"Quo vadis, Hoffenheim? - Das verflixte zweite Jahr"


Noch nie stand ein Herbstmeister am Ende einer Saison so schlecht da. Vor der Winterpause noch als Hoffnung der Bundesliga mit schnellem Fußball begeistert, von ersten Phantasten bereits mit dem Spiel des FC Barcelona verglichen, brach Hoffenheim in der Rückrunde völlig ein.
Nach dem Auftaktsieg gegen Cottbus folgten 12 sieglose Spiele und der Absturz ins Mittelmaß der Liga.
Lediglich zum Schluss konnte sich die Mannschaft noch einmal aufraffen und die Saison mit zwei Hälften, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, halbwegs versöhnlich abschließen.

Wie geht es jetzt im "verflixten zweiten Jahr" jetzt weiter?


Selim Teber, Kapitän, und mit 28 Jahren, bis auf Timo Hildebrand, ältester Spieler und Führungsperson der jungen Hoffenheimer Mannschaft, sprach im kicker Anfang Juni ein zentrales Problem der Rückrunde an:
"Wenn bei unserem Spielsystem nur ein oder zwei Spieler nachlassen […] dann läuft man nur hinterher und verliert die Kontrolle über das Spiel." Egoismus und Selbstzufriedenheit war also innerhalb der Mannschaft offensichtlich ein Problem, nach der furiosen Hinrunde und Lob von allen Seiten dachten viele, so Teber weiter, dass es einfach so weiter geht.
Zusätzlich verließen mit Copado, Seitz und Löw nach der Hinrunde drei, insbesondere für das Klima und die Bodenständigkeit in der jungen Mannschaft eminent wichtige, Spieler die Mannschaft. Adäquater Ersatz blieb allerdings aus, Timo Hildebrand konnte, auch aufgrund von Verletzungen, noch keine Führungsrolle in der Mannschaft einnehmen, auch wenn er sicher dazu im Stande ist.


Doch wie sieht es jetzt für das neue Jahr aus? Gemeinhin gilt das zweite Jahr bekanntermaßen als das schwerste für Aufsteiger, nachdem andere Bundesligisten den ehemaligen Neuling kennen und einschätzen können. Die Anfangseuphorie innerhalb der Mannschaft weicht grauem Alltag
Allerdings ist die "Dorfmannschaft" aus der Nähe von Sinsheim in der Tat alles andere als ein gewöhnlicher Aufsteiger, hat sie große Kontroversen und Diskussionen innerhalb Fußballdeutschlands durch das Konzept mit SAP-Mogul Dietmar Hopp im Hintergrund hervorgerufen, andererseits aber eine Hinrunde lang durch spektakulären Offensivfußball begeistert.

Enorm wichtig werden jetzt die Personalplanungen für die neue Saison sein. Für das Mannschaftsgefüge müssen und werden einige Spieler reifen und eine Führungsrolle einnehmen, Kandidaten hierfür sind Andreas Beck, der gestern die U-21 ins Finale der Europameisterschaft geschossen hat, ein in Form gekommener Timo Hildebrand oder auch Marvin Compper. Dazu wäre es aber wichtig, da, analog zur Winterpause, mit Kapitän Selim Teber erneut eine wichtige Säule der Mannschaft den Verein verlässt, das Machtvakuum zu schließen. Eventuell müsste Hoffenheim dazu auch von seiner Transferpolitik eine Ausnahme machen und einen erfahrenen Spieler verpflichten, um die jungen Spieler zu führen.

Die Scoutingarbeit von Hoffenheim steht außer Frage, Spieler wie Obasi, Ibisevic oder Carlos Eduardo kamen aus In- und Ausland, waren weitestgehend unbekannt und entwickelten sich in Hoffenheim großartig. Ähnlich scheinen die bisher getätigten Transfers zur neuen Saison.

