Shaquille O'Neal wechselt zu den Boston Celtics. "The Big Shamrock" - das große Kleeblatt, so lauteten die Schlagzeilen in den USA. Doch was bringt Shaq den Kelten? Ist der Tank des Diesels noch voll? Wie gehen die Celtics in die neue Saison? Die SPOX-Analyse.
38 Jahre ist Shaquille Rashaun O'Neal mittlerweile alt. Er hat in seiner bereits 18 Jahre andauernden Karriere alles erreicht, ist 15-facher All-Star, wurde viermal NBA-Champion und holte sich 2000 den Titel als Most Valuable Player.
Mit der Unterschrift bei den Boston Celtics, die ihm einen Zwei-Jahres-Vertrag und 1,5 Millionen Dollar pro Jahr einbringt, sind wohl endgültig die beiden letzten Jahre in dessen NBA-Karriere eingeläutet, wie auch für einige andere alternde Spieler im Kader der Celtics.
Für den Wandervogel ist Boston mittlerweile die vierte Station innerhalb von vier Jahren. Nach enttäuschenden Jahren bei den Phoenix Suns und den Cleveland Cavaliers könnte die lebende NBA-Legende die Karriere in den letzten zwei Jahren ruhig ausklingen lassen.
Mit aller Macht zum Titel
Doch Shaq will seine glamouröse Laufbahn nicht ruhig ausklingen lassen, er möchte einen fünften Ring am Finger, den er hofft in Massachusetts zu finden.
Die Celtics sind mindestens genauso heiß auf einen weiteren Titel, schließlich unterlag das Team nur ganz knapp im siebten Spiel der Finals den Los Angeles Lakers. Den alternden Stars läuft die Zeit weg, die Konkurrenz im Osten ist stärker denn je und in Kendrick Perkins fällt der Stamm-Center bis weit in die Saison hinein aus.
Der Center, der seine erfolgreichste Zeit in Los Angeles hatte und gemeinsam mit den Lakers drei Meistertitel feierte, wechselt nun zum größten Rivalen auf der anderen Seite der USA. Fernab vom Hollywood-Glamour verbringt O'Neal seine beiden letzten Jahre in Boston, wo das Team und die ehrliche Arbeit an erster Stelle stehen.
Boston und der Diesel: Kann das gut gehen?
Die Kadersituation:
Die Kelten hatten die Chance, einen Neuanfang zu starten, der sie zwar kurzfristig vom Traum einer Meisterschaft abgebracht hätte, auf lange Sicht aber erfolgversprechend gewesen wäre.
Mit Ray Allen (35) und Paul Pierce (32) wurden zwei Stars im fortgeschrittenen Alter zu Free Agents und der altersschwache Rasheed Wallace gab sein Karriereende bekannt. Die Frage unmittelbar nach den verlorenen NBA-Finals lautete daher nur: Machen wir nun weiter mit den alternden Stars oder wagen wir es, um Rajon Rondo ein neues Team aufzubauen?
Vorerst kein Rebuild
Die Verantwortlichen entschieden sich für die erste Variante, banden Pierce und Allen weiter an den Verein. Dafür ließen sie aber Tony Allen, den vielleicht variabelsten und besten Flügelverteidiger im Team, als Free Agent nach Memphis ziehen.
Schon früh sicherte man sich die Dienste des fünfmaligen All-Stars Jermaine O'Neal, der als Ersatz für den verletzten Kendrick Perkins aus Miami kam. Anstelle von Tony Allen kam Von Wafer nach Beantown, der bei seinem viermonatigen Gastspiel für Olympiakos Piräus nicht überzeugen konnte.
Nate Robinson und Marquis Daniels, die ebenfalls als Free Agents in den Sommer gingen, wurden wieder verpflichtet. Gerade von Daniels, der in der abgelaufenen Saison häufig mit Verletzungen zu kämpfen hatte, wird eine deutliche Leistungssteigerung erwartet.
Junge Rollenspieler als Ergänzung
Mit dem 19. Pick des Drafts fanden die Celtics in Avery Bradley einen defensivstarken Shooting Guard, der Ray Allen einige Verschnaufpausen gönnen könnte.
Eine ähnliche Rolle wird Tony Gaffrey innehaben. Der Small Forward wurde bereits in der vorigen Saison verpflichtet.
Kaum Spielzeit wird dagegen der türkische Center Semih Erden bekommen, den die Celtics 2008 drafteten und nun verpflichteten. Die Konkurrenz im Frontcourt ist schier zu groß.
Starting Five mit Shaq?
Solange der verletzte Kendrick Perkins noch ausfällt, wird Shaq wahrscheinlich in der Starting Five auflaufen. Coach Doc Rivers machte allerdings auch von Beginn an klar, dass O'Neal keine 30 Minuten mehr pro Spiel auflaufen kann. Die Celtics können sich das erlauben, weil in Namensvetter Jermaine ein erstklassiger Ersatz bereitsteht, der auch auf die Power-Forward-Position ausweichen kann.
