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Von: Ste
18.12.2013 | 5667 Aufrufe | 5 Kommentare | 4 Bewertungen Ø 9.5
Die seltsame Reise des Postboten
Über einen speziellen Spieler und seinen Weg durch die Premier League

Die Älteren werden sich erinnern: Darren Bent galt einmal als einer der besten Angreifer Englands. Das Publikum verehrte ihn, Innenverteidiger fürchteten ihn und auch die Three Lions konnten auf seine Dienste nicht verzichten. Doch das war einmal. Heute verbindet man den Namen nicht mehr mit phantastischen Treffern und glänzenden Perspektiven. Bent gilt als ein ebenso kostspieliges wie aus der Zeit gefallenes Versprechen, mit dem noch kein Trainer dauerhaft glücklich werden konnte. Über einen speziellen Spieler und seine seltsame Reise durch die Premier League.


David Sheepshanks war seine Frustration deutlich anzuhören. "Es ist immer bedauerlich, eines der Eigengewächse zu verkaufen, doch hier war es unvermeidlich. Spieler und Agent haben in den letzten zwölf Monaten abgelehnt über einen langfristigen Vertrag zu sprechen, falls wir nicht aufsteigen sollten." Sheepshanks war der Vorsitzende von Ipswich Town und musste den versammelten Pressevertretern gerade erklären, warum ihr vielsprechender Nachwuchsspieler Darren Bent im nächsten Jahr nicht mehr für die Tractor Boys spielen würde.


20 Tore und 16 Assists in 46 Zweitligaspielen hatten Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen geweckt, erst recht, da der junge Wunderstürmer erst 21 Jahre alt war. Den Aufstieg hatte Ipswich jedoch knapp verpasst, und so hielt Bent nichts mehr an der Portman Road. Für 4,5 Millionen Euro Ablöse wechselte er zu Charlton Athletic. "Es ist verständlich, dass der Spieler in der Premier League spielen möchte, und lässt uns keine andere Wahl, als durch den Verkauf noch das meiste Geld herauszuholen. Ich möchte Darren für alles danken, was er mit diesem Klub erreicht hat, und wünsche ihm für seine Zukunft mit Charlton und hoffentlich England viel Erfolg."


Trotz aller Enttäuschung über den sportlichen Verlust begleiteten den scheidenden Hoffnungsträger nur die besten Wünsche. Auch in Ipswich wusste man nur zu gut, dass dieser Darren Bent für höhere Aufgaben prädestiniert war. Schon bald würde sein Weg ins Aufgebot der Three Lions führen, da war man sich sicher.



Ein furioses Debüt



Mit Charlton hatte sich Bent für einen Verein aus dem Mittelfeld der Premier League entschieden, bei dem Manager Alan Curbishley eine herausragende Rolle spielte. Seit 1991 leitete er die Geschicke der Addicks und hatte Charlton in ein respektables Premiership-Team verwandelt. Die Saison 2005/06 bedeutete die sechste Erstliga-Saison hintereinander, das hatte der Klub zuletzt Mitte der fünfziger Jahre geschafft. Seitdem hatte der Verein viele Höhen und Tiefen durchschritten, doch einen derartig sensationellen Einstand, wie ihn Darren Bent feierte, hatten selbst die Ältesten noch nicht erlebt.

In seinem Premier-League-Debüt brauchte er gerade einmal elf Minuten für sein erstes Tor, dank seines Doppelpacks gewannen die Addicks in Sunderland mit 3:1. Einen Tag später folgte ein Anruf von Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson, der kurzfristig noch einen Angreifer für das unter der Woche stattfindende Freundschaftsspiel gegen Dänemark benötigte und den 21-Jährigen zur allgemeinen Überraschung nachnominierte. Bent wurde bei der Niederlage in Kopenhagen zwar nicht eingewechselt, strotzte aber voller Selbstvertrauen und legte jetzt erst so richtig los.