Prince Tagoe, ein 22-jähriger ghanaischer Stürmer (9 Spiele – 4 Tore für Ghana) kommt aus der Saudi-Arabischen Liga. Er ist beidfüßig und mit seinen 1,88 auch kopfballgefährlich.
Franco Zuculini ein 18-jähriger Argentinier fürs zentrale Mittelfeld, war auch eher unbekannt, bis Hoffenheim auf ihn aufmerksam gemacht hat. Seitdem ist er u.a. als "Maradonas Liebling" bekannt. Vermutlich wird er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Bruno (17), der in die Hoffenheimer Jugend geht, in den Kraichgau kommen. Ähnlich wie es damals bei Kaka war, als der nach Europa wechselte.
Der Dritte im Bunde ist Maicosuel (23). Ein Spieler mit exzentrischen Zügen, der seine Meinung offen äußert. Allerdings ließ er bei seinem letzten Verein (Botafogo Rio de Janeiro) auch auf Worte Taten folgen, erzielte in 19 Spielen 12 Tore und wurde Torschützenkönig. Ein Dribbler, der bei 1,78 Meter gerade 59 Kilo auf die Wage bringt.
Zuculini und Maicosuel erfüllen mit ihrer Schnelligkeit und Ballsicherheit Rangnicks Anforderung an Mittelfeldspieler, schnell umschalten und Pässe in die Spitze spielen zu können. Tagoe passt ebenfalls in Rangnicks Anforderungsprofil, das an große Stürmer, um auch hohe Bälle zu verwerten und sich durchsetzen zu können.

Diese Transfers klingen sehr nach dem "Schema Hoffenheim", junge Spieler mit großem Entwicklungspotential. Jedoch müssen sie sich erst einmal akklimatisieren und an die Bundesliga gewöhnen, in der ein anderes Tempo und andere Härte vorgelegt wird.

Einen wichtigen, erfahrenen Spieler hat Hoffenheim bereits verpflichtet, mit Christian Eichner (26) kommt ein Mann für die Linke Verteidigerposition, der es immerhin auf 64 Erst- und 64 Zweitligaspiele bringt.

Zusätzlich zu den Transfers wird das neue Hoffenheimer System interessant, gepaart mir Trainer Ralf Rangnicks Taktik, das berühmte "Spiel gegen den Ball", gepaart mit flachem, schnellem Spiel nach vorne. Querpässe haben bei Rangnick keine Berechtigung, lediglich um direkt in eine Lücke nach vorne stoßen zu können. Die Abwehr ist in seinem laufintensiven Spiel die erste Station zur Spieleröffnung, die Stürmer die ersten Störspieler. Diese Spielweise lässt Rangnick gezielt trainieren. Eine Spielform heißt "Streifen", weil das Spielfeld auf einen sehr schmalen Korridor reduziert wird. Erlaubt sind maximal drei Ballkontakte, nur flaches Spiel, Rück- oder Querpässe sind verboten. Hierbei üben die Spieler den vertikalen Blick durch die Gassen und Zonen.
Rangnicks 4-3-1-2 System, das er zwar als laufintensiver, aber auch als flexibler sieht, wird er beibehalten. Sollte Ba bleiben, ist Tagoe eine echte Alternative, ein fitter Ibisevic und Obasi dazu können als Trio wieder zusammenfinden. Mit Wellington hat man zudem einen talentierten und kaltschnäutzigen Spieler in der Hinterhand.
Des Weiteren besteht mit Tagoe und Ba auch die Option, ein 4-4-2 spielen zu lassen.

Hoffenheim darf jetzt nicht den Fehler machen, sich selbst unter zu großen Druck zu setzen, sondern muss mit realistischen Zielen in die Saison gehen. Die Tatsache dass das internationale Geschäft im ersten Bundesligajahr verpasst dürfte sich hierbei als hilfreich erweisen, da insbesondere in der Breite der Kader noch nicht für die Doppelbelastung bereit ist. Wenn Spieler wie Ba und Carlos Eduardo, dessen Weggang Trainer Ralf Rangnick als "absolut unvorstellbar" bezeichnet hat, jetzt gehalten werden, wird Hoffenheim sich im vorderen Mittelfeld der Liga etablieren und spätestens übernächste Saison die Euro League in Angriff nehmen.