimmt Kader

Dabei ließen 13 aktuelle Nationalspieler verlauten, nicht mehr für das Auswahlteam aufzulaufen, solange die Führung des Verbands nicht zurücktritt. Sie warfen den Verantwortlichen kriminelle Machenschaften vor. Demnach soll die Verbandsführung dem Nationaltrainer vorgeschrieben haben, bestimmte Spieler zu nominieren, damit deren Marktwerte steigen.

Der Verband machte den Spielern Zugeständnisse, der Boykott wurde aufgehoben.

Im Mai 2008 ereignete sich der bislang letzte Skandal. Hinter dem Rücken von Nationaltrainer Meho Kodro nahm der Verband 100.000 Euro vom iranischen Fußball Verband an, um gegen den Iran anstatt gegen Polen anzutreten.

Kodro wurde über die Umstände nicht informiert und weigerte sich, gegen den Iran anzutreten. Wenige Stunden später war er seinen Job los.

Schiedsrichter-Bestechung im großen Stil

Doch nicht nur der Verband, sondern auch die Schiedsrichter tragen ihren Teil dazu bei, dass der bosnische Fußball nicht auf die Beine kommt. So ist der nationalen Berichterstattung zufolge fast jedes Spiel der Premijer Liga gekauft und die Schiedsrichter bestochen.

Der ehemalige Refeere Midhat Corbo begründete dies so: "Wenn jemand 5.000 bosnische Mark bietet, fällt es einem doch sehr schwer zu widerstehen."

Zur Veranschaulichung: 5.000 bosnische Mark sind umgerechnet 2.500 Euro. Bedenkt man, dass im Land das Durchschnittsgehalt eines normalen Arbeiters umgerechnet bei etwa 250 Euro pro Monat liegt, beantwortet sich die Frage nach dem Warum von selbst.

Keine Chance für Talente

Die Vereine machen das totale Chaos perfekt. Klubs einigen sich untereinander darauf, ihre Auswärtsspiele absichtlich zu verlieren, um dann im Gegenzug die Punkte bei eigenem Heimspiel zugesichert zu bekommen. In der laufenden Saison haben neun von 16 Teams auswärts noch nicht gewonnen.

Solche Absprachen bleiben nicht lange geheim und führen dazu, dass die Stadien leer bleiben. Im Gegenzug füllen sich unzählige Wettbüros. Denn mit den dubiosen Abmachungen lässt sich viel Geld verdienen.

Die katastrophalen Umstände veranlassen aufstrebende Spieler, bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus der Premijer Liga zu flüchten.

Spieler wie Ibisevic, Salihovic oder Dzeko zeigen, dass durchaus Talente im Land vorhanden sind. Aber sie belegen auch, dass sich diese nur im Ausland angemessen entwickeln können. Denn mit den derzeitigen Verhältnissen in Bosnien ist der Weg in den gut bezahlten Profi-Fußball für jedes noch so große Talent kaum machbar.

Nur Aserbaidschan ist schlechter

Solange der nationale Verband keine Struktur in die eigenen Reihen bekommt und solange die Korruption das tägliche Geschäft bestimmt, solange ist der bosnische Fußball nicht konkurrenzfähig.

Im Liga-Ranking 2008 liegt die Premijer Liga auf Platz 99. Die Statistik führt in ihrer Auflistung 100 internationale Ligen nach Kriterien der Professionalität, Umsatz und anderen wirtschaftlichen Aspekten auf. Hinter der Premijer Liga wird nur noch Aserbaidschan geführt.

Die Verhältnisse führen dazu, dass sich junge, bosnisch-stämmige Spieler wie Neven Subotic oder Marko Marin zunehmend für andere Verbände entscheiden. Bedenkt man, dass vor einigen Jahren der heutige Weltstar Zlatan Ibrahimovic beim Probetraining in der Nationalmannschaft abgelehnt wurde, kann man sich vorstellen, dass nicht gerade die begnadetsten Scouts im Auftrag des Verbandes arbeiten.

Barbarez will nicht

Der aktuelle Nationaltrainer Miroslav Blazevic hat bei seinem Amtsantritt ein klares Ziel ausgegeben. "Mit dieser Mannschaft muss das Ziel ganz klar Südafrika lauten. Ich will an der WM-Endrunde und das schaffe ich auch", sagte der General, der bei der WM 1998 mit Kroatien auf dem dritten Platz landete.

Bosniens Nationaltrainer Blazevic im SPOX-Interview

Blazevic würde einstige Größen des bosnischen Fußballs gerne in seine Arbeit einbinden: "Ich bin bereit, mit Persönlichkeiten wie Sergej Barbarez zusammenzuarbeiten. Nur liegt das nicht an mir. Keiner der Jungs hat sich bislang bei mir gemeldet."

Und das wird sich unter den gegebenen Umständen wohl auch nicht ändern. Barbarez weigert sich bislang, anzupacken.

"Mit diesen Leuten an der Spitze und diesen Verhältnissen wird der bosnische Fußball nie vorwärts kommen. Ich bin bereit etwas für die Nationalmannschaft zu tun, aber nur in einer anderen Umgebung", sagte Bosniens Fußball-Idol.

Auf dem Weg nach Südafrika

Allen Missständen zum Trotz strebt die Nationalmannschaft die erste Teilnahme an einem großen Turnier an. Misimovic und Co. feierten in der WM-Qualifikation beim 7:0 gegen Estland den höchsten Sieg der Geschichte Bosniens. Beim 1:2 in der Türkei war die Blazevic-Elf die bessere Mannschaft.

Zum Wohle des bosnischen Fußballs sollte die WM in Südafrika aber eigentlich ohne Bosnien stattfinden. Denn sonst kommen die korrupten Verbandsmuckel noch auf die Idee, gemäß dem Motto "läuft doch" so weiterzumachen wie bisher.

Bosnien in der WM-Qualifikation