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Von: Talentfrei
12.11.2014 | 8995 Aufrufe | 23 Kommentare | 22 Bewertungen Ø 9.1
Der alte Mann mit neuen Fehlern
Von Wenger und seinen neuen Problemen
talentfreie Einblicke - Version 1

Der alte Mann mit neuen Fehlern

Seit 1996 trainiert der in Straßburg geborene Arsène Wenger den englischen Spitzenklub FC Arsenal. Jeder im Verein, inklusive der Anhänger, honoriert die enormen Leistungen, die der Franzose in seinen nun 18 Jahren bei den Gunners abgeliefert hat. Er hat diesen Klub stark gemacht, finanziell gesichert, unvergessliche Spiele ermöglicht und viele Stars nach London geholt. Natürlich gab es immer Kritiker, die Wenger immer neue Vorwürfe machten, doch nach den erfolgreichen Jahren um die Jahrtausendwende musste man mit dem Bau des neuen Stadions finanzielle Abstriche machen. In dieser Zeit verzieh man Wenger schlechtere Resultate, doch seit wenigen Jahren verfügt man wieder über größere monetäre Mittel und man gibt Geld aus. Doch der große Erfolg will sich trotzdem nicht einstellen. Der Frage nach dem "Warum?" soll nun auf den Grund gegangen werden.

Die Zeit des Umbruchs

Mitte der Neunziger Jahre sah es beim FC Arsenal alles andere als gut aus. Nach einem kurzen Höhenflug Anfang des Jahrzehnts geriet man unter dem britischen Trainer Bruce Rioch in verheerende Komplikationen. Der zu diesem Zeitpunkt offenbar vollkommen überforderte Rioch musste 1996 schließlich gehen und der Vorstand sprang über seinen Schatten und versuchte es mit einem Ausländer, der zurzeit fast unbeachtet der medialen Öffentlichkeit in Europa, nämlich in Japan arbeitete: Arsène Wenger.

Maßgeblich an dessen Verpflichtung beteiligt war der zweite Vorsitzender des Verwaltungsrates, David Dein. Dein wollte Wenger schon 95 nach London holen, scheiterte aber mit seinem Vorhaben. Als Wenger schließlich nach London kam, stellte er fassungslos fest, dass die Bedingungen beim FC Arsenal nicht einmal im Geringsten mit denen eines ambitionierten Profiklubs übereinstimmen.

Die Infrastruktur im Klub war im Prinzip kaum vorhanden. Das legendäre Highbury-Stadion war unmodern und stand unter Denkmalschutz, doch das war nicht das Problem. Wenger wollte kurz nach seiner Ankunft ein außerplanmäßiges Training zum Kennenlernen ansetzen, doch dann erfuhrt er, dass das Gelände besetzt war, da es der Universität London gehörte. Praktischerweise wurde ein Teil der Anlage kurze Zeit später bei einem Brand vernichtet und Wenger konnte den Verein überzeugen, dass man ein vereinseigenes Trainingsgelände benötigt.

Das war nicht das einzige Problem, auch die Zusammenstellung des Kaders musste kritisch hinterfragt werden. Tony Adams war Alkoholiker und ein Teil des Teams gehörte zum Tuesday Club, der sich regelmäßig an Dienstagen zum Komasaufen getroffen hat. Wenger wollte und musste etwas ändern. Er krempelte den Verein eigentlich komplett um, Trainingsmethodik, Spielstil, Ernährung, Lebenswandel der Spieler - alles wurde kontrolliert, verändert, verbessert. Der ganze Klub wurde professioneller und entwickelte sich fortan positiv. Und zwar in allen Bereichen. Schon 1998 trug diese Arbeit Früchte. Wenger gewann mit dem FC Arsenal den FA-Cup und die Premier League und auch die Konkurrenz erkannte, dass die Innovationen den Gunners zu einem Wettbewerbsvorteil verhalfen.

