Andrew Luck steht seit Anfang November nach schier unendlicher Odyssee mit seiner Schulterverletzung auf Injured Reserve, seine Saison ist also vorbei. Wie es weitergeht für den Quarterback und die Indianapolis Colts, steht nun in den Sternen, da noch keine gesicherte Prognose möglich ist. SPOX analysiert die Situation um den Quarterback, durchforstet die Krankenakte und beleuchtet, wie es zu der Misere kam.
Verletzungen können ganze Spielzeiten entscheiden und den Weg von Franchises beeinflussen. Eine Franchise, die davon ein Lied singen kann, sind die Indianapolis Colts, die gerade schmerzlich an den Abschied von Peyton Manning aus Indy erinnert werden dürften: Im Jahr 2011 verpasste Manning die komplette Saison mit einer Nackenverletzung, die insgesamt vier Operationen nötig hatte.
Die Colts stürzten komplett ab und bekamen als Trostpflaster für die verkorkste Spielzeit den ersten Pick im Draft 2012. Daraus wurde Andrew Luck, der vielversprechendste junge Quarterback seit Jahrzehnten - seit Manning. Mit ihm sollte die nächste Ära der Colts eingeleitet und damit nahtlos der Übergang von der Manning-Ära geschafft werden.
Neben den üblichen "Growing Pains" lief das Projekt auch vielversprechend an. Doch mittlerweile stellt sich den Colts 2017 eine ähnliche Situation wie 2011. Einziger Unterschied: In diesem Jahr scheint der Backup-Quarterback in Jacoby Brissett nicht ganz so überfordert zu sein wie seinerzeit Dan Orlovsky und Curtis Painter. Die Ergebnisse sind aber ähnlich schwach. Und anders als damals sind eine Trennung von Luck und ein Neuanfang keine Option. Luck ist schließlich erst 28.
Doch wie kam es zu dieser heiklen Lage in Indy? Die genauen Anfänge sind nicht ganz klar. Es wurde jedoch berichtet, dass alles damit begann, dass sich Luck 2015 in Week 3 an der Schulter verletzte. Damals hieß es, es handle sich um eine Stauchung und es gäbe keinen strukturellen Schaden. In der Folge verpasste Luck dann nur zwei Spiele mit der Verletzung. Das Saisonende fand dennoch ohne ihn statt, denn er verletzte sich später schwer (Rippenbrüche und eine punktierten Lunge). Die Schulter jedoch war offiziell kein Problem.
Indianapolis Colts dementieren Schulterprobleme bei Luck
Zu Beginn der Saison 2016 dann machte das Gerücht die Runde, Luck leide an Abnutzungserscheinungen an einer Gelenkslippe in der Schulter. Der damals noch amtierende General Manager Ryan Grigson verwies dies jedoch ins Reich der Fabeln: "Nein. Ihm geht's gut. Er hat eben eine Unzahl Bälle geworfen. Die Medien haben es ja gesehen."
Und auch Teameigner Jim Irsay, der sich generell sehr auskunftsfreudig präsentiert, legte nach: "Da ist keine chronische Schulterverletzung oder irgendwas dieser Art, das verspreche ich Ihnen." Vor Week 4 in London nahm Irsay das Thema dann nochmal auf: "Es sind keine Operationen geplant. Ihm geht es gut." Anschließend stellte Irsay gar eine kühne These auf: "Diese Schulter-Geschichte ist etwas, das verschwinden wird, wenn er seinen nächsten MVP-Award oder den nächsten Super Bowl gewinnt."
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Luck in der Saison 2016 nur ein Spiel verpasste - aufgrund einer Gehirnerschütterung. Seine Schulter wurde zwar stets im Injury Report erwähnt, da er speziell donnerstags nur eingeschränkt oder gar nicht trainierte, doch auf dem Platz sah alles gut aus. Er warf 31 Touchdowns bei nur 13 Interceptions und einem Passer Rating von 96,4. Zudem kam er auf eine Passquote von 63,5 Prozent - sein Karrierebestwert.
