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Formel 1


Gründer: santiagodiaz | Mitglieder: 116 | Beiträge: 60
30.10.2013 | 2200 Aufrufe | 5 Kommentare | 2 Bewertungen Ø 10.0
Romain reloaded
Beachten Sie die Straßenverkehrsordnung
Crash-Kid war gestern

Letztes Jahr galt Lotus-Pilot Romain Grosjean als fahrendes Sicherheitsrisiko. Das hat sich in dieser Saison geändert. Kein einziger Unfall steht für ihn zu Buche, das ist nach vielen dunklen Erfahrungen ein Quantensprung. Woher rührt die neue Umsicht? Psychologe? Training? Kind? Ja, wenn er das wüsste.



Grand Prix von Japan 2012. Kleiner Kontakt, großer Aufschrei. "Da war er wieder", brummt Mark Webber, "der Verrückte aus Kurve eins!" Gemeint ist Romain Grosjean, der eine Startkollision verursacht und Webber dabei ins Aus gerissen hatte.


Ein Jahr später, derselbe Ort, derselbe Gegner. Diesmal ist es ein Duell auf der Strecke, es geht um Platz zwei, zeitweise sieht es sogar nach einem greifbaren Sieg für Grosjean aus. Und auch, wenn er sich letztlich dem überlegenen Webber-Bullen geschlagen geben muss, konterkariert die 2013er Auflage des Japan-GP symbolisch den Schlamassel der Vorsaison. Selbst Sebastian Vettel gesteht: "Ich dachte, dass ich ihn nicht mehr packen könnte."


So etwas dachte man bereits 2012, aber die Crux war, dass sich dies auf den Pistenrowdy Grosjean bezog, auf das Crash-Kid, den Unbelehrbaren. Denn das Suzuka-Techtelmechtel mit Webber war nur das unrühmliche Ende der Fahnenstange. In rekordverdächtige zehn Unfälle war er involviert, nicht weniger als acht Mal resultierte Feindkontakt im Startgetümmel. Verkehr verkehrt. Eine Welle der Empörung drohte den zerbrechlich wirkenden Grosjean zu überschwemmen. Der sonst so bedächtige Nico Rosberg zischte, es sei "beschissen", ein Rennen auf diese Art zu beenden; der gewohnt diplomatische Niki Lauda bezeichnete den Lotus-Piloten als "komplett Wahnsinnigen"; die journalistisch wertvolle BILD-Zeitung dichtete Schlagzeilen vom "Renn-Rüpel" oder ähnlich Melodischem. Springer liebt Alliterationen.



Unbemerkt ins Rampenlicht



Heute spricht Vettel auffallend anerkennend vom 27-jährigen, er habe sich "toll" entwickelt, findet der Weltmeister, "Romain ist einer unserer stärksten Gegner." Auch Fernando Alonso lobt: "Er war schon im vergangenen Jahr stark, hat aber zu viele Fehler gemacht und war manchmal zu aggressiv. Jetzt ist er ruhiger." So ruhig, dass Grosjean 2013 gänzlich ohne Karbonschrott durch die ersten Kurven dieser Formel-1-Welt kam. Der ungeschriebenen Vorfahrtsregelung ist er sich bewusst geworden.


Was bleibt, ist die Registrierung einer erstaunlichen Wandlung - und die Frage, woher diese neue Besonnenheit stammt.



Grosjean hat keine konkrete Antwort parat: "Ein Geheimnis gibt es nicht. Viele Dinge sind nun anders als im vergangenen Jahr." Ein Blick auf die nackten Zahlen drückt dies noch nicht einmal aus. Wurde er 2012 Gesamtachter und fuhr dreimal aufs Podest, steht der Schweizer mit französischer Lizenz nun auf dem siebten Rang im WM-Klassement, schloss fünf Rennen auf dem Treppchen ab - und kurioserweise alle fünf als Dritter, davon drei in Serie: Korea, Japan, Indien.