Charlton gewann seine ersten vier Saisonspiele, Darren Bent traf fünfmal und wurde von der Premier League zum Spieler des Monats August gekürt. Bis zum Ende der Saison summierte sich seine Bilanz auf 18 Tore in 36 Spielen, nur Thierry Henry und Ruud van Nistelrooy waren noch besser. Die Liga staunte, The Valley frohlockte. "Vom ersten Tag an sorgte er für frischen Wind", schwärmte Alan Curbishley. "Er ist ein geborener Torjäger und man ist überrascht, wenn er nicht trifft. Seine Torquote für uns und für Ipswich ist einfach nur fantastisch."



Chaos und Abstiegskampf



Doch nicht an allem in Charlton hatte der Manager so viel Freude wie an seinem Offensivjuwel. Die Vertragsverhandlungen verliefen schleppend, am Ende konnte er sich mit der Vereinsführung auf keine weitere Zusammenarbeit verständigen. Nach 15 Jahren endete zum Saisonende die Ära Curbishley und stürzte den Verein in unerwartet große Probleme. Der neue Manager Iain Dowie wurde nach acht Niederlagen in zwölf Begegnungen entlassen, dessen Nachfolger Lou Reed musste sogar schon nach sechs Pleiten aus sieben Spielen wieder seine Koffer packen. Die Lage war dramatisch.


Erst unter Alan Pardew wurde es wieder etwas besser. Charlton war nun sehr viel schwerer zu schlagen, kehrte zur defensiven Stabilität der Vorjahre zurück und arbeitete sich kontinuierlich nach oben. Doch gerade als man am zum ersten Mal seit Monaten wieder einen Nichtabstiegsplatz belegte, folgte der sportliche Einbruch. Aus den letzten sechs Spielen holte Charlton nur drei Punkte, schon vor dem letzten Spieltag stand der unvermeidliche Abstieg in die Championship fest. Mit Wehmut erinnerten sich die Fans an die erfolgreiche Zeit unter Alan Curbishley, und schon bald mussten sie sich auch von Darren Bent verabschieden.


Denn anders viele seiner Mitspieler wusste Bent auch in der Abstiegssaison zu überzeugen. Angesichts von 13 Toren in 32 Spielen war es für die Addicks ein aussichtsloses Unterfangen, den mittlerweile zweifachen englischen Nationalspieler irgendwie halten zu können. West Ham warb intensiv um seine Dienste und war sich mit Charlton bereits einig, doch Darren Bent entschied sich überraschenderweise gegen die Hammers und wechselte schließlich für knapp 25 Millionen Euro zu Tottenham. Ein großer Fehler, wie sich der ehemalige Besitzer einer Arsenal-Dauerkarte recht schnell eingestehen musste.



Frustrierende Zeiten an der White Hart Lane


Von Martin Jol für viel Geld verpflichtet, musste Bent schon bald erleben, wie der Niederländer entlassen wurde. Ein einziger Sieg aus den ersten zehn Ligaspielen war zu wenig. Juande Ramos übernahm und führte die Spurs auf den elften Rang, musste schon zu Beginn der neuen Saison jedoch ebenfalls seinen Hut nehmen. Diesmal umfasste der verpatzte Saisonstart acht sieglose Spiele in Serie, erneut zog die Vereinsführung der Reißleine. Ersetzt wurde der Spanier durch Harry Redknapp - aus Sicht von Darren Bent der Anfang vom Ende.


Sportlich mochte es zwar einigermaßen laufen, 13 Treffer in 32 Spielen unter Redknapps Ägide stellen eine passable Quote dar, doch mit dem Charakter seines neuen Coachs kam der Angreifer überhaupt nicht klar. "Es waren die zwei schlimmsten Jahre meiner Karriere", sollte er später klagen. "Selbst im letzten Jahr, als ich der beste Torschütze des Vereins war, fühlte ich mich nie so richtig geschätzt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Redknapp mich dort wollte. Es ist wichtig die Unterstützung des Managers zu haben, und das war in den letzten beiden Jahren nicht der Fall."


