Die Persönlichkeit als Star

Von Interview: Stefan Rommel
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München - Der Triumph der deutschen U 19 bei der EM in Tschechien ist auch der Triumph von Matthias Sammer.

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Seit April 2006 ist Sammer Sportdirektor beim DFB, unter seiner Leitung  wird das Konzept zur Jugend- und Nachwuchsförderung beim Deutschen Fußball Bund systematisch vorangetrieben.

Im Gespräch mit SPOX erklärt der 40-Jährige den jüngsten Erfolg, gibt einen Ausblick auf die nun anstehenden Aufgaben - und macht sich leider auch große Sorgen.

SPOX: Herr Sammer, wie lautet Ihr Fazit der U-19-EM?

Matthias Sammer: Die EM war geprägt von unserer Mannschaft. Sie hat gezeigt, dass sie sportlich auf höchstem Niveau agieren kann. Aber auch, dass sie eine sehr starke Mentalität an den Tag legt. Neben einer sehr guten Kondition hatten wir auch eine starke Konstitution. Wir hatten Persönlichkeit und wir haben die Kriterien des komplexen Spiels erfüllt. Das hat uns Respekt eingebracht.

SPOX: Es geht nicht um Einzelbereiche, sondern die Symbiose aus vielen Bereichen?

Sammer: Absolut. Es geht um Leistungsvoraussetzungen. Konstitution, Kondition, Technik, Taktik und Persönlichkeit. Komplex angewendet, sichern sie den Erfolg.

SPOX: Kann man in diesem jungen Alter überhaupt schon von fertigen Persönlichkeiten sprechen?

Sammer: Sie sind auf dem Weg dahin. Sie sind mit bestimmten Grundlagen ausgestattet. Darauf haben wir keinen großen Einfluss. Aber wir teilen in bestimmte Kategorien ein, wir selektieren. Wer bringt Führungseigenschaften mit? Wer ist eher ruhig? Wer ist Individualist, aber kein Egoist? Wer ist ein mannschaftsdienlicher Spieler? Hier gilt es, die Ansprachen altersgerecht abzuhalten, da bilden wir frühzeitig Hierarchien. Wir dürfen die Spieler nicht überfordern - aber auch nicht unterfordern. Das war in letzter Zeit vielleicht zu oft der Fall.

SPOX: Wer ist diesbezüglich denn schon sehr weit?

Sammer: Die beiden Benders etwa oder Florian Jungwirth bringen Leaderqualitäten mit, die sehr wichtig sind und die ihren Einfluss innerhalb der Mannschaft auch schon geltend machen. Die Individualität und Unterschiedlichkeit innerhalb einer Mannschaft muss anerkannt werden. Oder auf den Punkt gebracht: Der Star ist die Persönlichkeit.

SPOX: Gibt es für dieses Modell ein Vorbild für Sie?

Sammer: Spanien ist das Nonplusultra im Jugendbereich. Aber auch Frankreich, die Niederlande oder Italien fördern diese Individualität, ohne dabei die Flexibilität in ihrem Spiel zu verlieren.

SPOX: Eine Ihrer Forderungen ist es, "die Außergewöhnlichen zu fördern". Wie hat diese Förderung auszusehen?

Sammer: Die Grundphilosophie ist, das Anders-Sein zu akzeptieren und zu tolerieren. Aber auch zu sehen, wie viel eine Mannschaft davon vertragen kann. Spieler wie Timo Gebhart oder Deniz Naki sind herausragende Individualisten, die den Unterschied ausmachen können. Aber sie können in einer nicht gefestigten Mannschaft auch das ein oder andere kleine Chaos anrichten. Unsere Aufgabe ist es nun, sie zu formen. Insofern hat Horst Hrubesch bei diesem Turnier einen exzellenten Job gemacht. Die Mannschaft hat ihre Individualisten akzeptiert und mitgetragen.

SPOX: Die Basis ist gelegt. Wie geht es jetzt weiter?

Sammer: Seit ich hier bin, waren wir bei fünf von sieben Turnieren dabei, waren zweimal im Halbfinale, einmal Dritter und haben einmal gewonnen. Die Tendenz geht definitiv in die richtige Richtung. Wir haben viele junge Spieler mit unglaublichem Potenzial. Jetzt müssen wir in der Ausbildung dran bleiben und uns weiter verbessern.

SPOX: Aber viele Talente werden den Sprung in ihren Vereinen bis in den Profikader und damit zu Spielpraxis auf hohem Niveau nicht so schnell schaffen. Manchen droht eine Existenz in den Regionalligen.

Sammer: Dieser Übergangsprozess ist eine hochsensible Phase. Er erfordert von den Vereinen auch ein gewisses Maß an Mut, auf den einen oder anderen Spieler auch zurückzugreifen.