Doch was sind schon Zahlen? Gerade der GP Indien zeigt, welche Stabilität sich Grosjean binnen eines Jahres angeeignet hat. Dass er den nötigen Speed besitzt, wusste jeder. Dass er sein unbestrittenes Talent allerdings kalkulieren und kanalisieren kann, das sind die saftigsten Früchte, die sein Reifeprozess in der Formel 1 abgeworfen hat. Nach einem kapitalen Strategiefehler im Qualifying startete er nur von Rang 17. Ins Ziel brauste er als nie erwarteter Dritter. "Es war nicht der Zeitpunkt auf Nummer sicher zu gehen", berichtete Grosjean hinterher. Was in der letzten Saison noch wie eine Drohung geklungen hätte, dem schwarzen Wagen möglichst weiträumig auszuweichen, ist plötzlich die Coolness eines Geläuterten. Wer kann, der kann.


Kimi Räikkönen kann immer weniger - nämlich den Noch-Teamkollegen mühelos distanzieren. In Indien rasselten die beiden beinahe aneinander, weil der Finne seinen zweiten Platz trotz überstrapazierter Reifen nicht an der schnellsten Stelle der Strecke räumen wollte. Der aufgewühlte Funkverkehr zwischen Lotus-Kommandozentrale und Lotus-Starpilot verdeutlichte den Ernst der Lage. Grosjean rekapitulierte den Zweikampf mit einem Satz, der durchaus im übertragenden Sinne zu interpretieren ist: "Ich bin auf die Außenseite gegangen und er hat mich einfach nicht gesehen." Soll heißen: Nahezu unbemerkt rückte das Crash-Kid a. D. seinem prominenten Stallgefährten auf die Pelle. Ein Trend, der sich seit dem Sommer verstärkt hat.



Erst zurück in die Schmiede, dann auf die Strafbank



Es sind dabei nicht, wie oft kolportiert, etwaige Motivationsprobleme, die Räikkönens Formkurve nach seinem angekündigten Wechsel zu Ferrari abflauen lassen. "Ich denke, dass es Romain ist, der konkurrenzfähig ist", meint Lotus-Teamchef Eric Boullier. Die überarbeiteten Reifen zur Saisonmitte behagen Räikkönens rabiaterem Fahrstil nicht. Grosjean nutzt die hypersensiblen Pneus mit seinen "runden", da weicheren Lenkbewegungen effizienter - ein Vorteil, der sich besonders im Zeittraining bemerkbar macht.


Deshalb fällt sein Aufschwung eher zufällig in die Phase von Räikkönens Abschiedstournee. Grosjean bestätigt: "Es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang. Okay, es ist meine Chance zu beweisen, dass ich ein Team anführen kann, seither sind die Crew und ich noch enger zusammengerückt." Was sich 2014 fortsetzen wird. "Alle Kästchen sind angekreuzt, alle Lichter auf Grün", sagt Boullier zum Vertragswerk. Sobald Klarheit über die Finanzierung des Teams herrscht, erfolgt die Unterschrift.


Romain Grosjean wird seine dritte volle Formel-1-Saison bestreiten. 2009 suchte Renault nach dem Rauswurf von Nelson Piquet junior kurzfristig einen Fahrer, Grosjean wurde aus der GP2 losgeeist (wo er sich im Meisterschaftskampf mit Nico Hülkenberg befand) und in das Cockpit neben Fernando Alonso gesetzt. Aber die Situation überforderte ihn. Im ersten Rennen kollidierte er mit Luca Badoer, im zweiten Versuch mit Jenson Button. Am Saisonende war Schluss, Grosjean ging (zwangsweise) zurück in die Nachwuchsschmiede GP2, gewann 2011 den Titel und fand erneut den Weg retour in die Formel 1 - zu Lotus, das mittlerweile aus dem Renault-Rennstall hervorgegangen war.



Jeder Fehler verschärfte die Kritik. Negativer Höhepunkt seiner von Hast und Übereifer gekennzeichneten Startrunden war der Grand Prix im belgischen Spa. Grosjean löste eine Massenkarambolage aus, die für Ferrari-Pilot Alonso fatale Konsequenzen hätte bedeuten können. Lewis Hamilton tippte sich an die Stirn, die Szene stöhnte auf, die FIA sperrte den Wiederholungstäter für das Rennen in Monza. Grosjean gelobte fast flehentlich Besserung, doch kaum saß er wieder im Cockpit, erspähte er in Japan eine Lücke, wo keine war. Der Donnerhall war stürmisch, und das ohnehin schmale Gesicht Grosjeans noch blasser und angreifbarer als üblich. Rennfahrer, die ins Grübeln geraten, haben die erste Patrone verschossen.



Webbers letzter Akt?



