16.12.2008 um 13:55 Uhr
Geschrieben von Voegi
Die EM 08 - ein Rückblick
Verfehlter Gipfelsturm
Ein großes Turnier wie die Fußball-Europameisterschaft ist inzwischen mehr Marketing-Event denn Sportveranstaltung. Auch Joachim Löw wurde von dem allgemeinen Vermarktungswahnsinn angesteckt und verlieh seiner Mission kurzerhand eine Corporate Identity, indem er sie mediengerecht als Bergtour 08 annoncierte. Das Unternehmen Gipfelsturm jedoch misslang, kurz vor dem Erklimmen des höchsten Berges in unseren Breiten. Dabei sah alles so gut aus. Deutschland hatte sich nach insgesamt eher biederen Auftritten bis ins Finale durchgekämpft und traf dort auf eine Mannschaft, die nach aller Erfahrung der Vergangenheit gar nicht gewinnen konnte: Spanien, der ewige Geheimtipp, der bis dato noch immer irgendwann an sich selbst gescheitert war, hatte mit spielerischer Leichtigkeit das Finale erreicht und sollte eigentlich eine leichte Beuchte für die Löw-Elf werden. Deren Credo "Schlecht spielen und doch gewinnen", dem sie nur beim begeisternden 3:2 gegen Portugal so richtig untreu wurde, war noch immer aufgegangen. Doch im Finale wurden den Deutschen, die keine anständige Torchance zu Stande brachten, die Grenzen aufgezeigt. Spanien legte das Stigma des "Schalke Europas" ab und bewies, dass guter Fußball auch erfolgreich sein kann. Und auch wenn das Ergebnis mit 0:1 unangemessen knapp ausfiel, hegte niemand ernsthafte Zweifel, dass Spanien ein verdienter Titelträger war.
Ein Haufen Trost
Erwärmen konnte man sich hierzulande an dem tröstlichen Gedanken, wenigstens ein Cordoba 2008 abgewendet zu haben. Denn im Spiel gegen den Erzrivalen aus Österreich behielt die deutsche Elf dank eines Freistoß-Knallers von Michael Ballack die Oberhand, wenngleich sie die halbe Spielzeit ohne Direktiven ihres Coaches auskommen musste. Der nämlich durfte aus bis heute mysteriösen Gründen die Begegnung ab der 40. Minute von der Tribüne aus anschauen und fand sich dort in der illustren Gesellschaft unserer Kanzlerin wieder. Als kleiner Trost für diese Unannehmlichkeiten durfte er die folgende Partie gegen Portugal aus einer Loge beobachten und konnte dort nahezu unbeobachtet von der Öffentlichkeit seiner Lieblingsbeschäftigung frönen: Dem Rauchen! Für die Österreicher fiel der Trost indessen schwach aus, genauso wie ihre Bilanz mit einem Punkt und einem Tor, für das auch noch ein Strafstoß herhalten musste. Sie konnten ihr Seelenheil allenfalls mit dem Gedanken lindern, dass es auch dem Co-Gastgeber aus der Schweiz nicht besser erging. Den Eigenossen dürfte das frühe Ausscheiden aber ungleich schwerer als die Österreicher getroffen haben, die manch ein Fan ja schon vom Turnier hatte abmelden wollen.
Last-Minute-Türken
Das Scheitern der Schweizer hing vor allem mit dem Triumph einer Überraschungsmannschaft zusammen, der Last-Minute Türken, die sowohl gegen den Gastgeber als auch gegen die Tschechen erst kurz vor Schluss den Siegtreffer erzielten und ins Viertelfinale einzogen. Und plötzlich standen sie wieder vor Wien, die Türken, und schlugen abermals letztminütig zu. Zum Leidwesen der gegnerischen Kroaten, die im anschließenden Elfmeterschießen unterlegen waren. Das Konzept der Türken war verblüffend simpel: Kämpfen und hinten dicht machen. So ähnlich sah auch das Erfolgsrezept von Otto Rehhagel bei der vorangegangen Europameisterschaft aus, die er mit seinen Griechen sensationellerweise gewinnen konnte. Die EM 08 holte die euphorisierten Griechen aber wieder vom Fußball-Olymp zurück auf den harten Boden der Tatsachen. Mit erschreckend uninspiriertem und lustlosem Fußball verärgerten sie die Fußballfans in ganz Europa und bewiesen, dass man mit einer 80er Jahre-Taktik im modernen Fußball eben doch nicht dauerhaft erfolgreich sein kann.
