Die Handelsware droht zu erfrieren

Von Stefan Moser
Thiago Neves absolvierte für den HSV nur 209 Bundesliga-Minuten
© Getty

Thiago Neves war ein Star. Doch seit er in Hamburg ist, stürzt der Kurs seiner Aktie immer weiter in den Keller. Seit seiner Jugend ist der Brasilianer ein Spekulationsobjekt für Investoren. Der Hamburger SV aber glaubt an die sportlichen Qualitäten des 23-Jährigen .

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In Brasilien war Thiago Neves ein Star: Fußballer des Jahres 2007, im Alter von 22 Jahren. Führungsspieler bei seinem Klub Fluminense, den er 2008 mit sieben Toren ins Finale der Copa Libertadores schoss. Und schließlich regelmäßige Einsätze für die Selecao bei den Olympischen Spielen in Peking.

Vor seinem Wechsel nach Hamburg im Sommer stand die Aktie Thiago Neves hoch im Kurs - und das nicht nur im übertragenen Sinn. Denn tatsächlich ist der Mittelfeldspieler seit seiner Jugend ein lebendes Spekulationsobjekt für Investoren.

Zynischer Handel mit "ökonomischen Rechten"

Neves wuchs in den ärmlichen Favelas von Curitiba auf, einer 1,7-Millionen-Stadt im Osten Brasiliens. Dort wurde sein Talent erkannt - und damit auch die Chance auf Rendite. Also wurde seine Profi-Ausbildung vorfinanziert, bis sich schließlich ein großer Investor seine "ökonomischen Rechte" sicherte.

Delcir Sonda, ein Multi-Millionär aus Sao Paulo, kaufte die Transferrechte. Auf dem florierenden südamerikanischen Spielermarkt eine gängige Praxis. Sonda selbst hat mehr als siebzig junge Talente unter Vertrag. Vor einem Jahr erst war er auch am Verkauf von Breno zum FC Bayern München beteiligt. Angeblich machte er dabei einen Gewinn von knapp vier Millionen Euro.

"Ich bin eine Handelsware. Daran habe ich mich gewöhnt", sagt Neves selbst. Schwer zu glauben, doch die Aussage belegt zumindest die zynische Atmosphäre, die auf den internationalen Transfermärkten herrscht.

Beiersdorfer: Zwischen Sportdirektor und Investment-Banker

In seinen Grundzügen ist dieser Zynismus ein integraler Bestandteil des Profifußballs selbst.

Und so muss sich HSV-Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer - der vor fünf Monaten noch dafür gefeiert wurde, dass er die heißbegehrte Ware nach Hamburg holte - mittlerweile haarklein das Verlustgeschäft vorrechnen lassen, das ihm droht, sollte Neves die Anpassung an die Bundesliga auch in der Rückrunde nicht gelingen.

Rund 7,5 Millionen Euro zahlte Beiersdorfer im Sommer für Thiago Neves. Dafür erhielt der HSV 80 Prozent der Verkaufsrechte, 20 Prozent blieben in den Händen von Delcir Sonda.

Neves hat in Hamburg nun einen Vertrag bis 2013. Doch nach nur einem halben Jahr, in dem er gerade einmal 205 Bundesligaminuten auf dem Platz stand, ist sein Aktienkurs plötzlich tief im Keller. Ein Weiterverkauf wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein finanzielles Debakel.

Neves: "Es war sehr hart"

Doch ein Verkauf stand ohnehin nie zur Debatte. Denn Beiersdorfer ist kein Investment-Banker. Er hat nicht in erster Linie die wirtschaftliche Rendite zu verantworten, sondern sein Urteil über das sportliche Potential eines Spielers zu fällen.

Und daran glaubt der 45-Jährige weiterhin: "Wir sind nach wie vor von seinen Qualitäten überzeugt", so Beiersdorfer gegenüber SPOX, allerdings brauche Neves "einige Zeit zur Umstellung auf den Fußball in der Bundesliga."

Wie schwer ihm der Start in Deutschland fiel, räumt auch der Spieler selbst ein: "Der Anfang war sehr hart für mich, ich hatte große Anpassungsschwierigkeiten." Das ist das Problem mit der Handelsware Mensch: Manchmal menschelt sie eben. Sie fühlt sich fremd, hält dem Druck nicht stand, verliert jegliches Selbstvertrauen.

"Ich war überrascht, wie eiskalt das Klima in Deutschland ist", erzählt Neves und man wird den Eindruck nicht los, dass er damit nicht ausschließlich das "schreckliche Wetter" meint.

"Der Trainer spricht viel mit Thiago"

In Hamburg versuchen sie, dem 23-Jährigen dennoch etwas Wärme zu geben. So hat Neves etwa einen eigenen Dolmetscher - dessen Dienste Martin Jol auch regelmäßig nutzt. "Der Trainer spricht viel mit Thiago und erklärt ihm alles", versichert Beiersdorfer.

Schließlich gilt auch für den Sportdirektor: "Integration erfolgt in erster Linie auf dem Platz. Durch gute Leistungen steigt die Annerkennung in Mannschaft und Umfeld."

Denn darin sind sich weiter alle einig: Was Neves fehlt, sind vor allem Spielpraxis und Selbstvertrauen - grundsätzlich aber bringt er alles mit, um auch in Deutschland ein Star zu werden.

Thiago Neves im Steckbrief