Alles gut also? Nicht ganz. Nach der Saison verkündete Irsay plötzlich via Twitter, dass Luck sich einer Schulteroperation unterzogen habe. Da wurde dann auch erstmals öffentlich von Teamseite bestätigt, dass Luck sich mit der Verletzung bereits seit September 2015 herumgeschlagen hatte. Ein Umstand, der bis dahin konsequent verschleiert worden war. Wichtigster Satz in Irsays Statement: "Er wird für die Saison fit sein!" Gemeint war freilich die Saison 2017. Die jetzt ohne ihn läuft.
Indianapolis Colts: Luck besteht Medizincheck zu Saisonbeginn 2017
Das sorgte seinerzeit nicht für große Aufregung, schließlich war es erst Januar. Der Saisonstart lag noch in weiter Ferne. Auch der mittlerweile neue GM Chris Ballard betonte von Anfang an, dass Luck zum Saisonstart einsatzfähig sein werde. Dennoch landete Luck im Camp erstmal auf der Physically-unable-to-perform List (PUP), durfte also nur eingeschränkt mittun. Während der Minicamps und OTAs war er ebenso anwesend, spielte aber keine Snaps.
Selbst zehn Tage vor Saisonbeginn bekräftigte Irsay erneut, dass Luck für Week 1 noch nicht abgeschrieben sei. Und so wurde er schließlich auch am 2. September von der PUP aktiviert, nachdem er einen Medizincheck bestanden hatte. Andernfalls wäre er die ersten sechs Wochen der Saison garantiert ausgefallen, was man nicht riskieren wollte. Schließlich war man weiterhin vom Saisonstart ausgegangen und hatte entsprechend auch nicht für mögliche Alternativen gesorgt: Die Colts traten ähnlich kurzsichtig auf wie vor Mannings finaler Saison.
Das Ende vom Lied: Die optimistischen Prognosen fielen ins Wasser, mit Jacoby Brissett wurde schließlich ein Ersatz per Trade aus New England geholt. Am 17. September gab dieser sein Startdebüt.
Erst Anfang Oktober kehrte Luck ins Training zurück. Ballard gab prompt die Marschroute vor: "Wir werden ihn langsam in dieser Woche im Training heranführen. Wir werden sehen, wie viel er schon machen kann. Aber unser Plan sieht vor, dass er zu einem gewissen Zeitpunkt wieder ins Teamtraining einsteigt. Und wenn wir ihn dann wieder ins Team integriert haben, kriegen wir ihn auch zurück aufs Feld.
Am 18. Oktober meldete sich Ballard mit einem Update: "Luck wird heute und in dieser Woche nicht trainieren. Er klagt über Muskelkater und bekam eine Kortison-Injektion." Injured Reserve, also das Saisonaus, war jedoch keine Option: Das Team plante noch immer mit seiner Rückkehr.
Colts setzen Andrew Luck Anfang November auf IR
29. Oktober: Jay Glazer von FOX Sports vermeldet, dass Luck seit seinem Wurfprogramm einige Wochen zuvor über Schmerzen in der Schulter klagt und nun weitere Meinungen von externen Ärzten einholen will. Vier Tage später setzten die Colts Luck dann schließlich doch auf IR - das war's für 2017.
"Ich wünschte, mir ginge es besser und ich wäre bei 100 Prozent in dieser Saison, aber das ist nicht der Fall", gab Luck daraufhin zu Protokoll: "Ich weiß, dass ich hieraus gestärkt hervorgehen werde. Ich weiß, dass ich dadurch ein besserer Quarterback, Teamkollege, Mensch und Spieler sein werde. Und ich freue mich auf die Zukunft."
Am 5. November berichtet Ian Rapoport vom NFL Network, dass Luck für mindestens zwei bis drei Monate nicht werfen soll. Und neueste Meldungen wiederum suggerieren, dass sich Luck mittlerweile nach Europa für weitere Behandlungen begeben hat: Eine mögliche Stammzellenbehandlung, die in den USA verboten ist, steht im Raum. Andere Big Names des amerikanischen Sports wie Kobe Bryant oder auch Peyton Manning gingen in der Vergangenheit schon diesen Weg. Der nächste wichtige Termin soll dann im Dezember liegen, wenn ein weiterer Checkup mit den Ärzten ansteht, wie Chris Mortensen von ESPN vermeldete.