Die Todesgruppe
Bereits vor Beginn des Turnieres stand fest, dass eine große Fußballnation schon nach der Vorrunde die Heimreise würde antreten müssen. Schuld war die Auslosung der Todesgruppe, in der mit Frankreich, Italien und den Niederlande gleich drei Topfavoriten aufeinander trafen. Was findige Fußball-Fachleute dazu veranlasste, dem brutalst möglichen Außenseiter aus Rumänien gute Chancen auf ein Weiterkommen einzuräumen. Letztlich aber kam es doch anders: Italien mogelte sich wie üblich irgendwie durch und die Niederlande spielten den mit Abstand attraktivsten und beeindruckendsten Fußball dieser Europameisterschaft. Vor allem das 4:1 gegen Frankreich dürfte Fußballfeinschmeckern als echter Leckerbissen in Erinnerung bleiben. Traumhafter One-Touch-Fußball mit berauschenden Kombinationen. Doch der Rausch hinterließ auch eine gewisse Überheblichkeit, die ihnen im Viertelfinale zum Verhängnis wurde.
Der Star ist die Mannschaft
Das frühe Ausscheiden führte auch dazu, dass man bei der Suche nach den Stars des Turniers weniger an niederländische Akteure als an Andrej Arshavin denkt. Allerdings genügen zwei hervorragende Leistungen nicht, um als die Ikone eines Turniers in die Annalen einzugehen. Den Star der Europameisterschaft 2008 wird man daher wohl im spanischen Kollektiv suchen müssen, aus dem bezeichnenderweise mit Xavi ein echter Teamplayer herausragte. Aber auch Torschützenkönig David Villa oder Abwehrstratege Carlos Puyol dürfen sich als die Protagonisten der EM 08 fühlen.
Tragische Helden
Neben den genannten Topstars fördert eine Europameisterschaft aber auch eine Reihe tragischer Helden zu Tage, zu denen diesmal insbesondere drei Bundesliga-Akteure gehörten. Mladen Petric und Ivan Rakitic, die im Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Türkei versagten, stellen dabei die klassische Ausprägung dar. Weit dramatischere Züge hatte dagegen die Verletzung des Schweizer Kapitäns Alexander Frei, der im Eröffnungsspiel bereits zur Pause verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste und seiner Mannschaft im weiteren Verlauf nicht mehr zur Verfügung stand. Das Entsetzen war Zuschauern wie Mannschaftskollegen ins Gesicht geschrieben. Alle spürten, dass der große Traum eines Fußballers plötzlich wie eine Seifenblase zerplatzte. Aber auch das ist Fußball.
Schlussendlich
Die Fußball-Europameisterschaft unterhielt uns nicht nur mit ansehnlichen, wenn auch torarmen Spielen (2,48 Treffer pro Spiel), sondern lieferte manch unvergesslichen Augenblick. Man denke daran, wie eine ganze Nation bildausfallbedingt an Bela Rethys Lippen klebte (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne keine wirklich schöne Vorstellung) und aus dem nunmehr sogenannten Rudel-Gucken plötzlich ein Herden-Hören wurde. Man denke an Poldis Nicht-Jubler oder die Wasserschlacht von Bern. In jedem Falle war es ein äußerst unterhaltsames Turnier, das drei Wochen lang alles andere in den Schatten gestellt hat. Oder wie es der EX-ZDF-Kommentator Urs Meier sagen würde: Schlussendlich hat's Spaß gemacht!
Ein großes Turnier wie die Fußball-Europameisterschaft ist inzwischen mehr Marketing-Event denn Sportveranstaltung. Auch Joachim Löw wurde von dem allgemeinen Vermarktungswahnsinn angesteckt und verlieh seiner Mission kurzerhand eine Corporate Identity, indem er sie mediengerecht als Bergtour 08 annoncierte. Das Unternehmen Gipfelsturm jedoch misslang, kurz vor dem Erklimmen des höchsten Berges in unseren Breiten. Dabei sah alles so gut aus. Deutschland hatte sich nach insgesamt eher biederen Auftritten bis ins Finale durchgekämpft und traf dort auf eine Mannschaft, die nach aller Erfahrung der Vergangenheit gar nicht gewinnen konnte: Spanien, der ewige Geheimtipp, der bis dato noch immer irgendwann an sich selbst gescheitert war, hatte mit spielerischer Leichtigkeit das Finale erreicht und sollte eigentlich eine leichte Beuchte für die Löw-Elf werden. Deren Credo "Schlecht spielen und doch gewinnen", dem sie nur beim begeisternden 3:2 gegen Portugal so richtig untreu wurde, war noch immer aufgegangen. Doch im Finale wurden den Deutschen, die keine anständige Torchance zu Stande brachten, die Grenzen aufgezeigt. Spanien legte das Stigma des "Schalke Europas" ab und bewies, dass guter Fußball auch erfolgreich sein kann. Und auch wenn das Ergebnis mit 0:1 unangemessen knapp ausfiel, hegte niemand ernsthafte Zweifel, dass Spanien ein verdienter Titelträger war.
