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Blogpokal 2013/2014


Gründer: RoterBulle92 | Mitglieder: 58 | Beiträge: 25
09.06.2014 | 2545 Aufrufe | 17 Kommentare | 4 Bewertungen Ø 10.0
Blogpokal Halbfinale
Entfremdung
Themenvorgabe: "Ich verstehe nur Bahnhof"

In einem beliebigen Fernsehstudio

Ein schmieriger Moderator tritt vor die Kamera. Er kündigt ein Exklusivinterview mit Mario Götze an und hat sich auch schon eine ganz tolle Frage überlegt:

"Herr Götze, erzählen Sie uns doch bitte etwas über die Philosophien von Jürgen Klopp und Pep Guardiola."

Der Jungstar denkt einen Augenblick nach, blickt bedeutungsschwanger in die Kamera und sagt:

"Ich glaube, Jürgen Klopp hat die Philosophie zu kontern, das Konterspiel zu verfeinern und schnelle Angriffszüge zu spielen. Bei Pep Guardiola geht es viel um Ballbesitz, ein Spiel zu dominieren und möglichst hohes Pressing zu spielen."

Derweil im Paradies

Ein weißbärtiger Mann in Toga betritt die himmlische Bar. Mit gesenktem Haupt tritt er vor die Theke und bestellt einen doppelten Schierlingsbecher "on the rocks".

Gehts noch?

"Diametral abkippende Sechs", "polyvalenter Spieler", "Vier Phasen-Modell": Seit Trainer für sich in Anspruch nehmen, über eine sogenannte Philosophie (zur Erinnerung: philosophia = Liebe zur Weisheit) zu verfügen, fühlen sie sich dazu genötigt, zu reden, als hätten sie tatsächlich eine. Hintergrund ist die landläufige Auffassung, eine Philosophie läge immer dann vor, wenn jemand etwas sagt, das keiner versteht, aber von jedem bekräftigend abgenickt wird.

Wenn mein Jugendtrainer früher in die Kabine gekommen ist, hat er Dinge gesagt wie:

"Chuck, das war super. Super scheiße."

Da gab es keinen Interpretationsspielraum und ich wusste genau, was in der zweiten Halbzeit zu tun war: Fußball spielen.

Heute verteidigt der heilige Pep nach einem 0:4 im Champions League-Halbfinale mit emotionalen Worten seine Philosophie und statt einfach mal bei allen Fieber zu messen, die dabei ernst bleiben können, wird der einzige Spieler der mit einem Recht, das in der Nähe des Naturrechts anzusiedeln ist, grinsen muss, aus dem Kader gestrichen.

Kloppe im Hause Yin und Yang

Ich liebe den Fußball, weil ich mich mit den allermeisten Menschen auf der Welt ohne Verständnisschwierigkeiten über ihn unterhalten kann. Ich liebe den Fußball, weil ich auch nach vierzehn Weizen noch mitbekomme, dass der EffZeh gewonnen hat und weiß, dass das alles ist, was zählt.

Ich liebe die Philosophie, weil ich mit ihr alleine sein kann und nach der Beseitigung von Verständnisschwierigkeiten etwas Neues über die allermeisten Menschen der Welt gelernt habe. Ich liebe die Philosophie, weil ich auch nach vierzehn Weizen noch weiß, dass ich nichts weiß.

Und manchmal macht es tatsächlich Sinn, ein wenig über den Fußball zu philosophieren. Immerhin vermag er es, trotz seiner offenkundigen Nebensächlichkeit, mich in emotionale Zustände zu versetzen, die etwas Existentielles zu haben scheinen. Doch eben diese wunderbare Eigenschaft des Fußballs droht zu verpuffen, wenn in der Kneipe niemand mehr auf das Spiel achtet, weil ein betrunkener Experte meint, über Sinn und Unsinn der "falschen Neun" philosophieren zu müssen, statt, wie es sich für einen vernünftigen Fan gehört, aus heiterem Himmel eine rote Karte für den gegnerischen Stürmer, "diese dumme Sau", zu fordern. In solchen Momenten wird offensichtlich, dass sich das Verhältnis zwischen Fußball und Philosophie zu Ungunsten der schönsten Nebensache der Welt verschoben hat. Hier wächst zusammen, was nicht zusammen gehört (ein kleines Wortspiel für unsere ostdeutschen User). Bei zu viel Gegensätzlichkeit hätten sich sogar Yin und Yang den ganzen Tag gegenseitig auf die Fresse gehauen.