Umso erstaunlicher ist diese Metarmorphose, die Romain Grosjean 2013 durchläuft. Er präsentiert sich wie ausgewechselt: Umsichtig, abwägend, berechnend. Keine Spur mehr vom Hitzkopf, außer vielleicht in Korea, wo er sich via Teamradio heftig beschwerte, Räikkönen nicht überholen zu sollen. Oder nicht zu dürfen, Auslegungssache.


Die heiklen Starts hat er souverän in den Griff bekommen, drei Rennen vor Saisonende ist die Weste blütenweiß. "Es sind Sekundenbruchteile, in denen du als Pilot Lösungen finden und sofort darauf reagieren musst - das kann sehr kompliziert sein", erklärt Grosjean. "Ich habe angefangen, meine Hände zu trainieren. Damit habe ich jetzt viel mehr Möglichkeiten. Ich kann mich aus Situationen befreien, aus denen ich früher keinen Ausweg gefunden hätte. Nach dem Unfall in Spa habe ich mich außerdem an eine Psychologin gewandt, zu ihr gehe ich immer noch. Das hilft mir sehr."


Ob es ebenfalls hilft, dass er Ende Juli erstmals Vater wurde? Normalerweise gilt unter Rennfahrern die Faustregel, dass jedes Kind eine Sekunde kostet. Grosjean scheint der Sprössling hingegen zu beflügeln, wobei er Grenzen zieht: "Im Auto denke ich nicht unbedingt daran, ob er jetzt seine Flasche kriegt oder nicht. Da beschäftigen mich andere Gedanken. Erst auf dem Podest ist das wieder anders."


Wahrscheinlich erhält Vierfach-Weltmeister Sebastian Vettel dort regelmäßig schweizerisch-französische Gesellschaft. "In Zukunft ist er sicher einer der Fahrer, der das Potenzial hat, um mehr zu kämpfen", sagt Vettel, vorausschauend. Ahnt er etwas?


Noch hat Romain Grosjean kein Formel-1-Rennen gewonnen, aber heuer zumindest das Rambo-Image abgestreift. Dafür könnte man ihm eine Plakette für die dauerhafte Zulassung zum Straßenverkehr aushändigen. Vielleicht wird es ja die letzte Amtshandlung von Mark Webber.


Bildquelle: spox.com

KOMMENTARE
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Red_7
31.10.2013 | 14:43 Uhr
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Red_7 : 
31.10.2013 | 14:43 Uhr
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Red_7 : 
"Noch in Ungarn drängte er einen Konkurrenten, ich glaube es war Button, (...)"

Stimmt es war Button, aber das hatte ich aufgrund der Einmaligkeit des Vorfalls in diesem Jahr schon wieder verdrängt.
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federigol
31.10.2013 | 00:59 Uhr
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federigol : 
31.10.2013 | 00:59 Uhr
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federigol : 
sprachlich sowie inhaltlich 1+, besonders die ersten beiden Absätze sind große Klasse
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Dr_D
30.10.2013 | 22:07 Uhr
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Dr_D : 
30.10.2013 | 22:07 Uhr
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Dr_D : 
Guter Blog, den ich im Großen und Ganzen teile, also die Ansichten.
Für mich war Grosjean noch bis Mitte der Saison, der "Typ der es nie lernt".
Noch in Ungarn drängte er einen Konkurrenten, ich glaube es war Button, ohne Not von der Strecke. Aber danach war wirklich gar nichts negatives mehr. Im Gegenteil, er hat sich um 180 Grad gedreht. Scheinbar braucht er das. Schon in der GP 2 brauchte er ja Zeit bis er Champion wurde.
Ob er das in der Formel 1 auch schafft? Eher nicht. Dazu fehlt bei allem Speed daoch noch einiges.
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RoyRudolphusAnton
30.10.2013 | 21:01 Uhr
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30.10.2013 | 21:01 Uhr
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Würde ich Wort für Wort so unterschreiben
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Red_7
30.10.2013 | 20:52 Uhr
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Red_7 : 
30.10.2013 | 20:52 Uhr
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Red_7 : 
Er wird nie mein Lieblingsfahrer und er ist als alter Renaultmann sicher auch in einer priviligierten Positon bei Lotus, aber das zeigt auch, dass man Fahrer nie in Schubladen stecken sollte oder mit Scheuklappen betrachten.

Dann verpasst man womöglich den nächsten Schritt den sie machen...
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