Ein Haufen Trost
Erwärmen konnte man sich hierzulande an dem tröstlichen Gedanken, wenigstens ein Cordoba 2008 abgewendet zu haben. Denn im Spiel gegen den Erzrivalen aus Österreich behielt die deutsche Elf dank eines Freistoß-Knallers von Michael Ballack die Oberhand, wenngleich sie die halbe Spielzeit ohne Direktiven ihres Coaches auskommen musste. Der nämlich durfte aus bis heute mysteriösen Gründen die Begegnung ab der 40. Minute von der Tribüne aus anschauen und fand sich dort in der illustren Gesellschaft unserer Kanzlerin wieder. Als kleiner Trost für diese Unannehmlichkeiten durfte er die folgende Partie gegen Portugal aus einer Loge beobachten und konnte dort nahezu unbeobachtet von der Öffentlichkeit seiner Lieblingsbeschäftigung frönen: Dem Rauchen! Für die Österreicher fiel der Trost indessen schwach aus, genauso wie ihre Bilanz mit einem Punkt und einem Tor, für das auch noch ein Strafstoß herhalten musste. Sie konnten ihr Seelenheil allenfalls mit dem Gedanken lindern, dass es auch dem Co-Gastgeber aus der Schweiz nicht besser erging. Den Eigenossen dürfte das frühe Ausscheiden aber ungleich schwerer als die Österreicher getroffen haben, die manch ein Fan ja schon vom Turnier hatte abmelden wollen.
Last-Minute-Türken
Das Scheitern der Schweizer hing vor allem mit dem Triumph einer Überraschungsmannschaft zusammen, der Last-Minute Türken, die sowohl gegen den Gastgeber als auch gegen die Tschechen erst kurz vor Schluss den Siegtreffer erzielten und ins Viertelfinale einzogen. Und plötzlich standen sie wieder vor Wien, die Türken, und schlugen abermals letztminütig zu. Zum Leidwesen der gegnerischen Kroaten, die im anschließenden Elfmeterschießen unterlegen waren. Das Konzept der Türken war verblüffend simpel: Kämpfen und hinten dicht machen. So ähnlich sah auch das Erfolgsrezept von Otto Rehhagel bei der vorangegangen Europameisterschaft aus, die er mit seinen Griechen sensationellerweise gewinnen konnte. Die EM 08 holte die euphorisierten Griechen aber wieder vom Fußball-Olymp zurück auf den harten Boden der Tatsachen. Mit erschreckend uninspiriertem und lustlosem Fußball verärgerten sie die Fußballfans in ganz Europa und bewiesen, dass man mit einer 80er Jahre-Taktik im modernen Fußball eben doch nicht dauerhaft erfolgreich sein kann.
Die Todesgruppe
Bereits vor Beginn des Turnieres stand fest, dass eine große Fußballnation schon nach der Vorrunde die Heimreise würde antreten müssen. Schuld war die Auslosung der Todesgruppe, in der mit Frankreich, Italien und den Niederlande gleich drei Topfavoriten aufeinander trafen. Was findige Fußball-Fachleute dazu veranlasste, dem brutalst möglichen Außenseiter aus Rumänien gute Chancen auf ein Weiterkommen einzuräumen. Letztlich aber kam es doch anders: Italien mogelte sich wie üblich irgendwie durch und die Niederlande spielten den mit Abstand attraktivsten und beeindruckendsten Fußball dieser Europameisterschaft. Vor allem das 4:1 gegen Frankreich dürfte Fußballfeinschmeckern als echter Leckerbissen in Erinnerung bleiben. Traumhafter One-Touch-Fußball mit berauschenden Kombinationen. Doch der Rausch hinterließ auch eine gewisse Überheblichkeit, die ihnen im Viertelfinale zum Verhängnis wurde.
