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Borussia Mönchengladbach


Gründer: Julia | Mitglieder: 115 | Beiträge: 38
30.08.2010 um 13:52 Uhr
Geschrieben von aufmplatz
Spiel, Satz und Sieg, Borussia 2
2. Halbzeit

Wer nach so vielen Turbulenzen ausgelaugt den Halbzeitpfiff herbeisehnt, wird enttäuscht und entschädigt zugleich. Arango und Idrissou werden gleich zwei mögliche Elfer versagt. Während die Leverkusener Hintermannschaft mit den beiden Opfern und Schiri Stark eine Diskussionsrunde à la "Hart, aber fair" eröffnet, hat Patrick "Frank Plasberg" Hermann keinerlei Interesse an halbherzigen Debatten. Wie eine Tippkickfigur zieht er mit dem Außenrist aus 17 Metern ab. Als das Ding im linken Winkel einschlägt, ist der Gästeblock endgültig völlig losgelöst von der Erde.

Zur Pause führt die Borussia mit 3:1 und ich muss kurz überlegen, wann sie zuletzt drei Tore in einer Halbzeit auf fremdem Platz geschossen hat. Mir fällt es schnell wieder ein und im selben Zug weiß ich, wann sie am gleichen Tag auch drei in einer Hälfte kassiert hat. Auf ein Bochum-Revival hat keiner der gut 5000 Borussen Bock. Also lautet die Devise für die zweiten 45 Minuten: Aufs vierte Tor spielen und das nicht für möglich Gehaltene möglich machen.

Arango und ich - erfolgreich im jeweils 700. Versuch

Bis auf einen Schuss von Reus, der übers Tor geht, gewähren beide Mannschaften den 30 000 in der ausverkauften BayArena zunächst eine zehnminütige Ruhepause. Dann gibt es Freistoß für die Borussia, halbrechte Position, 29 Meter Torentfernung - Arango-Time. Ich zücke meine Kamera und denke an meine Festplatte, auf der circa 700 Videos von Freistößen rumlungern, die ich in der Hoffnung, einmal einen Treffer zu filmen, in den vergangenen Jahren aufgenommen habe. Doch ich bleibe hartnäckig, drücke auf "Rec". Die rote Lampe leuchtet, Marx und Arango diskutieren noch mit Stark über den Abstand der Mauer. "Mach' einfach, den machse doch so drübber!", ist auf nun in dem Video zu hören, als Arango anläuft. Sechs Schritte, zwei Sekunden Flug - und eine halbe Minute im Delirium. Es steht 4:1, mein Bruder präsentiert die Meisterschale. Da ist Ding. Und langsam beginnen wir im Rausch der Auswärtsfreude dran zu glauben.

Nach der wahrhaftigen Welle der Begeisterung sind gerade erst alle Fans wieder im richtigen Block auf dem richtigen Platz angekommen, da dreht ein Foul von Marx an Vidal die Uhr zwei Minuten zurück. Den berechtigten Elfer verwandelt der Chilene selbst. Wieder zwei Tore Vorsprung, wieder keine Entscheidung. Doch zum Glück darf man manchmal Texte schreiben, in denen Absätze so sinnlos sind wie ein Kreuz bei der FDP. Auf der Gegenseite ist der Ball schon wieder weg, als Levels sich ihn zurückholt. In einer Mischung aus Liegen, Sitzen und Stehen bedient er Reus auf der rechten Seite. Dessen Flanke mit sagenhafter Übersicht nimmt Arango Volley. Adler lässt den brillanten Angriff mit einer Riesenparade nicht mehr ganz so einseitig wirken. Aber Idrissou stellt den Satz "Da muss ein Stürmer stehen" pantomimisch da und drückt den Ball zum 5:2 über die Linie.