Die restlichen vier Spieler in der Startformation sind bekannt. Rondo, Allen, Pierce und Garnett sind absolut gesetzt. Vor einigen Jahren noch hätte eine solche Starting Five jedes Team niedergerollt, welches sich in den Weg gestellt hätte. Heutzutage müssen die alten Herren allerdings ihre Kräfte schonen. Einzig Rajon Rondo drückt den Altersdurchschnitt der Starting Five noch auf 32,5 Jahre.
Der Kern bleibt bestehen
Die Verpflichtung Shaquille O'Neals war höchstwahrscheinlich die letzte Transferaktivität der Celtics in diesem Sommer. Einzig ein weiterer Shooting Guard könnte noch verpflichtet werden.
Abgesehen von Tony Allen muss Boston keine namhaften Abgänge beklagen. Das Team, welches im letzten Jahr den Titel in der Eastern Conference gewann, wurde größtenteils zusammengehalten und punktuell verstärkt.
Der Shaqster soll zu eben jenen Verstärkungen zählen. Doch wird er den Ansprüchen gerecht?
Die Vorteile
Eigentlich haben die Celtics keinen alternden Superstar mehr nötig. Mit den Big Three hat Boston bereits die Routine von zusammen 44 Jahren NBA. Trotzdem ist O'Neal mit seinen Entertainer-Qualitäten, seinen unzähligen Auszeichnungen und seiner immensen Playoff-Erfahrung noch immer eine Bereicherung für jedes Team.
Nicht umsonst betont Celtics-Mitbesitzer Wyc Grousbeck: "Sollte es wirklich irgendwann zu einem siebten Spiel kommen, dann bin ich mir sicher, dass wir froh sein werden, Shaq zu haben."
Auch auf dem Court eine Hilfe
Allerdings kann der Koloss dem amtierenden Champion der Eastern Conference auch spielerisch helfen, sonst hätten die Verantwortlichen ihn auch nicht geholt.
In der abgelaufenen Saison griffen lediglich die Golden State Warriors weniger Rebounds ab als die Celtics. O'Neal ist dort mit seiner noch immer vorhandenen Dominanz unter den Brettern eine absolute Bereicherung, so holte er in der letzten Saison in nur 24,3 Minuten Einsatzzeit noch immer 6,7 Rebounds im Schnitt.
Deswegen ist Rivers auch sehr gespannt und betont: "Ein Spieler wie Shaq ist immer ein großes Plus, und er füllt eine Lücke in unserem Team. Er ist ein wichtiges Puzzlestück und wird uns helfen, unsere Saisonziele zu erreichen."
Offensivpower in der Zone
Auch in der Offensive kann die Zonen-Präsenz des Diesels hilfreich sein, bringt sie doch ein ganz neues Element in das Spiel der Kleeblätter. Für die Cavaliers nahm er 5,2 Würfe am Brett pro Spiel - mehr als jeder Celtics-Spieler in der letzten Saison. Davon verwandelte er durchschnittlich 67 Prozent - ein Spitzenwert.
Genau diese einfachen Punkte benötigen die Celtics dringend. Auch wenn O'Neal keine 25 Punkte mehr im Schnitt macht, so beherrscht er das Punkten unter dem Korb wie kaum ein anderer Spieler.
So breit wie noch nie
Mit diesen Attributen verleiht er dem Roster eine beeindruckende Tiefe. Der Frontcourt ist mit Garnett, Davis, den beiden O'Neals und einem wieder genesenen Kendrick Perkins sowohl qualitativ wie auch quantitativ mehr als hochwertig besetzt.
Rivers kann so immer wieder einem seiner älteren Stars etwas Ruhe gönnen. Sollte Rasheed Wallace auch noch seinen Rücktritt vom Rücktritt erklären, hätte der Trainer sogar ein Luxusproblem.
Zudem will Shaq unbedingt diesen fünften Ring. Es scheint so, dass er viel mehr auf die Celtics angewiesen ist, als diese auf ihn. Das ist ein nicht zu vernachlässigender Vorteil.
Während die Cavaliers im letzten Jahr in O'Neal die große Hoffnung sahen, Dwight Howard auszuschalten, und keine wirkliche Alternative für den Center hatten, so haben die Celtics mehrere Trümpfe im Kader.
Die Nachteile
Zwar scheint die NBA-Legende die eigenen Ansprüche etwas heruntergeschraubt zu haben, doch wer O'Neal kennt, der weiß, dass der Center seine Gedanken gerne der Öffentlichkeit bekannt gibt, gerade wenn er unzufrieden ist.
Bekommt er nicht die Minuten oder Bälle, die er gerne hätte, so kann der Diesel ziemlich ungemütlich werden, auch wenn er vor der Saison betont, dass er eigentlich nur ein Rollenspieler sei.
Die bekanntlich harmonische Atmosphäre in Beantown scheint gefährdet. Shaq bei Laune zu halten, ist eine der Hauptaufgaben von Rivers.