Der Star ist die Mannschaft
Das frühe Ausscheiden führte auch dazu, dass man bei der Suche nach den Stars des Turniers weniger an niederländische Akteure als an Andrej Arshavin denkt. Allerdings genügen zwei hervorragende Leistungen nicht, um als die Ikone eines Turniers in die Annalen einzugehen. Den Star der Europameisterschaft 2008 wird man daher wohl im spanischen Kollektiv suchen müssen, aus dem bezeichnenderweise mit Xavi ein echter Teamplayer herausragte. Aber auch Torschützenkönig David Villa oder Abwehrstratege Carlos Puyol dürfen sich als die Protagonisten der EM 08 fühlen.
Tragische Helden
Neben den genannten Topstars fördert eine Europameisterschaft aber auch eine Reihe tragischer Helden zu Tage, zu denen diesmal insbesondere drei Bundesliga-Akteure gehörten. Mladen Petric und Ivan Rakitic, die im Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Türkei versagten, stellen dabei die klassische Ausprägung dar. Weit dramatischere Züge hatte dagegen die Verletzung des Schweizer Kapitäns Alexander Frei, der im Eröffnungsspiel bereits zur Pause verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste und seiner Mannschaft im weiteren Verlauf nicht mehr zur Verfügung stand. Das Entsetzen war Zuschauern wie Mannschaftskollegen ins Gesicht geschrieben. Alle spürten, dass der große Traum eines Fußballers plötzlich wie eine Seifenblase zerplatzte. Aber auch das ist Fußball.
Schlussendlich
Die Fußball-Europameisterschaft unterhielt uns nicht nur mit ansehnlichen, wenn auch torarmen Spielen (2,48 Treffer pro Spiel), sondern lieferte manch unvergesslichen Augenblick. Man denke daran, wie eine ganze Nation bildausfallbedingt an Bela Rethys Lippen klebte (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne keine wirklich schöne Vorstellung) und aus dem nunmehr sogenannten Rudel-Gucken plötzlich ein Herden-Hören wurde. Man denke an Poldis Nicht-Jubler oder die Wasserschlacht von Bern. In jedem Falle war es ein äußerst unterhaltsames Turnier, das drei Wochen lang alles andere in den Schatten gestellt hat. Oder wie es der EX-ZDF-Kommentator Urs Meier sagen würde: Schlussendlich hat's Spaß gemacht!
Aufrufe: 3483 | Kommentare: 17 | Bewertungen: 12 | Erstellt:16.12.2008
ø 8.2
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
16.12.2008 | 23:57 Uhr
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Tagon :
Ein klasse Blog. Meine Gefühle zur EM sind eher ambivalent, insbesondere was das Spiel unserer Mannschaft angeht, stimme ich dir zu - bis aufs Portugal-Spiel deutschlandübliche Fußballkost, diese "große Weiterentwicklung" war jedenfalls in den entscheidenden Spielen (u.a. gegen Spanien) nicht zu sehen.
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16.12.2008 | 16:51 Uhr
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Schmibu :
Guter Blog,so war die EM wohl. Ich persönlich sehe die EM im Ranking recht hoch, da fast alle Spiele eine gutes Niveau hatten.Ausserdem gab es Highlights, die immer im Gedächtnis bleiben, wie z.B. die Wasserschlacht, Deu - Por, Niederlande etc.
Es war toll.
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16.12.2008 | 15:10 Uhr
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midget : Gelungener Blog.
Komischerweise habe ich die EM als völlig unbefriedigende Meisterschaft im Kopf. Hat sich bei mir so manifestiert und das hat nichts mit dem schlechten Endspiel der deutschen zu tun. In meinem Alltime-Favourite Ranking der Europameisterschaften würde diese nicht unter die Top-5 landen.Zum Thema Spanien muss ich immer fragen warum Inniesta nie erwaähnt wird. Die Achse Inniesta Xavi war das beste was in der Euro zu sehen war.
So und an deinem Blog gibts mal wieder nichts zu deuteln.
Sehr chic.
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16.12.2008 | 14:20 Uhr
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16.12.2008 | 14:11 Uhr
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Voegi :
Ganz ehrlich: Meine LL-Akku ist ein wenig leer. Abgesehen davon ist es auch mal ganz gut, wenn die Reihe eine Pause macht. Dann geht's im Januar ganz neu und frisch wieder los. Werde aber gegen Ende des Jahres wohl noch eine hoffentlich launige Liga-Kolumne hier rausgeben, allerdings in einem anderen Format. Mal schauen!
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16.12.2008 | 14:04 Uhr
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Das wäre aber wohl zu viel des guten, aber die Hoffnung stirbt zuletzt
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