Samstag 21.06.2014, kurz vor 19.00 Uhr: Während sich der Großteil der ghanaischen Fans längst einen Sitzplatz in den unzähligen Straßenbars von Accra ergattert hat, will ein Neuankömmling nicht so recht zwischen all die weißen Black-Stars-Trikots passen. Meine Hautfarbe ist es nicht, die die Blicke auf sich zieht. An Europäer und an Deutsche im Besonderen hat man sich in Ghanas Hauptstadt dank der unzähligen Volunteers längst gewöhnt. Dass dieser eine Deutsche aber ausgerechnet in einem uralten DFB-Trikot von Lukas Podolski in eine fast ausschließlich mit Ghanaern besetzte Bar reinplatzt, verwundert die meisten dann aber doch. Weil sich der Großteil der Ausländer brav in ghanaische Trikots und rot-gelb-grüne Farben gehüllt hat, muss ich halt alleine ein etwas anderes Auswärtsspiel bestreiten.
Für die Ghanaer schien es ohnehin den ganzen Sommer nur ein Thema zu geben: Kaum wussten Nachbarn, Arbeitskollegen, Straßenkinder oder Taxifahrer woher man denn kommt, folgte auch schon das unvermeidbare We´ll score you Wir hauen euch weg. Auch der deutsche Kantersieg und die ghanaische Auftaktpleite gegen Klinsis US-Boys schien der allgemeinen Euphorie wenig anhaben zu können. Kein Wunder, dass die üblichen Frotzeleien bereits auf dem Weg zum Spiel nur so angeflogen kommen. Nicht einmal ins Taxi ließ man mich steigen ohne mich am Ärmel zu zupfen und mir mit einem Grinsen versucht, klar zu machen: This is the wrong jersey!
Ernsthafte Probleme gibt es mit den enthusiastischen, aber mindestens eben so freundlichen Black-Stars-Fans nicht. Kaum sitzt man schließlich um kurz nach sieben Uhr Ortszeit inmitten der der weiß-schwarzen Fanschaar, ertönen schon die Nationalhymnen. Los gehts mit den Deutschen Schätzungsweise singt in diesem Moment ein Mensch in ganz Accra. Mäßig talentiert, aber das kümmert beim Fußball Gott sei Dank auch in Ghana keinen. Keine 90 Sekunden später bin ich endlich verstummt, dafür tanzt, singt und trommelt nun alles in meiner Umgebung. Der Punkt geht in jedem Fall an Ghana
Kurz nach Anpfiff wird spätestens auch mir klar, was stets mit afrikanischer Fußball-Leidenschaft gemeint ist. Jede Ecke, jede Halbchance, ja jedes noch so kleine Tackling wird gefeiert, als sei das ersehnte Tor schon gefallen. Zwischendurch ist es auch durchaus einmal still in Accra Eine mäßige Entscheidung für meine Ohren, aber man hat´s ja nicht anders gewollt, als man sich für einen Sommer an der afrikanischen Westküste entschied. Bei gescheiterten DFB-Angriffen ist hingegen hier und da auch ein schadenfrohes Scheiße in meine Richtung zu hören. Wie gesagt, man kennt sich.
Tor?
Bekanntermaßen entwickelt sich schnell ein spannendes Spiel, was mir grundsätzlich Recht sein sollte, wäre da nicht diese kleine Wette mit meiner Freundin Abena. Der Verlierer der Partie muss dem Gewinner eine Spezialität aus seinem Heimatland kochen. So begegnen sich also auf der einen Seite die begabte, ghanaische Köchin und auf der anderen Seite bestenfalls ein Gelegenheits-Hobbykoch, der schon bei der Suche nach den üblichen Schnitzelzutaten auf den Märkten Accras verzweifeln würde.
Aber gegen Ghana verlieren? Davon kann keine Rede sein, schon gar nicht um 20:10. Accra-Poldi springt auf, während die afrikanische Mehrheit resigniert auf dem Bildschirm starrt. Danke, Mario. Nächste Woche gibts Red Red. Denkste Drei Minuten später wird die Menge unruhig. Am Ende der Bar scheinen ein paar Fans gleichzeitig Radio zu hören als Fußballfan in einem Entwicklungsland durchaus ein probates Mittel. Look, this must be a goal, höre ich noch im Hintergrund und schon bricht es wie eine Lawine über mich herein. Alles was ich noch zu sehen bekomme ist Affuls verhängnisvolle Flanke, dann stehen auch schon die Massen. Getrommel, Geschrei und Jubel an allen Ecken und Enden. Kurz bevor die Bar abhebt, bekommt Staatsfeind Nummer 1 natürlich noch ein paar Sticheleien ab. Während der dreiminütigen Jubelarie bemerke ich auch, dass die Vuvuzela in Ghana keineswegs tot ist, was mir ein 5-jähriger Edelfan umso deutlicher klar macht, als er mir das Ding direkt ins Gesicht bläst.