Ein Hindernis in der Offensive?
Früher zeichnete den Ex-Laker aus, dass er trotz seiner Masse noch sehr beweglich war. Mittlerweile ist dessen Beweglichkeit allerdings auf ein Minimum gesunken, was ihn zu einer Barriere in der eigenen Offensive werden lässt.
Gerade für Point Guard Rajon Rondo, der von seinem explosiven und aggressiven Zug zum Korb lebt, könnte O'Neal ein Hindernis bedeuten. Deswegen ist es wichtiger denn je, dass Rondo sich einen vernünftigen Wurf aneignet.
Rivers' Offensive verlangt einem Center ungemein viel ab. Zwar fiel Perkins in der letzten Saison offensiv kaum auf, war aber dennoch sehr wichtig, da er Screen um Screen lief. Dass O'Neal genauso intensiv und uneigennützig die Wege für die Kollegen öffnet, ist völlig illusorisch, darf aber auch nicht von ihm verlangt werden.
Zu langsam für die Celtics-Defense
Noch intensiver ist allerdings die berüchtigte Defense der Celtics, die sich dadurch auszeichnet, dass alle Spieler in fast manischem Eifer dem Gegner hinterherlaufen. Es wird sehr viel rotiert und jeder Spieler ist gleichermaßen an der Defensiv-Arbeit beteiligt.
Auch hier kann und wird der Diesel nicht mithalten. Es ist aber eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Assistenztrainers Lawrence Frank, Shaq auf die Defensive der Celtics einzustellen.
Das Horrorszenario
Das vielleicht größte Problem ist allerdings die Verletzungsanfälligkeit des Superman. Mit Kevin Garnett und Jermaine O'Neal haben die Kelten zwei weitere Spieler in den eigenen Reihen, die mittlerweile mit Zweitnamen "Blessur" heißen.
Läuft es ganz schlecht, so werden wir während der Regular Season Boxscores vorfinden, in denen hinter allen drei Namen das gefürchtete Kürzel "DND" steht.
Im letzten Jahr haben die Celtics aber eindrucksvoll gezeigt, was die Regular Season ihnen wert ist - ziemlich wenig.
Das Fazit:
Letztendlich stellt die Verpflichtung O'Neals ein kalkulierbares Risiko dar.
Der bullige Center kostet kaum Geld, will unbedingt eine weitere Meisterschaft gewinnen und kann die größte Schwachstelle der Celtics beheben: Die Präsenz in der Zone. Die Rolle, die Shaq in Boston spielt, ist die wohl kleinste seiner gesamten Karriere.
Ein Team kann sein System nicht mehr auf den Diesel ausrichten. Der mittlerweile 38-Jährige ist nur noch gut, wenn er sich ins Team einfügt und seine Aufgabe als Rollenspieler annimmt. Genau dahinter steckt das einzige große Fragezeichen.
Reifeprüfung mit 38
Die Einstellung von Shaq wird entscheidend sein. Er muss akzeptieren, dass er nur dann wichtig für das Team ist, wenn er unspektakuläre Bälle am Board holt, die Zone dicht hält und Platz für andere Spieler schafft. Packt er das, so ist er eine sehr große Hilfe.
Ist das nicht der Fall, so ist er dennoch keine eklatante Schwächung, weil die Celtics weitere Optionen im Kader haben, gerade wenn Kendrick Perkins von seiner Verletzung wieder genesen ist.
Sinneswandel beim Diesel
Die Chancen, dass O'Neal die Ansprüche an seine eigene Rolle runterschraubt, erscheinen derzeit größer denn je. So versuchte er neulich auch Rasheed Wallace, einen weiteren möglichen Konkurrenten für seine Position, zu einem Comeback zu überreden. "Komm noch einmal für ein oder zwei Jahre zurück, Rasheed", so die Botschaft des bulligen Centers an den ehemaligen Celtic.
Zuversichtlich stimmt zudem dessen Aussage, dass er seine Rolle akzeptiere. "Ich bin jetzt an dem Punkt meiner Karriere, wo ich ein Rollenspieler bin. Ich werde das tun, was von mir verlangt wird. Was immer das Team braucht, das werde ich tun", so O'Neal.
Das Risiko ist gering
Alles in allem ist die Verpflichtung ein Experiment, welches gute Aussichten auf Erfolg hat.
Die Teamchemie in Boston ist ausgezeichnet und den Traum vom Titel teilen alle. Die Stars Allen, Pierce, Garnett und O'Neal haben nun noch zwei Jahre Zeit, um einen weiteren Ring zu holen.
Sollte dies nicht gelingen, so sieht die Zukunft in Boston aber alles andere als düster aus, da alle großen Verträge 2012 enden und somit sehr viel Capspace für einen Neuanfang zur Verfügung steht, auch wenn die NBA dann einige ihrer Superstars der vergangenen Jahre in den Ruhestand verabschieden muss.
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