In schlechter Erinnerung blieb vor allem ein Interview, in dem ihn Redknapp in aller Öffentlichkeit bloßstellte und angesichts einer vergebenen Großchance spottete, selbst seine Frau hätte diese verwandeln können. Bent hatte ein anderes Verständnis von Loyalität und brach seine Zelte ab. Nach zähen Verhandlungen, wurde dem Wechselwunsch stattgegeben und Bent für knapp 12 Millionen Euro in den englischen Nordosten transferiert.


Neubeginn im Stadion des Lichts



"Es ist für mich der perfekte Platz, um gut zu spielen, Tore zu schießen und hoffentlich in das englische Aufgebot zurückzukehren." Für einen Spieler, der von einem Champions-League-Aspiranten zum Tabellensechzehnten der Vorsaison wechselt, sind das eher ungewöhnliche Worte. Doch Darren Bent war sich seiner Sache sehr sicher, und es war verblüffend zu sehen, wie Recht er damit zu haben schien.

Ähnlich wie schon bei Charlton erlebte er auch in Sunderland einen fulminanten Einstand. Bereits in seinem ersten Spiel avancierte er zum Schützen des Siegtreffers, in den nächsten acht Partien legte er sieben Tore nach. Von Abstiegsgefahr war auch deswegen die ganze Saison lang nichts zu spüren. Die Black Cats präsentierten sich als ein solides Team, das am Ende auf Rang 13 landete und trotzdem für große Geschichten sorgte.


Zu nennen wäre beispielsweise das Heimspiel gegen Liverpool, das schon in der fünften Minute in die Annalen des Fußballs einging. Ein Schussversuch wurde von einem Strandball abgefälscht, den ein jugendlicher Liverpool-Fan zuvor auf das Feld geworfen hatte. Über den weiteren Verlauf lachte die ganze Insel: Pepe Reina ließ den echten Spielball verwirrt passieren, Bent hatte wieder einmal getroffen, Sunderland siegte 1:0. Auch der Sieg über Tottenham blieb vielen Fans in bester Erinnerung. Bent revanchierte sich mit einem spielentscheidenden Doppelpack für zwei unschöne Jahre bei den Yids, trat während des Spiels allerdings gleich dreimal zum Strafstoß an und versagte dabei zweimal jämmerlich.

Viel wichtiger als der sichere Ehrenplatz im Saisonrückblick dürften Darren Bent aber die 24 Tore gewesen sein, mit denen er bei Nationaltrainer Fabio Capello ein imposantes Bewerbungsschreiben für die Weltmeisterschaft in Südafrika einreichte. Außerhalb des Sechzehners mochte Darren Bent limitiert sein, doch seine Qualitäten im Abschluss waren unbestreitbar. Die Nominierung war eine reine Formsache, so viel schien sicher.


Vergebliche Träume von Südafrika


Doch Fabio Capello dachte anders. Im 30er-Kader hatte er den drittbesten Torschützen der vergangenen Saison noch berücksichtigt, doch als sich der italienische Trainer auf 23 Leute festlegen musste, ließ er ihn außen vor. Rooney, Defoe, Crouch und Heskey zählten zum Aufgebot seines Vertrauens, Sunderlands Goalgetter nicht. Für den Nichtnominierten ein riesige Enttäuschung. Darren Bent hatte so eben die beste Saison seines Lebens gespielt und seine Rivalen in den Schatten gestellt, doch den Nationaltrainer überzeugte selbst das nicht. Wirklich glücklich mit seiner Entscheidung sollte Capello allerdings nicht werden. Im gesamten Turnier erzielten die Three Lions nur drei Tore, seine vier Angreifer kamen auf einen einzigen kümmerlichen Treffer. Bereits im Achtelfinale war Schluss.


Anderen Nationen war mehr Erfolg vergönnt, insbesondere dem Überraschungsteam aus Ghana, deren dreifacher Torschütze Asamoah Gyan urplötzlich in aller Munde war. Sunderland machte Nägel mit Köpfen, überwies 16 Millionen Euro nach Rennes und ergänzte seine Offensivreihe zudem noch mit Danny Welbeck, ein von Manchester United ausgeliehenes Toptalent. Das Stadium of Light frohlockte und begann, vorsichtig von Europa zu träumen.