Glorreiche Zeiten und der Wandel

(einer DER Spieler der Wenger-Ära: Thierry Henry)

Nach dem ersten Double war man in Europa sehr schnell auf Arsenal aufmerksam geworden. Die Ideen von Wenger gepaart mit der Kombination aus hervorragenden Einzelkönnern wie Robert Pires, Freddy Ljungberg oder Thierry Henry verhalfen Arsenal zu einem einzigartigen und unverwechselbaren Spielstil, der von vielen bewundert wurde. Die Gunners waren konkurrenzfähig in der Königsklasse, waren als Gegner sehr unangenehm, spielten einen technisch sehr feinen und gleichzeitig ungeheuer wuchtigen Fußball und holten im Jahr 2002 das nächste Double.

Nur zwei Jahre später holte man den nächsten Meistertitel - und zwar ungeschlagen. Als the invincibles gingen die Spieler der damaligen Mannschaft in die Geschichte ein. Doch irgendwann betraten Konkurrenten das Spielfeld. Neben dem traditionell erfolgreichen Manchester United gab es plötzlich den FC Chelsea, der mit Roman Abramowitsch die Möglichkeit hatte, Unsummen in die Mannschaft zu pumpen und dies auch mit Erfolg tat. Später hatte auch Manchester City finanzielle Unterstützung von einem Scheich und Arsenal war gezwungen, auf dem Transfermarkt kleinere Brötchen zu backen.

Wenger wusste, dass ihm schwierige Zeiten bevorstehen würden. Er appellierte schon früh an die Fans und forderte Geduld. Der Bau des Emirates-Stadium war ein kompliziertes und kostspieliges Projekt, das der FC Arsenal alleine finanzierte. Man hätte sich in die Hände eines reichen Investors begeben können, aber Alischer Usmanow gehören nur etwas weniger als 30 Prozent des Klubs, er ist nicht im Verwaltungsrat und gibt dem Verein keine Finanzspritze - Wenger will die Unabhängigkeit. Und so konnte der Franzose nur das ausgeben, was auch reinkam (minus der umfangreichen Ausgaben für die Kredite zum Stadionbau) und genau das war in Zeiten der wachsenden Konkurrenz das Problem.

Gleichzeitig musste man aber auch immer international spielen, um zumindest konkurrenzfähig zu bleiben. In jedem Jahr schaffte es Wenger trotz dem Verlust einiger Topspieler wieder die Qualifikation für die Königsklasse, eine Leistung die nur unzureichend gewürdigt wurde, weil viele Fußballfans garnicht wussten und bis heute nicht wissen, wie schlecht es finanziell um den Verein stand.

Hätte der Verein mehrmals die Königsklasse verpasst, wäre man in existenzielle Not geraten, man war zwischenzeitlich fast pleite. Erst seit 2-3 Jahren kann Arsenal wieder Geld ausgeben - und tut es auch. Mesut Özil kam für 51 Millionen, Alexis Sanchez kostete immerhin auch 37 Millionen Euro. Mittlerweile darf Wenger also wieder eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammenstellen, allerdings steht der lange unumstrittene Coach nun immer mehr im Zentrum der Kritik.

(kostete etwa 590 Mio. Euro: das Emirates-Stadium)

Die derzeitigen Umstände

In der vergangenen Saison gelang dem FC Arsenal wie bereits erwähnt mit dem Titel im FA-Cup die Beendigung einer langen Durststrecke. Doch es kann nicht der Anspruch eines solchen Klubs sein, im 6- oder 7-Jahres-Rhythmus einen Pokaltitel zu feiern, auch wenn jeder Titel selbstverständlich besonders ist.

Der Vertrag von Arsène Wenger läuft noch bis 2017. Was danach passiert, ist derzeit unklar, vermutlich wird der Franzose danach nicht mehr Trainer des FC Arsenal sein. Eine Entscheidung, die wohl auch absolut nachvollziehbar und notwendig ist. Nachdem es in der letzten Saison sehr gut aussah und man in der Liga lange Zeit Tabellenführer sein konnte, baute man in der Rückrunde wieder ab und verspielte jegliche Titelchancen in der Premier League.