Ein verzweifeltes Plädoyer

Aus den genannten Gründen plädiere ich für Folgendes: Entsteigt euren beschissenen Champions League-Anzügen, lasst euch einen vernünftigen Schnubi stehen und zieht euch verdammt noch mal diese riesigen Stöcke aus dem Arsch. Hört auf mit eurem pseudophilosophischen Gegacker und nehmt euch ein Vorbild an euren Vorfahren. Es soll ja Trainer gegeben haben, die mit einer einzigen Weisheit deutscher Meister geworden sind: "Das Runde ist der Ball." Und viel mehr ist da auch nicht.

Der Tag, an dem es mit Chuck zu Ende geht

Es ist ein lauer Sommertag. Ein sanfter Wind weht so behutsam durch das Stadion, als wollte er Rücksicht auf die hochkonzentrierten Akteure nehmen, die sich im Spitzenspiel gegenüberstehen. Das Spiel läuft seit zwölf Minuten. Der Ball liegt nach wie vor auf dem Anstoßpunkt. Niemand rührt sich. Ein jeder lauert angespannt auf den ersten Zug seines Gegenspielers. Auf der Tribüne schlägt ein feingliedriger älterer Herr in Chinos und Rollkragenpullover seine Beine übereinander, nippt an seinem Martini, schaut bedächtig auf seine Fliegeruhr und sagt:

"Faszinierend. Es ist faszinierend."

An dieser Stelle betritt kein dunkler Zauberer die Szenerie und belegt den Mann und seine Familie bis in die siebte nachfolgende Generation mit einem grausigen Fluch. Es stampft auch kein 15 Meter großer Gorilla durch das Stadion und führt jeden Beteiligten seiner gerechten Strafe zu. Nicht einmal ein klitzekleiner Hurrikan lässt sich dazu überreden, die Anwesenden so lange umherzuwirbeln, bis sämtliche Synapsen im Hirn wieder richtig geschaltet sind. Stattdessen darf der nicht weniger feingliedrige Sitznachbar ungestraft erwidern:

"Du sprichst ein wahres Wort, mein geschätzter Sitznachbar. Seit die meisten Teams der Philosophie des kontrollierten Abwartens frönen, hat sich der Fußball einen weiteren Schritt in die richtige Richtung bewegt."

Viele Kilometer entfernt, in einer einsamen Dachgeschosswohnung, sitzt Chuck vor seinem Fernseher und weint. Er steht auf, stellt sich auf einen Hocker, bindet sich die eine Seite seines EffZeh-Schals um den Hals und befestigt die andere Seite an einem Giebelbalken. Er wirft einen letzten Blick auf den Bildschirm und versucht, zu verstehen. Doch er versteht nur Bahnhof.

ø 10.0
KOMMENTARE
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ausLE
MODERATOR
25.06.2014 | 19:43 Uhr
1
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ausLE : 
25.06.2014 | 19:43 Uhr
0
ausLE : 
Also ich wasche meine Hände auch in Dings
Mit Perwol und so.

Der kleine Vorteil ist nur, ich brauche den Kopf nicht so anzustrengen
Und die Software freut sich auch.


Aber wer will einen Bullen durch das Dorf treiben

1
gerosimo
14.06.2014 | 10:36 Uhr
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0
gerosimo : 
14.06.2014 | 10:36 Uhr
0
gerosimo : 
@Emma2012:
Du bist ein Idealbeispiel dafür, dass die Änderung der Regelung für die Stimmpunkte - ich formuliere es mal moderat - "keine gute Idee" war.

Ich wasche meine Hände mit Wasser und hole mal den Chuck vom Giebelbalken runter, damit der fit fürs Finale gemacht wird.
1
Emma2012
14.06.2014 | 09:02 Uhr
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Emma2012 : 
14.06.2014 | 09:02 Uhr
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Emma2012 : 
Sehr schöner Beitrag!
Prima strukturiert und wirklich unterhaltsam, danke!

Ich hätte ja erwartet, dass alle effzeh-Fans Kölsch trinken und nicht Weizen - aber das wird anscheinend toleriert.

Nach 14 Tage oder so Abwesenheit habe ich gelesen, dass meine Stimme nur noch die Hälfte Wert ist... schade, hätte gerne mehr gegeben.
Aber sie bleibt in jedem Fall hier.

@die Erfinder dieser Regelung: Das ist nicht wirklich motivierend. ..
2
gerosimo
13.06.2014 | 23:22 Uhr
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gerosimo : 
13.06.2014 | 23:22 Uhr
0
gerosimo : 
"Ich fänds aber noch ein wenig verfrüht deswegen jetzt schon den Bullen durchs Dorf zu treiben..."