Bis Ende Januar lief alles nach Plan. Nach dem 23. Spieltag stand Sunderland auf einem starken sechsten Rang, hatte Kontakt zu den Europapokalplätzen und konnte sich an einem zuverlässigen Sturmtrio erfreuen. Darren Bent war mit acht Treffern wieder einmal bester Torschütze der Black Cats, Asamoah Gyan deutete mit sieben Toren ebenfalls sein Potenzial an und auch der junge Welbeck fügte sich mit sechs Toren hervorragend ein. Coach Steve Bruce wähnte sein Team auf einem guten Weg - bis praktisch über Nacht das ganze Kartenhaus zusammenbrach.



Und plötzlich war er weg



Es war der 16. Januar 2011, Tag des Tyne-Wear-Derbys gegen Newcastle, als Darren Bent Sunderlands Vereinsführung schriftlich erklärte, dass er den Verein gerne verlassen würde. Zwar war im Vorfeld der Begegnung über ein hochdotiertes Angebot von Aston Villa gemunkelt worden, doch die rasche Abfolge der Ereignisse überrumpelte Verein, Medien und Fans gleichermaßen. Schon wenige Tage später war der Transfer beschlossene Sache. Für die Rekordsumme von 21,5 Millionen Euro wechselte der Angreifer zu Aston Villa.


Nach Bents Abgang sollte für Sunderland nichts mehr so sein, wie es vorher war. Danny Welbeck hatte die gesamte Rückrunde mit Verletzungen zu kämpfen und erzielte keinen einzigen Treffer mehr. Asamoah Gyan konnte die Verantwortung nicht schultern und brachte nur noch drei weitere Tore zustande. Die Mannschaft geriet in einen sportlichen Abstiegsstrudel, holte aus den verbleibenden 15 Spielen gerade einmal 13 Punkte und verlor sich im Niemandsland der Tabelle. Von Europapokal sprach niemand mehr.


Der Beliebtheit von Darren Bent waren diese Entwicklungen nicht gerade zuträglich. Es dauerte nicht lange, bis der einstige Liebling mit Vorwürfen überhäuft wurde. "Es ist wahnsinnig enttäuschend, dass Darren seine Zukunft abseits von Sunderland sieht. Die Spieler, unsere Fans und der Verein als Ganzes haben jedes Recht, sich im Stich gelassen zu fühlen", klagte etwa Manager Steve Bruce. "Jeder war während seiner Zeit in Sunderland nur gut zu Darren, aber es war offensichtlich: Im Training stand er neben sich, und in den Spielen der letzten Wochen haben wir sicher nicht das Beste von ihm gesehen. Jetzt wissen wir, warum."



Über die eigentlichen Gründe für den Abgang aber herrschte Rätselraten. Die sportliche Perspektive sprach schließlich für einen Verbleib in Sunderland. Trotz eines lukrativen Vertrages bei Villa waren auch rein finanzielle Motive unwahrscheinlich, da er zuvor derartige Angebote stets ausgeschlagen hatte. Ob Fabio Capello ihm zu dem Wechsel gedrängt hatte, ein Rassismus-Vorfall der Grund war, inwiefern Bents Beziehung mit der Tochter der Managers eine Rolle spielte oder ob sich der sensible Angreifer neben Asamoah Gyan nicht mehr genug geschätzt fühlte - Erklärungsansätze gab es viele. Auf eine ehrliche Antwort des Angreifers aber warten die Fans der Black Cats bis heute.



Held und Retter der Villans



So unverständlich die Entscheidung für Sunderland auch war, im Norden Birminghams hatte sie ganz neue Hoffnung entfacht. Manager Gérard Houllier strahlte wie ein Honigkuchenpferd, als er seinen prominente Akquisition vorstellte. "Wir sind absolut glücklich, Darren hier zu haben, und wissen, dass er eine gewaltige Bereicherung für die nächste Monate und Jahre sein wird." Um jeden Preis versuchte der Franzose den Eindruck zu vermeiden, dass es sich bei Bent um einen unüberlegten Panikkauf handelte. Aston Villa verstand die 21,5 Millionen Euro Ablöse nicht nur als wertvolle Unterstützung des sportlichen Tagesgeschäfts, sondern zugleich auch als wertvolle Investition in die Zukunft. Der 26-Jährige sollte Wurzeln schlagen und dabei helfen, rund um die Trinity Road etwas Nachhaltiges aufzubauen, so lauteten die rosigen Pläne der Vereinsführung.


Zunächst sollte sich Bent jedoch schleunigst um die unmittelbare sportliche Entwicklung kümmern, denn die Lage war ernst. Auch am 23. Spieltag hatten Trainer und Mannschaft noch nicht wirklich zueinandergefunden. Entgegen des eigenen Anspruchs stand Villa auf dem fünfzehnten Tabellenplatz und befand sich nur drei Zähler vom Abgrund entfernt. Das Publikum hatte schon länger genug von Villas dürftigen Darbietungen und wand sich mehr und mehr gegen Houllier. Doch dann kam Darren Bent.


Wie schon bei Charlton und Sunderland gelang ihm auch bei Villa ein Einstand nach Maß. Bereits nach 18 Minuten erzielte das einzige Tor des Tages und führte seine Farben so zu einem überraschenden 1:0-Sieg über Manchester City. In den verbleibenden fünfzehn Spielen sollten noch acht weitere Treffer folgen, Aston Villa war rasch von jeglichen existenziellen Sorgen befreit und landete am Ende auf einem versöhnlichen neunten Platz. Selbst der öffentlichkeitsscheue Besitzer Randy Lerner war dermaßen begeistert, dass er den Angreifer in Anlehnung an die NBA-Legende Karl Malone The Mailman taufte - weil auch Darren Bent zuverlässig die Leistung lieferte, die man von ihm verlangte. Selbst im Nationalteam lief es ausgezeichnet. Viermal lief er in dieser Spielzeit für England auf, dreimal wurde Capello das Vertrauen mit einem Treffer zurückgezahlt. Tore, Siege, Anerkennung: Alles lief wie am Schnürchen.



Finstere Tage unter McLeish



Der sportliche Höhenflug sollte jedoch ein jähes Ende nehmen, als sich im Sommer wieder einmal ein Trainerwechsel abzeichnete. Teile der Mannschaft und des Publikums hatten schon im Laufe der letzten Saison mit Gérard Houllier gebrochen, doch am Ende trat der Manager von sich aus ab. Schon im Saisonendspurt war er wegen massiven Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert worden und legte auf Anraten eines Arztes schließlich sein Amt nieder, obwohl Randy Lerner bis zuletzt auf eine Rückkehr des Franzosen gehofft hatte. Auch für Bent war diese Entscheidung ein schwerer Schlag, hatte sich Houllier doch mehrfach als großer Bewunderer von Darren Bent erwiesen.


Auf der Suche nach einem Nachfolger wurde Villas Vereinsführung ausgerechnet bei Birmingham City fündig. Alex McLeish hatte dreieinhalb Jahre lang den verhassten Lokalrivalen trainiert, einen unästhetischen Fußball spielen lassen und so eben auch noch den Klassenerhalt verpasst. Die seit den Tagen von Martin O'Neill verwöhnten Fans waren fassungslos.


Recht schnell sollte sich zeigen, dass die Kritiker vollkommen richtig lagen. Weil im Sommer abgewanderte Leistungsträger wie Ashley Young oder Stewart Downing nur unzureichend ersetzt wurden und man auf die Entwicklung einer Spielidee vergeblich wartete, brachen an der Trinity Road trübselige Zeiten an. Mit einer unansehnlichen Spielweise versuchte sich McLeishs Team irgendwie durch die Saison zu retten, spielte rekordverdächtige siebzehnmal Unentschieden und belegte in der Endtabelle den vollkommen indiskutablen 16. Platz.


Auch für Bent verlief die Spielzeit überaus bescheiden. Mit neun Treffern führte er die interne Torschützenliste zwar unangefochten an, eine Sprunggelenksverletzung bedeutete jedoch schon Ende Februar das vorzeitige Saisonaus. Auch für die Three Lions hatte das unliebsame Konsequenzen. Obwohl der Angreifer von Nationaltrainer Roy Hodgson berücksichtigt wurde und bei seinen beiden Einsätzen ein Tor und eine Vorlage verzeichnete, musste er sich ein großes Turnier wieder einmal im Fernsehen anschauen. Trotz größter Anstrengungen heilte die Verletzung nicht schnell genug, um ihm doch noch den Sprung zur Europameisterschaft in Polen und der Ukraine zu ermöglichen.


Bei Aston Villa kündigten sich unterdessen wieder einmal grundlegende Veränderungen an. Der von Beginn an ungeliebte Alex McLeish war nicht mehr zu retten und musste Ende Mai seinen Hut nehmen. Für ihn nahm ein weiterer Schotte auf der Trainerbank Platz: Paul Lambert, der mit Norwich City aus der dritten in die erste Liga durchmarschiert war und bei Villa den nächsten Schritt wagen wollte.



Alles Neu im Villa Park


"Ich fühle mich geehrt, der Manager dieses Fußballklubs zu sein. Ich werde alles geben, was ich habe, um erfolgreich zu sein." Dafür schreckte Lambert auch vor radikalen personellen Veränderungen nicht zurück. Nicht nur Keeper Shay Given verlor seinen Stammplatz, die gesamte Defensive rund um Warnock, Collins, Cuéllar, Dunne und Hutton wurde transferiert oder aussortiert und durch zumeist jüngere Spieler ersetzt. Im defensiven Mittelfeld übernahm Westwood die Rolle des erkrankten Petrov, in der Offensive wurden selbst prominente Spieler wie Ireland oder NZogbia zu Randgestalten degradiert und nur Gabriel Agbonlahor weiterhin als Stammkraft geduldet. Als die Umbaumaßnahmen beendet waren, befand sich kein einziger Feldspieler mehr im Kader, der älter als 28 war. Aston Villa war voll und ganz zu Paul Lamberts Team geworden.

In den ersten Spielen schien es noch so, als würde Darren Bent auch im neuen Villa noch seinen festen Platz finden. Die ersten fünf Spiele stand er in der Startformation und durfte sein Glück über die gesamten 90 Minuten versuchen. Doch ausgerechnet als es am fünften Spieltag endlich mit dem ersten Saisontor klappte, nahm ihn Lambert aus der ersten Elf und setzte fortan auf Christian Benteke. Der 21-jährige Belgier war erst am Deadline Day verpflichtet worden und erwies sich trotz knapp neun Millionen Euro Ablöse als einer der besten Transfers des gesamten Sommers. 34 Spiele, 19 Tore: Der Villa Park hatte einen neuen Star.

Die großartigen Leistungen von Benteke waren für Darren Bent allerdings bei weitem nicht das größte Problem. Schon gegen Ende der Vorsaison hatte er mit einer hartnäckigen Sprunggelenksverletzung zu kämpfen gehabt, nun streikte sein Körper erneut. Den ganzen November lang setzte ihn eine Knöchelverletzung außer Gefecht, nach einem noch nicht einmal halbstündigen Comeback Mitte Dezember kamen auch noch Oberschenkelprobleme hinzu. Kurzum: Es war eine echte Seuchensaison, die sich mit sechs Toren in gerade einmal 23 Liga- und Pokalspielen auch dementsprechend in der Statistik niederschlug.

Zumal sich das Offensivspiel der Villans in der Zwischenzeit fundamental veränderte. Aus der defensiven Ausrichtung der McLeish-Ära wurde ein 4-3-3-System, in dem Lambert bevorzugt auf die laufstarken und variablen Weimann, Benteke und Agbonlahor setzte. Der Durchschlagskraft von Villas Angriffsbemühungen war das nur förderlich. Die zweitschlechteste Offensive der Vorsaison steigerte ihre Produktion von 37 auf 47 Tore, was im ligaweiten Vergleich immerhin für Platz 11 reichte. Villa dachte offensiver, agierte mutiger und etablierte endlich in ordentliches Passspiel. Die Zukunft hatte Einzug in die Trinity Road gehalten, und den Fans gefiel der neue Ansatz. Ein Spieler wirkte angesichts der vielen Veränderungen jedoch wie ein Dinosaurier: Darren Bent.


Abschied auf schottische Art


Spieler wie er werden auf der Insel poacher genannt, was sich mit Abstauber oder Wilderer übersetzen lässt. Sie sind Relikte aus einer Zeit ohne Datenanalysen und falscher Neun, als für Stürmer nur die Torausbeute zählte und ihnen im Gegenzug gewisse Freiheiten zugestanden wurde. Ohne die Vorlagen ihrer Mitspieler sind diese Spieler hilflos, außerhalb des Strafraums nicht zu gebrauchen, doch im Sechzehnmeterraum absolut gnadenlos. Darren Bent mochte in dieser Hinsicht zu den Besten seines Fachs zählen, doch Paul Lambert ließ seinem vermeintlich besten Spieler deutlich spüren, dass reine Finisher-Qualitäten nicht mehr genügten.

In der Vorbereitung ernannte er Bent zum Kapitän, entzog ihm jedoch schnell das Vertrauen und nahm ihm die Binde wieder ab. Während der Saison kommunizierte er kaum mit dem sensiblen Angreifer und ließ ihn über seine Rolle im Team unklar. "Es war schrecklich. Es lag nicht so sehr an den Verletzungen, obwohl sie sicher nicht halfen, sondern an der Unsicherheit. Manchmal war ich im Kader, manchmal war ich es nicht, und es gab einfach keine Erklärung warum."

Auch die Journalisten rätselten über Lamberts Beweggründe, erhielten jedoch ebenfalls keine befriedigende Antwort. Absurder Höhepunkt war eine Pressekonferenz, in der 22 Fragen über das Schicksal von Darren Bent gestellt wurden und der schottische Manager fortwährend bestritt, ein Problem mit dem Angreifer zu haben. Er könne die Nachfragen verstehen, aber Bent trainiere ordentlich, er schätze ihn, und es gäbe wirklich kein Problem. Ganz ehrlich. Warum er zwischenzeitlich selbst Jordan Bowery bevorzugte, ein aus der vierten Liga verpflichtetes und allenfalls mittelmäßiges Talent, nur um Darren Bent nicht nominieren zu müssen, ließ er offen.

In der nächsten Saisonvorbereitung sollte Paul Lambert aber sogar noch einen Schritt weitergehen. Zusammen mit anderen ungeliebten Spielern wie Stephen Ireland oder Alan Hutton wurde ihm die Trikotnummer abgenommen, der Spind leergeräumt und seine Sachen in den Umkleideraum der Junioren gesteckt. Fortan musste er mit der zweiten Mannschaft trainieren, ohne jede Chance auf eine Rückkehr in Villas Profikader.

"Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen. Ich bin es müde, herumzureisen", hatte Bent bei seiner Vorstellung den Fans versichert. Er hatte genug von seinem Image als Wandervogel, hatte in Birmingham Wurzeln schlagen wollen. Schon eineinhalb Jahre später war alles anders. Der einstige Retter wurde durch den Hintereingang abgeschoben und musste auf Leihbasis nach Fulham weiterziehen.


Die letzten Lichter gehen aus


Dort wartete mit Martin Jol so etwas wie der letzte Manager, der noch an ihn glaubte. "Er kann nicht immer starten, aber ich beabsichtige Bent einzusetzen und das Beste aus ihm rauszuholen." Unglücklicherweise sollte er nicht allzu lange die Gelegenheit dazu haben. Das Team leistete sich eine Serie von sechs Niederlagen in Folge, spielte ohne Inspiration und fand sich schnell auf einem Abstiegsplatz wieder.


Auch Bent hatte nicht wie erhofft geliefert. Die Bilanz von drei Toren in dreizehn Spielen war wieder einmal zu wenig gewesen, die neunte Trainerentlassung in Bents zwölftem Profijahr unvermeidlich. Auch seinen letzten Bewunderer hatte er enttäuscht, potentielle neue Förderer verschreckt. Der neue Coach René Meulensteen scheint aus dem Schicksal des Vorgängers jedenfalls seine Lehren gezogen zu haben und beordert den Angreifer noch nicht einmal mehr regelmäßig auf die Ersatzbank. Als wäre Bent ein hoffnungsloser Fall, auf den es sich nicht mehr zu setzen lohnt. Als wäre der Name größer als die verbliebene Substanz.


War sie das, die letzte große Chance in der Karriere des Darren Bent? Der
teuerste englische Spieler aller Zeiten, zwölffache Nationalspieler, Schütze von 105 Toren in 257 Premiership-Spielen - mit 29 Jahren schon am Ende?


Selbst wer aus alter Verbundenheit noch auf ein letztes großes Comeback hofft, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der letzte Vorhang längst gesenkt hat. Die Reise des Postboten scheint an ein unrühmliches Ende angelangt zu sein, die Treffsicherheit verloren, das Feuer erloschen. Statt gefürchtet und gefeiert zu werden, beginnt sein Name zu verblassen - bis man es eines Tages dann ganz vergisst, dieses ewig unerfüllte Versprechen namens Darren Bent.

ø 9.5
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KOMMENTARE
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Voegi
MODERATOR
18.12.2013 | 16:41 Uhr
4
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Voegi : 
18.12.2013 | 16:41 Uhr
0
Voegi : 
sehr starkes, höchst informatives porträt! klasse!
4
DieBanane
20.12.2013 | 15:06 Uhr
1
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DieBanane : 
20.12.2013 | 15:06 Uhr
0
DieBanane : 
Wow, starker Blog! Hat Spaß gemacht zu lesen.

Etwas unglücklich verlaufen seine Karriere bisher...aber vielleicht findet er ja nochmal einen etwas kleineren Klub, wo er geschätzt wird.

Man muss aber auch sagen, dass er ein typisches Beispiel für ein "gehyptes" britisches Talent ist. Sicherlich kein schlechter Spieler, aber was für solch einen Spieler an Ablösesummen gezahlt wurde, ist ja Wahnsinn...
1
Schnumbi
20.12.2013 | 18:46 Uhr
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Schnumbi : 
20.12.2013 | 18:46 Uhr
0
Schnumbi : 
Wow sehr viel Text aber jeder Absatz war es Wert. Ich mag solche Geschichten. Gerne mehr.
2
LeFab
21.12.2013 | 00:18 Uhr
0
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LeFab : 
21.12.2013 | 00:18 Uhr
0
LeFab : 
hey, das hast du richtig schön gemacht! gut geschrieben, sehr informativ und einfach nett zu lesen! mir hat´s sehr gut gefallen. war kurzweilig und ein gutes thema. hab mich letztens noch gefragt wo sich eigentlich bent rumtreibt und dann kommt kurz danach son block ;) sehr gut.
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FCNFanMarco
21.12.2013 | 02:08 Uhr
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21.12.2013 | 02:08 Uhr
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Ich bin begeistert!
War richtig schön zum lesen.
Man hört über die, wie bereits erwähnten, "gehypten" Spieler eigentlich recht viel, aber du hast es auf den Punkt gebracht, wie seine Karriere über die Jahre eigentlich verlaufen ist. An diesem Blog sollten sich viele Leute ein Beispiel nehmen.
Ein großes Dankeschön :)
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