Seit Jahren wird ein beachtlich großer Teil der Topspiele verloren und dabei gab es gerade in der letzten Saison teilweise verheerende Niederlagen, insbesondere beim FC Chelsea und dem FC Liverpool. Am Ende landete man wieder auf Platz 4, trotzdem waren die Anhänger größtenteils zufrieden, da man mit dem Gewinn des FA-Cups endlich wieder einen Titel einfahren konnte. Doch nicht alle waren zufrieden, u.a. wurde Mesut Özil auch aus dem Grund gekauft, damit man in der Liga um den Titel mitspielen kann. Das gelang wieder nicht und Wenger musste sich dieser Kritik stellen - und kündigte für den Sommer einige Neuverpflichtungen an.

Man verpflichtete auch einige Spieler. Grundsätzlich hörten sich die Neuzugänge auch nicht schlecht an, Danny Welbeck, Calum Chambers, David Ospina und Alexis Sanchez sollten die Gunners verstärken, doch bei der Kaderplanung wurden Fehler gemacht. Fehler, die eigentlich nicht mehr hätten passieren sollen. In den vergangenen Jahren war der Kader oftmals auf entscheidenden Positionen unterbesetzt und jeder kennt das traditionelle Verletzungsdesaster des Wenger-Teams.

In den vergangenen Jahren gelang es Arsenal eigentlich relativ gut, Problemstellen im Kader nach und nach auszubessern, doch man kann nun wieder einen Rückschritt erkennen. Es war nahezu naiv, mit so wenigen Defensivspielern in die Saison zu gehen. Als Ersatz für die Innenverteidiger Per Mertesacker und Laurent Koscielny steht lediglich der junge Calum Chambers zur Verfügung, der auch noch als Rechtsverteidiger spielen muss, da man als Backup nur den blutjungen Hector Bellerin im Kader hat. Insgesamt stehen zu wenige Verteidiger im Kader, sodass zuletzt Nacho Monreal in der Innenverteidigung aushelfen musste - mit geringem Erfolg. Auch auf der 6er-Position ist man unterbesetzt, die große Qualität fehlt und Wenger wusste das.

Mittlerweile ist man sich einig, dass neue Spieler in der Defensive hermüssen, doch besonders im Winter sind Transfers immer schwierig und meist überteuert, zumal der Titel in der Liga schon jetzt außer Reichweite ist und auch in der Königsklasse sehr schwankende Leistungen an der Tagesordnung sind. Wenger, der in der Vergangenheit immer wieder mit neuen Methoden und Innovationen auf sich aufmerksam machen konnte, scheint phasenweise ideenlos und findet nicht mehr für alles eine Lösung.

Es scheint, als wäre der gefeierte Coach der Gunners allmählich an einem Punkt angelangt, an dem man als letzte Konsequenz nur einen Ausweg in Erwägung ziehen kann. Der Franzose kann mit Kritik umgehen, erkennt seine Fehler auch oftmals, allerdings reicht das nicht, denn gerade jetzt ist die Premier League an einem Punkt angelangt, an dem es bei vielen Teams nicht richtig vorwärts geht. Gerade jetzt könnte man mit innovativer Methodik für Furore sorgen und Erfolge feiern. Das taktische Niveau ist eher durchschnittlich, vieles geht nur noch über Wucht und Dynamik, weniger Spiele werden durch Technik und Spielintelligenz entschieden, weil das Niveau kontinuierlich abgenommen hat. Eigentlich wäre diese Situation ein gefundenes Fressen für einen Trainer wie Wenger, doch die nun selbstgeschaffenen Probleme bereiten den Verantwortlichen im Verein - ebenso wie den treuen Fans - Kopfzerbrechen.