SPOX: Üben Sie dann auch sanften Druck auf die Vereine aus?

Sammer: Auf keinen Fall. Aber wir haben die Spieler im Fokus. Horst Hrubesch geht mit dieser Mannschaft in die U-20-WM im nächsten Jahr und wird so nah wie möglich an seinen Spielern dran bleiben und den Kontakt halten. Wir als DFB und vor allem die Vereine müssen die Spieler begleiten. Wir müssen dokumentieren, wie sich die Spieler entwickeln, um dann so optimal und professionell wie möglich Unterstützung bieten zu können.

SPOX: Also muss die gute Kommunikation mit den Vereinen noch weiter verbessert werden.

Sammer: Exakt. Wir müssen begreifen, dass es nicht darum geht, wer wann mehr erwarten darf. Es muss ein Miteinander sein. Wir brauchen Lösungen im Dialog, im Interesse des Spielers.

SPOX: Greift die neu geschaffene 3. Liga in diesem Zusammenhang ins Leere? Viele Spieler werden dort nicht spielen, die Alternative heißt Regionalliga.

Sammer: Wir müssen uns vielleicht ein Modell überlegen, das es den Vereinen eher gestattet, Spieler auszuleihen. Es geht um Spielpraxis. Vielleicht bedarf es eines neuen Transferfensters für Spieler aus dem A-Jugendbereich, so dass die Vereine auch schnell auf Spieler wieder zurückgreifen können.

SPOX: Wäre das nicht Wettbewerbsverzerrung?

Sammer: Von Wettbewerbsverzerrung kann man da nicht sprechen. Wenn so junge Spieler am Ende den Wettbewerb bestimmen sollen, dann machen wir was grundsätzlich falsch im deutschen Fußball.

SPOX: Wie sehen Sie Ihre Rolle zwischen DFB, DFL und den Vereinen?

Sammer: Ich empfinde in erster Linie Dankbarkeit. Ich hatte einen enormen Vertrauensvorschuss seitens des DFB, dafür bin ich sehr dankbar. Vom ersten Tag an hatten wir einen sehr offenen und konstruktiven Dialog zwischen DFB, DFL und den Vereinen.

SPOX: Im Kader der U 19 standen viele Spieler mit Migrationshintergrund. Gehen Sie anders als früher an potenzielle Talente ran?

Sammer: Wir gehen den Weg der Überzeugung und der Leistung des Spielers. Ein wunderbares Beispiel ist Ömer Toprak vom SC Freiburg. Der Spieler hatte den Wunsch, eingebürgert zu werden und für Deutschland zu spielen. Dabei ist es unabdingbar, dass die Identifikation mit Deutschland zuerst vom Spieler ausgeht. Der Wille, mit dem Adler auf der Brust auflaufen zu wollen, muss immer zuerst vom Spieler ausgehen. Wir wollen nicht mit einem Spieler mal schnell ein Turnier bestreiten, um dann danach zu sagen: 'Naja, jetzt schau mer mal.'. Wir gehen nach klaren Richtlinien vor und warten immer zuerst auf ein Signal des Spielers und des Vereins.

SPOX: Was erwarten Sie sich von der kommenden Bundesliga-Saison, auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung junger deutscher Spieler?

Sammer: Ich erwarte, dass ein Trend erkennbar wird, junge deutsche Spieler zu integrieren. Des weiteren, dass wir international wieder mit einer Vereinsmannschaft einen Titel holen. Wir sind auf dem richtigen Weg.

SPOX: Der Kartellamtsbeschluss zur TV-Vermarktung dürfte Ihnen da kaum gefallen. Ein großes Problem im Hinblick auf die Jugendförderung?

Sammer: Die Vereine stehen im Lizenzbereich so unter Druck, dass die Gelder innerhalb der Klubs nach oben fließen. Dementsprechend weniger steht für den Amateur- und Jugendbereich zur Verfügung, da wird dann gekürzt. In der Infrastruktur, in der Nachwuchsförderung. Da, wo es auf den ersten Blick nicht so weh tut. Das bereitet mir große Sorgen.

SPOX: Sehen Sie die positive Entwicklung gefährdet?

Sammer: Natürlich. Weil ich meine, dass die Vereine eher noch größere finanzielle Möglichkeiten haben müssten, um die Attraktivität, im Nachwuchsbereich zu arbeiten, speziell für Trainer, zu erhöhen. Weniger Geld wäre für unseren gemeinsamen Weg unheimlich kontraproduktiv. Wir haben den Beweis erbracht, dass es ein gemeinsames Miteinander im Sport geben muss. Nur so können wir junge Menschen optimal fördern, um im Vergleich mit der internationalen Spitze standzuhalten.