Was dann passiert, ist nicht absehbar. Es führt uns jedoch zu einem weiteren wichtigen Punkt: Lucks vertragliche Situation. Denn derartige Situationen ziehen in der NFL unweigerlich den Automatismus nach sich, den Worst Case zu betrachten und sich gewissermaßen eine Exit-Strategie zu überlegen. Heißt: Was wäre, wenn Luck nicht zurückkehrt? Oder wenn er doch fit wird, aber nicht mehr an alte Leistungen anknüpfen könnte?
Sicherlich will das niemand in Indy auch nur in Worte fassen. Intern dürfte das Thema allerdings angerissen worden sein.
Andrew Luck: Vertrag macht Quarterback quasi unkündbar
Sollte Luck tatsächlich nicht zurückkehren - wovon aktuell niemand ausgeht -, dann ginge der Vertrag des Quarterbacks für die Colts gehörig nach hinten los. Lange bevor es zur 2016 unterschriebenen Verlängerung um fünf Jahre und 122,97 Millionen Dollar kam, tönte Irsay, er würde Luck zum Top-Verdiener der Liga machen. Der Deal enthielt 47 Millionen Dollar an garantiertem Gehalt.
Wichtiger ist jedoch die Garantie, die im Verletzungsfall greift: Sie liegt bei 87 Millionen Dollar! Sollte Luck also aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr spielen können, müssten die Colts diese Summe aufbringen. Und hier geht es um reales Geld, nicht das fiktive, das in Salary-Cap-Berechnungen auftaucht.
Wird Luck dagegen beim Medizincheck Anfang März für fit befunden, stellte sich die Situation wie folgt dar: Am fünften Tag des neuen Liga-Jahres würde ihm sein Jahresgehalt von zwölf Millionen Dollar für 2018 garantiert sein. Ebenso würden sechs Millionen von 2019 zu garantiertem Gehalt werden.
Eine Entlassung nach bestandenem Medizincheck ist freilich nahezu ausgeschlossen, schließlich ist er Franchise-QB. Doch so früh im Jahr hätte dies ohnehin keinen Sinn, da Entlassungen vorm 1. Juni massive Summen an Dead Money - Geld, das gegen den Salary Cap zählt - zur Folge hätten. Nach dem 1. Juni könnte sich ein solcher Schritt schon eher lohnen.
März Monat der Entscheidung für Indianapolis Colts
So oder so: Der März wird ein entscheidender Monat für Indy sein: Sollte Luck bis dahin immer noch nicht gesund sein, müsste man sich tatsächlich nach einem gescheiten Plan B umsehen. Sprich: Der Draft müsste bemüht werden, um mit einem hohen Pick einen QB zu akquirieren, der in absehbarer Zeit spielfähig wäre.
Auch Brissett wäre solch ein Kandidat, aber der kassierte 2017 bisher die mit Abstand meisten Sacks der Liga. Obwohl er den Saisonstart verpasste. Nicht auszuschließen, dass auch er nicht gesund durch eine ganze Saison kommen wird.
Einen Quarterback im Draft zu ziehen hätte natürlich auch zur Folge, dass andere Baustellen hintenanstehen müssten. Und das wäre fatal, schließlich schien das Thema Quarterback in Indianapolis auf Jahre hinaus erledigt - es ging darum, ein schlagkräftiges Team um ihn herum aufzubauen. Speziell die Offensive Line ist weiter ein Riesenproblem, ebenso die Secondary, die Linebacker und eigentlich auch die Defensive Line. Hier wurde über Jahre geschlampt, die aktuelle sportliche Leitung zahlt gewissermaßen die Zeche.
Was Lucks Zukunft angeht, scheint es derweil ausgeschlossen, dass ihn die Colts gänzlich abschreiben werden. Nicht nur wegen der heiklen Vertragssituation - sie allein macht ihn quasi unkündbar. Ein Szenario, so hört man, will Irsay nämlich auf jeden Fall verhindern: einen zweiten Fall Peyton Manning.