In der bisherigen Saison regiert eher das Chaos als ein Konzept und nicht nur in der Liga hinkt man den eigenen Ansprüchen hinterher, vor allem spielerisch scheint man zurzeit nicht auf der Höhe zu sein. Individuelle Klasse, vor allem von einem Alexis Sanchez, rettet den FC Arsenal zurzeit häufig - eine bedenkliche Entwicklung. So sehr man die Verdienste von Wenger schätzen und anerkennen muss, irgendwann kommt ein Punkt, an dem man erkennen muss, dass eine Veränderung notwendig ist. Und dieser Punkt scheint bald erreicht, die Anhänger werden unruhig, Wenger steht auch medial in der Kritik und bei den Verantwortlichen des FC Arsenal wird sicher schon über die Zeit nach dem französischen Gentleman diskutiert.

In all den Jahren wusste Wenger selbst in den schwierigsten Zeiten immer eine Antwort, man spielte herausragenden und mitreißenden Fußball ohne horrende Summen auszugeben, man spielte um Titel mit, häufig hatte man auch einfach nicht das nötige Glück, aber mittlerweile überwiegt die Erkenntnis, dass Glück allein nicht ausreicht, um den fehlenden Schritt zu Titelgewinnen gehen zu können. Die Frage ist nun, ob man bis zum Vertragsablauf 2017 wartet, oder ob man gemeinsam eine Entscheidung trifft, die einen früheren Ablauf der Zusammenarbeit zur Folge hat. Fest steht jedenfalls, dass man momentan mit besseren Mitteln definitiv keine wirkliche Verbesserung erkennen kann. Und daran muss man sich messen lassen, Geschichte hin oder her.

Anstoß zur Diskussion: Wie denkt ihr über Arséne Wenger? Was sollte man tun, um wieder in die Spur zu kommen und in welchem Fall sollte Wenger von sich aus gehen?

KOMMENTARE
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Maxi_FCB
12.11.2014 | 23:36 Uhr
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Maxi_FCB : 
12.11.2014 | 23:36 Uhr
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Maxi_FCB : 
Interessanter Blog, schöne Einblicke in das Seelenleben eines Arsenal-Fans.

Bin, was das Fazit angeht, auch voll bei dir. Ich habe den Wenger'schen Fussball lange bewundert, weil er in einer Liga, die stark für Athletik und Physis stand (für mich immer durch Chelsea und ManU verkörpert), den spielerischen Ansatz gewählt hat und damit zeitweise beachtliche Erfolge feiern konnte. Aber irgendwie scheint sich die Liaison Wenger-AFC überlebt zu haben. Taktisch ist das bisweilen arg naiv, vor allem gegen konternde Mannschaften, wie Dortmund oder Chelsea, ist man mit Ansage ins offene Messer gelaufen.
Und das obwohl das der wohl beste Arsenal-Kader seit Jahren ist. Debuchy und Gibbs sind solide Außenverteidiger, Koscielny schätze ich sehr, Wilshere und Ramsey haben großes Potential und auch auf den Außenbahnen ist man mit Cazorla, Walcott, Alexis und AOC top besetzt. Jede Mannschaft ist irgendwo nicht ganz homogen aufgestellt, hat Schwachpunkte, im Falle Arsenals den zweiten IV, den defensiveren Sechser und im Sturm, aber anderen Mannschaften gelingt es eben auch besser, das zu kaschieren.
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Txomin
12.11.2014 | 22:49 Uhr
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Txomin : 
12.11.2014 | 22:49 Uhr
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Txomin : 
well done, aber 'invincibles' statt 'unbeatables' in Anlehnung an Preston North End, oder?

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riquelminho
MODERATOR
12.11.2014 | 22:27 Uhr
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12.11.2014 | 22:27 Uhr
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gute und ausführliche analyse!

deine meinung zu dem thema hatte mich sowieso interessiert und das fazit kann ich so auch nur unterschreiben.
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