Ernsthaft? Wieso? Das macht doch Spaß!!!
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TheDood
MODERATOR
13.06.2014 | 21:29 Uhr
0
0
TheDood : 
13.06.2014 | 21:29 Uhr
0
TheDood : 
Joah, ist ein langer Tag gewesen

Ich fänds aber noch ein wenig verfrüht deswegen jetzt schon den Bullen durchs Dorf zu treiben...
0
gerosimo
13.06.2014 | 20:58 Uhr
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gerosimo : 
13.06.2014 | 20:58 Uhr
0
gerosimo : 
@ChuckNunnjr:
Du hast den Einzug ins Finale, an dem es in dieser Runde (leider) keinen Zweifel geben konnte, absolut verdient. Deine Art zu schreiben ist abwechslungsreich, frisch und besonders.

TheDood wird natürlich den Blogpokal gewinnen, wie wir seit seinem Besuch im Nirvana. donluka wird natürlich den Blogpokal gewinnen, weil er den immer noch amtierenden Blogpokalsieger besiegt hat (nein, deshalb nicht wirklich) - sondern weil er der erfolgreichste Teilnehmer im Blogpokal aller Zeiten ist.

Insofern hast Du de facto so oder so keine Chance - und diese wirst Du zu nutzen wissen, werter Taugenichts!


@TheDood:
1.600 Kommentare fände ich ganz ok ...
... aber ich weiß ja, was Du meinst - und das ist schon ziemlich unschön ... im Zweifels Fall ist daran übrigens unser Jungbulle Schuld ... per se!
0
ChuckNunnjr
13.06.2014 | 20:16 Uhr
1
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13.06.2014 | 20:16 Uhr
0
Ich bedanke mich herzlich für Punkte und Kommentare!

@Gerosimo: Ich hoffe, dass Chuck noch nicht an der himmlischen Bar sitzt, weil dann für ihn der Finalzug abgefahren wäre. Ich nehme an, dass er von der Decke hängt, wie Machete im großartigen "Machete kills"...
1
TheDood
MODERATOR
13.06.2014 | 20:06 Uhr
1
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TheDood : 
13.06.2014 | 20:06 Uhr
0
TheDood : 
Kaum 1600 Kommentare für beide Blogs zusammen

Irgendwie schade...
1
gerosimo
13.06.2014 | 19:50 Uhr
3
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gerosimo : 
13.06.2014 | 19:50 Uhr
0
gerosimo : 
@ChuckNunnjr:
Der erste Text, den ich von Dir gelesen habe, ist "EffZeh und Aristoteles" - vor knapp 14 Monaten. An diesen Blog musste ich denken, während ich Deinen Halbfinalbeitrag zum Blogpokal gelesen habe.

Für diejenigen, die besagten Text nicht kennen: Hier geht's lang

Damals schrieb ich um 23:26 Uhr - vermutlich auf Gleis 8 - die folgenden Worte:


Nur ein Wort: Herzlichen Dank!
Das Teil ist ja mal richtig groß ... ein phantastischer Debut-Blog!!!
Übrigens: 10 Punkte!


Warum ich das hier schreibe? Keine Ahnung. Ist doch auch egal. Egal ist auch, dass ich in Deinen Zeilen die versteckte Message "lasst euch einen vernünftigen Schnumbi stehen" ... was auch immer das heißen mag ... darüber kann man ja mal nachdenken, wenn man so ganz locker, mit effzeh-Schal um den Hals, von der Decke baumelt, die Wirbelsäule entspannt und das Atmen einstellt ... nicht Schnumbi, nicht Chuck, aber das Halbfinale ... welches Du locker hinter Dir lässt ... weit ...

Willkommen im Finale. Willkommen an der himmlischen Bar. Ewald Kowalski, Ecki und Rotislaw gratulieren.

gerosimo erhält von Dir 200 Euro für den Besuch seines Westbahnhofs, lächelt über den gelungenen Konter-Witz im Wissen, dass ihn keiner versteht und gibt Dir einfach nur noch seine Stimmpunkte. Endstation. Alle aussteigen.
3
ausLE
MODERATOR
13.06.2014 | 16:31 Uhr
2
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ausLE : 
13.06.2014 | 16:31 Uhr
0
ausLE : 
Beim Ersten mal habe ich lasst euch einen vernünftigen Schnumbi stehen gelesen

Und dann das Ding mit den ostedeutschen Wortspiel

Und wer zum Geier föhnt das Abwarten


Puh, ich muss sagen, ich verstehe nur Bahnhof

Mit anderen Worten:
Thema überragend umgesetzt

Meine Stimme geht an Chuck

Viele User sind wohl im WM-Fieber
Schade.
2
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