Mittlerweile erreichen mich die ersten SMS von Freunden, die eigentlich anderen Vereinen anhängen. Darin wimmelt es von Wörtern wie "Wahnsinn" und "unglaublich". Bevor überhaupt klar ist, wann die Borussia letztmals fünf Auswärtstore in der Bundesliga erzielt hat (1997 in Karlsruhe, by the way), geht es in der 69. schon weiter. Arango sieht Reus, der mit so einer Leichtigkeit mit links in den Winkel trifft, dass man sich schon sehr heftig zwicken muss, um sich einen Fohlen-Vergleich zu verkneifen. Schnell die Kamera raus und auf der Anzeigetafel ein Stück Vereinsgeschichte festgehalten. Denn sechs Treffer in der Fremde hat es zuletzt vor mehr als 23 Jahren, am 21. März 1987, beim 7:1 in Bremen gegeben. Ligaübergreifend kann das ebenso legendäre 7:1 in Offenbach kurz vor der Rückkehr in die Bundesliga noch mithalten. "Alter, was geht denn da ab?", fragt Studienfreund und Schwabenfan Sebastian per SMS. Meine Antwort: "Ich weiß es nicht. Und dabei passiert das alles 20 Meter vor meinen Augen."

Ungläubige Stille im Gästeblock

Vermutlich kürzer als das Schreiben dieser Zeilen nach dem 2:6 dauert es jedoch, bis Kießling den Anschluss-Anschluss-Anschlusstreffer für die Gastgeber erzielt. Bailly sieht schlecht aus, aber über ein Foul könnte man selbst acht Meter vor dem Tor reden. Nils hat plötzlich wieder das Bochum-3:3-Gesicht aufgelegt und will den Drops noch nicht als gelutscht verkünden. Nach sieben Treffern in nur 30 Spielminuten sind alle fertig wie nach einer Zugfahrt von Gladbach bis zum Nordkap. Zwischendurch wird es sogar kurz ein paar Minuten still, als müsse der Gästeblock die Geschehnisse erst einmal sacken lassen. Dann blüht der Gesang wieder auf.

In der Schlussviertelstunde liegt ein 5:7 oder gar ein 6:8 noch immer im Rahmen des Möglichen. Doch bis auf eine schier endlose Passstaffette der Borussia, bei der jedes Abspiel mit einem "Heeey" bedacht wird, passiert nicht mehr viel. Nach dem 3:6 hieß es demnach: Spiel, Satz und Sieg, Borussia. Ganz großes Damentennis, was sich 90 Minuten lang in der BayArena abgespielt hat.

Angst vor Edith Piaf

Mit meinem fünften Auswärtssieg in anderthalb Jahren (Köln, Cottbus, Hamburg, Frankfurt, Leverkusen) wird gleichzeitig die Tatsache untermauert, dass die Borussia in der Bundesliga keine Auswärtssiege mehr einfahren kann, wenn ich nicht dabei bin. Seit dem 2:0 in Bundesliga im November 2008 hat der VfL in 18 Auswärtsspielen ohne mich gerade einmal drei Unentschieden geholt. Ich kann ja nichts dafür.

Nach dem Spiel darf Mo Idrissou (nunmehr drei Treffer in drei Pflichtspielen) seine erste "Humba" anstimmen. Was er genau nach einem beherzten Sprung in den Stehblock ins Megaphon buchstabiert, ist nicht zu hören. Es müssen jedoch mehr als ein H, U, M, B und A gewesen sein. Auf dem Rückweg gießt es aus Eimern, die Dhünn ist noch voller geworden. Doch es ist, als perlten die Tropfen einfach so von unseren Regenjacken ab. Wir schweben zum Bahnhof und steigen in den Sonderzug nach Hause. Plötzlich taucht der Dom in der Ferne auf, der Zug fährt am Colonius, dem Kölner Fernsehturm vorbei. Offensichtlich dreht der Lokführer eine Ehrenrunde durch die Stadt des Tabellenschlusslichts, das erst in jenem Minuten die rote Laterne an den VfB Stuttgart abgibt.

Man glaubt immer wieder, abgesehen von großen Titeln, schon alles erlebt zu haben. Wer soll den bitte auch ein 6:3 in Leverkusen auf dem Schirm haben. In Führung gehen - ein realistischer Wunsch. Einen Punkt entführen - selten gesehen. Den ersten Sieg nach 16 Jahren einfahren - warum ausgerechnet an diesem Tag? So wie die Borussia in Leverkusen, 6:3, spielt man vielleicht Eishockey. Nachdem ich letztens "Inception" im Kino gesehen habe, fürchte ich noch immer, dass Edith Piaf mich mit "Non, je ne regrette rien" gleich aus diesem unfassbaren Traum holt. Und selbst wenn, dann wäre es der beste aller Zeiten gewesen.

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Aufrufe: 703 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 3 | Erstellt:30.08.2010
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