Neun Minuten später das gleiche Spiel. Getuschel im Hintergrund, Schuss, Sichtfeld blockiert: Escalation now.
Wer die Tore für die geliebten Black Stars gemacht hat, wird mir erst im Nachhinein klar. Als da wären Dede Ayew, seines Zeichens Liebling aller Ghanaer, Hobbymusiker und das Gesicht, das in Ghana an gefühlt jedem dritten Plakat von einer Eiswerbung herunterginst und natürlich Asamoah Gyan, der spätestens seit 2010 an der Westküste Afrikas Legendenstatus erreicht hat.
Während ich in Gedanken schon verzweifelt versuche, in der Hektik der afrikanischen Märkte Mehl und Panade aufzutreiben, lasse ich mich in der seit Anpfiff anhaltenden Fachsimpelei mit meinem Sitznachbarn mal wieder ein wenig hinreißen und fordere zum gefühlt zehnten Mal an diesem Abend Miro Klose.
20.30 Uhr: Fußball kann so schön sein. Da ist er, Il panzer, der Bomber, Fußballgott Miro Klose, erstochert den Ausgleich und erlöst mich von meinen Schnitzelqualen. Einer jubelt, der Rest findet´ s eher suboptimal Auswärtsspiel halt.
Miro zur Rettung
Auch im Anschluss scheinen Red Red und Schitzel abwechselnd nah dran und gleichzeitig wieder weit entfernt zu liegen. Während die Accraner noch einmal zur Schlussoffensive greifen, bleibt mir gleich mehrfach das Herz stehen, denn der gemeine Ghanaer neigt dazu, bei einem guten Angriff einfach schon einmal 30 Meter vor dem Tor Goaaal zu rufen. Ob das der Wahrheit aus dem Radio entspricht, wissen mittlerweile nicht einmal mehr meine Sitznachbarn. Nach unzähligen falschen Goaals der Gastgeber und Schieß dochs meinerseits gibts dann schließlich doch den Schlusspfiff.
2:2 Handshakes in Fortaleza, Hände schütteln in Accra. Keiner nimmt dem Deutschen das nervige Gejuble übel. Stattdessen freut man sich einfach, dass er da ist. Es wird diskutiert, gelacht und wie in Ghana üblich auch ein wenig getanzt. Deutschland hat nach wie vor alle Chancen auf den Gruppensieg, die Ghanaer dürfen noch hoffen und sind sicher: We score Portugal. Jeder ist glücklich So muss Fußball sein.
Am Ende ist das 2:2 halt aber auch doch Eines: Nicht Fisch, nicht Fleisch nicht Schnitzel, nicht Red Red. Dank eines 36-jährigen Spielverderbers aus Oppeln. Danke dafür, Miro! Hast ein Schnitzel bei mir gut
Ich beneide dich um die tolle Erfahrung...
Auch mich interessiert, was du in Accra für ein Voluntariat machst?
grandioser Blog. saugut rübergebracht.
Hat Spaß gemacht zu lesen.
Etwas verrückt muss man schon sein so etwas durchzuziehen.
Wie wäre es nach dem 2:2 mit Schnitzel und Red Red?!
Schöne Grüße nach Accra!
danke für das nette Feedback. Ich bin in Accra als Volunteer für 12 Wochen unterwegs und unterrichte dort Straßenkinder. Das Ganze ist mehr oder weniger mein mein Auslandsaufenthalt nach dem Abitur. Dank ein paar ghanaischer Freunde war der nette Fußballabend auch Gott sei Dank keineswegs gefährlich sondern einfach nur schön.
Solche Erlebnisse bleiben haften. Da warst du zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das Ergebnis ist allerdings für die Ghanaer nicht ganz so doll...
Kann mich nur den vorigen Kommentaren anschließen.
Alles Gute nach Ghana!