Indianapolis Colts: Kein zweiter Fall Manning
Manning wurde damals nach einjähriger Verletzungspause zugunsten von Luck entlassen, weil man unisono der Ansicht war, dass der Superstar nichts mehr im Tank hätte, schon gar nicht nach den vier Nacken-Operationen.
Das Ende vom Lied ist bekannt: Er schloss sich den Broncos an, erreichte zweimal den Super Bowl und ritt dann mit seinem zweiten Lombardi im Arm in den Sonnenuntergang. Das langjährige Gesicht der Franchise war unterm Strich also doch nicht gänzlich fertig und hatte durchaus noch zwei Playoff-Runs - und seine fünfte MVP-Saison - im Köcher.
Es ist natürlich müßig, die damalige Entscheidung für Luck zu hinterfragen, zumal er als Jahrhunderttalent galt und bislang eigentlich überzeugte, wenn er auf dem Platz stand. Aber darum geht es Irsay auch nicht. Er will eher die Peinlichkeit verhindern, erneut einen namhaften QB gewissermaßen an die Konkurrenz zu verschenken, der dann anderswo Erfolg hat, während die Colts nur als enttäuschte Zuschauer dastehen.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jim Irsay das nochmal zulassen will. Hey, wo ist Andrew Luck? Er spielt nicht - und dann gewinnt er für ein anderes Team. Ich denke, er wird in Indianapolis bleiben", sagte Ex-Colts-Head-Coach Tony Dungy kürzlich in der Dan Patrick Show.
Das ändert aber nichts daran, dass der Unmut im Lager der Colts wächst. Das beste Beispiel dafür ist eine wohl versehentliche Aussage von Dungy: Irsay habe ihm gesagt, Lucks Verletzung sei nicht in seiner Schulter, sie sei "jetzt in seinem Kopf". Das schlug hohe Wellen, zumal Dungy nach Auskunft von Dan Patrick wohl nicht wusste, dass sein Mikrofon eingeschaltet war. Kurz darauf ging es in die Werbung, anschließend schwieg der NBC-Experte das Thema tot.
Eine öffentliche Reaktion Lucks darauf blieb aus. Für Begeisterung aber wird die Aussage wohl nicht gesorgt haben.
Indianapolis Colts: Akte Luck ist keineswegs abgeschlossen
Wie auch immer Luck das nun findet, sein Hauptziel bleibt dasselbe: gesund werden und auf den Platz zurückkehren. Ob und in welcher Verfassung lässt sich dabei in nächster Zeit aber nicht seriös bewerten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Colts nie wirklich verraten haben, was an der Schulter genau die Probleme macht. Folglich können auch keine auskunftsfreudigen Sportärzte, die es in den USA wie Sand am Meer gibt, halbwegs brauchbar zu Rate gezogen werden.
Was natürlich für Luck spricht - und da hinkt der Manning-Vergleich gewaltig -, ist seine Jugend. Mit gerade mal 28 ist er durchaus noch in der Lage, in Topform zurückzukommen. Manning war 2011 sieben Jahre älter. Und spielte 2013 seine vielleicht beste Saison.
Problematisch ist natürlich, dass Luck in seinen jungen Jahren schon so viele gravierende Verletzungen eingesteckt hat und seine bisherige Spielweise mit den vielen improvisierten Läufen weitere harte Hits geradezu einlädt.
Ein weiteres Argument gegen ihn ist die lange Ausfallzeit. Zuletzt spielte er Ende 2016, sein nächster ernsthafter Snap dürfte dann im Idealfall 19 Monate später erfolgen. Allerdings wäre er auch nicht der erste QB, der nach so langer Pause erfolgreich zurück käme.
Die Akte Luck ist eine lange, nie enden wollende Geschichte mit einigen Höhepunkten, aber auch zahlreichen Rückschlägen. Vor allem aber ist sie eine unvollendete, eine offene. Und das lässt alle, die es mit der NFL halten - er ist schließlich immer noch eines der bekanntesten Gesichter dieser Liga - hoffen, dass die nächsten Kapitel wieder positiver Natur sein werden.
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren


