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29.04.2010 um 01:24 Uhr
Total abgewürgt
Ein guter Angriff gewinnt Spiele, eine gute Abwehr Meisterschaften. Diesen Klischeespruch kenne ich als (unter anderem) US-Sport Kommentator natürlich in- und auswendig. In den letzten Jahren hat sich diese angebliche Weisheit ja auch im deutschen Sport herumgesprochen. Bis jetzt hat mir allerdings noch niemand erklärt, wie man eigentlich Meisterschaften gewinnt, ohne vorher ein paar Spiele für sich entschieden zu haben.

Die Wahrheit ist natürlich: Um etwas zu erreichen muss man beides zumindest kompetent beherrschen, Angreifen und Verteidigen. Auch wenn man zugeben muss, dass Inter Mailand gestern in Barcelona tatsächlich das Verteidigen ausreichte. Nun gut, das hatten sie sich durch ein gutes Spiel (und das dazu gehörige Ergebnis) in Mailand verdient (na ja, beinahe jedenfalls. Ich will hier keine Diskussionen über Abseits und Schwalben im Hinspiel und ein angebliches Handspiel vor dem 2:0 im Rückspiel beginnen. Inter hatte auch viel Glück. Ende).

Worauf ich hinaus will: Ich habe noch nie ein Team gesehen, das wie Inter (vor allem) in Halbzeit zwei nicht mal die leiseste Anstrengung unternimmt, auch nur einen Hauch von Offensive zu entwickeln. Unterzahl hin oder her. Normalerweise ist es ja ein Scherz, wenn man bei einem einseitigen Spiel sagt, die attackierende Mannschaft könne jetzt auch ihren Torwart auswechseln, weil sie ihn nicht braucht. Hier stimmte es tatsächlich.

Wenn eine Mannschaft so defensiv auftritt wie Inter in Barcelona, dann sagt man als Kommentator normalerweise so etwas wie: "Inter muss aufpassen, sich nicht so tief hinten rein drängen zu lassen, sonst geht das schief." Nur dass Inter null Problem damit hatte, sich so weit nach hinten drängen zu lassen. Die wollten das.

Und das sah dann so aus: Alle Feldspieler am eigenen Strafraum, zwei Viererketten so eng beieinander, dass es keine Räume zwischen Mittelfeld und Abwehr gibt (in die z.B. ein Messi stoßen kann). Geht der Ball auf den Flügel, rückt der äußere Mittelfeldspieler auf eine Linie mit der Abwehr, die sich bis fast zum Fünfmeterraum zurückfallen lässt. Die anderen Mittelfeldspieler rücken so ein, dass auf Höhe des Balles ein Winkel von etwa 45 Grad entsteht. Vor allem sind die Abstände zwischen den Verteidigern extrem eng, so dass sich keine Lücken auftun.

Für die attackierende Mannschaft bedeutet das: Dribblings sind aussichtslos, weil selbst der beste Techniker (sagen wir: Messi) auf engstem Raum nicht mehr als zwei Mann aussteigen lassen kann, bevor ihm der dritte den Ball abjagt. Pässe in den Rücken der Abwehr sind fast unmöglich, weil die Defensive so tief steht, dass im Rücken kein Raum ist. Kombinationen im Strafraum sind bei dem nicht vorhandenen Platz ein frommer Wunsch. Selbst die besten Techniker der Welt brauchen einen kleinen Moment zur Ballannahme. Und dann ist der Gegner (oder eher drei) auch schon da. Flanken sind hoffnungslos, weil ein oder zwei Stürmer gegen die Defensiv-Übermacht im Strafraum gnadenlos in der Unterzahl sind. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, festzustellen, dass Bojans Chance kurz vor Schluss der einzige Kopfball im gegnerischen Strafraum war, den Barcas Offensive gewann. Im kompletten Spiel.

Was bleibt, sind Weitschüsse. Die auch oft genug noch im Getümmel hängen bleiben. Und meist aus größerer Entfernung abgefeuert werden müssen, schließlich wird die Zone vor dem Strafraum ja vom Mittelfeld zugestellt. Das heißt im Klartext: Die Abwehr nimmt der Offensive praktisch alle Optionen. So wie Inter gestern Barcelona. Und mal ehrlich: Hat Barca nicht alles versucht? Über die Flügel, durch die Mitte, hohe Hereingaben, flache Hereingaben, Pässe in die Tiefe, Weitschüsse, Dribblings? An mangelnder Variation im Angriffsspiel lag es jedenfalls nicht. Statt dessen war es der nächste Schritt der immer weiter fortschreitenden Raumverknappung im Fußball. Inter beschränkte das Geschehen auf einen extrem kleinen Raum und würgte die Offensive des Gegners dabei total ab.

Einen Haken hat das Ganze für das defensive Team allerdings: Man darf nicht meinen, dass man so ein Tor schießt. Deshalb bietet sich diese Mauerei vor allem dann an, wenn man auf einen übermächtigen Gegner trifft. Oder im Europapokal auf Ergebnis spielen will. Was vermutlich gestern beides auf Inter zutraf. Doch Mourinhos Verteidigungskünstler sind ja nicht die einzigen, die das so machen. Oder war ich etwa der Einzige, den Barcas vergebliches Anrennen an die fruchtlosen Bemühungen des HSV im Europa League-Hinspiel gegen Fulham erinnerte? Nicht dass ich den HSV und Barca auf eine Stufe stellen will. Oder Fulham und Inter. Aber das Schema war das Gleiche. Fulham war ebenfalls an der eigenen Offensive total desinteressiert. Und bekam das gewünschte Ergebnis.

Bei allen, die regelmäßig die Premier League verfolgen, könnten ebenfalls Erinnerungen wach geworden sein. So sieht es regelmäßig aus, wenn Stoke zu Chelsea fährt. Oder Birmingham City zu Arsenal. Da ist in den letzten Jahren eine neue Defensivkultur (oder Unkultur, ganz wie ihr wollt) entstanden, wo Mannschaften 90 Minuten rund um den eigenen Strafraum verteidigen, das aber so gut machen, dass sie dafür nicht oder nicht oft genug bestraft werden (siehe auch meinen Blog vom Februar 2009: Englisches Maurerhandwerk). Und spätesten seit gestern ist dieses Maurerhandwerk auch wieder da, wo es hingehört: in Italien.

Nur gut, dass Mourinhos Truppe im Finale gegen die Bayern erstens vermutlich nicht so viel Respekt haben wird wie vor Barcelona. Und zweitens auch zumindest zu Spielbeginn noch kein Ergebnis hat, das sie verteidigen will. Aber genau davor muss der FC Bayern spätestens seit gestern gewarnt sein: Wenn Inter erst mal führt, dann wird es ganz schwer. Um nicht zu sagen: Unmöglich.

Wenn dieser Fall doch eintreffen sollte, dann würde ich gerne vom angreifenden Team einmal folgende Variante sehen: Alle Versuche, durch Kombinationen zum Erfolg zu kommen, werden eingestellt. Ich würde auch gar nicht mehr viel Energie auf ein sinnvolles Flügelspiel verschwenden. Sondern meine drei kopfballstärksten Spieler in den gegnerischen Strafraum schicken. Meine beiden besten Schützen platziere ich an der Strafraumkante oder etwas dahinter. Und dann pfeffere ich hohe Bälle aus dem Halbfeld nach vorne. Meine Kopfballspieler sollen gar nicht unbedingt direkt per Kopf treffen. Sie sollen nur vor dem gegnerischen Tor für Chaos und Querschläger sorgen. Und die will ich dann mit meiner erhöhten Präsenz im Strafraum zumindest ab und an erobern. Und im Tor versenken.

Ob das klappt? Keine Ahnung. Aber wenn nicht, dann gibt es schließlich einen Trost: Alles andere hat ja auch nicht funktioniert.

Bis bald,
Andreas
Aufrufe: 19252 | Kommentare: 71 | Bewertungen: 41 | Erstellt:29.04.2010
ø 9.2
KOMMENTARE
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ALX
29.04.2010 | 03:08 Uhr
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ALX : 
29.04.2010 | 03:08 Uhr
-2
ALX : 
Inter hat es geschaft Barca in die Mitte zu locken, und auf 20 m stand die Mauer. Die Barca Schnelligkeit starb. Jose wollte keine schnellen kombi-spielchen auf den Seiten zulassen so dass man durchlaufen kann.

Jedes Jahr spielt Espanyol so und nimmt Punkte mit.
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bunsen
29.04.2010 | 05:31 Uhr
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bunsen : 
29.04.2010 | 05:31 Uhr
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bunsen : 
eine defensiv perfekte leistung und das zu 10. und auf barcas großem platz: auf seine art ähnlich beeindruckend wie das bayernspiel

die prognosen teile ich auch, führt inter ist es sehr schwierig, auch wenn man auch in ausländischen tv studios immer bewundernd zu kenntnis nimmt: "this team can score goals"; auf der anderen seite traut man den bayern offensichtlich in england/us nicht so sehr, große fragezeichen werden hinter die defensive gesetzt

interessant, dass die stimmen aus spanien (das lob des zugegeben spanischen spiels der bayern: ballkontrolle und taktische finesse) und italien (ähnlich) positiver ausfällt, womit nicht gemeint ist, dass die defensive problematik bei bayern übersehen wird
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Heide
29.04.2010 | 06:15 Uhr
3
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Heide : renner
29.04.2010 | 06:15 Uhr
-5
Heide : renner
du sagst immer bei sky "ManU" das ist aber ne beleidigung. also in zukunft immer ManUnited sagen. hast jetzt von mir was gelernt.

das wollt ich schon immer los werden : )
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AndreasRenner
29.04.2010 | 09:59 Uhr
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AndreasRenner : @Heide, ALX
29.04.2010 | 09:59 Uhr
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AndreasRenner : @Heide, ALX
Heide, da meinst Du jetzt aber nicht mich. Sicher ist mir irgendwann auch mal ein ManU über die Lippen gekommen, aber meistens sage ich ManUtd.
ALX, Barca wollte sich gar nicht in die Mitte locken lassen. Nach der Pause klebten Alves rechts und Maxwell links an der Seitenlinie, um das Feld so breit wie möglich zu halten. Inter hat deshalb in der hintersten Verteidigungsreihe teilweise sechs Mann auf einer Linie gehabt.
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centercourt89
29.04.2010 | 10:13 Uhr
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29.04.2010 | 10:13 Uhr
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Fand das gestern auch ätzend.
Es gibt ja so "Fussball-Feinschmecker" die sich an einer perfekten Defensivleistung erfreuen können aber ich zähle da nicht dazu.

Wenn ich in der Programmzeitung Inter Mailand gegen den FC Barcelona lese dann will ich Spektakel sehen, Inter hat ja mit Etoo, Snejder und Milito auch fantastische Offensivspieler.

Ich denke gegen so eine Mannschaft muss man Geduld ohne Ende haben und dann vor allem jede Chance nutzen.
Das ist Barca eben nicht gelungen, wenn man in diesem Spiel so eine Chance bekommt wir Bojan um die 80. Minute sie hatte MUSS der Ball einfach sitzen.

Andererseits muss man natürlich auch sagen, dass das in der Nachspielzeit NIE IM LEBEN ein absichtliches Handspiel war und hätte der Schiri da nicht einen katastrophalen Fehler gemacht wäre Mourinhos Taktik in die Hose gegangen...
4
gartenzwerg
29.04.2010 | 10:33 Uhr
2
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29.04.2010 | 10:33 Uhr
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Ich fühlte mich auch an HSV - H96 erinnert und will jetzt den Labbadia
zurück, weil der HSV ja fast so gut wie Barca war....
2
oliver
29.04.2010 | 11:21 Uhr
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oliver : ...
29.04.2010 | 11:21 Uhr
0
oliver : ...
ich gestehe: es hat mich extrem angemacht, was inter da abgezogen hat. musste neunzing minuten sehr lachen...

aber wenn das bei chelsea vs. stoke auch immer so aussieht - wie hat schelsi denn da sieben tore hinbekommen?
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CrazySteve
29.04.2010 | 11:37 Uhr
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CrazySteve : 
29.04.2010 | 11:37 Uhr
-2
CrazySteve : 
das war gestern einfach geschmeidig. Mou ist einfach geil. aber gegen seinen lehrmeister wird er das nachsehen haben. das wird ein sensationelles finale. fußball vom allerfeinsten. es muss doch nicht immer ein 7:0 sein - das war gestern schon richtig großes kino.
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Josh9
29.04.2010 | 11:38 Uhr
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Josh9 : 
29.04.2010 | 11:38 Uhr
-1
Josh9 : 
ich fand das auch ziemlich abgefuckt geil.

Das war doch von Anfang an klar und wer sonst, wen nicht die Italiener, wissen wie man ein Ergebnis verwaltet.
Das liegt denen im Blut wie der D N11 das Elfmeterschiessen.
Selbst mit 10 Mann, und einer für wohl ziemlich Fehlentscheidung hier rot zu geben, hatte das Konzept nicht sonderlich ins wanken gebracht.

Eine Variante gegen solche tiefen Verteidigungen sind natürlich die Flanken über aussen, nur ist das eben nicht Barcas Ding.
Klar ,immer über die Flügel aber dann wieder nach Innen und dann steil.
Nur da standen dann halt schon 4-5 von Inter.
Und die Flanken waren eher ein schlechter Scherz.

Dass Inter aber auch sehr gefährlich nach vorne spielen kann, haben sie aber auch schon oft bewiesen. Das wird ein hartes Finale.
Ich schätze 0:0 und am Ende Elfmeterschiessen.
Und da wären wir wieder bei dem, was Deutsche einfach im Blut haben.
Deshalb muss Inter vorher schon den Sack zumachen.
1
Herbysworld
29.04.2010 | 12:00 Uhr
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29.04.2010 | 12:00 Uhr
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Klasse !

Klasse BLOG und beim letzten Absatz sehe ich schon wieder Daniel van Buyten vor meinem Geistigen Auge als Sturmspitze

Deine Idee ist also auch nicht neu )
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