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18.11.2011 um 08:21 Uhr
Phänomen Passivsport
Nicht jeder ist dazu in der Lage. Viele fühlen sich von ihnen beobachtet. Einige halten sie bloß für Zuschauer und Gaffer. Sie belagern die Trainingsplätze, Stadien, Sofas und Sportbars der Republik. Doch wer sind diese Passivsportler überhaupt?

Ein Versuch der Aufklärung von Mythen, Lügen und Vorurteilen

Spurensuche nach Sitzabdrücken
Ein typisches Bild für Vertreter dieser Sportart: an einem schönen, sonnigen Samstagnachmittag sitzen gleich mehrere Passivsportler bei einem isotonischen, alkoholischen Getränk mit Schaumkrone in einem gemütlichen Biergarten und verfolgen eine Partie der Bundesliga. Der Fokus ist dabei zumeist auf das Spielgeschehen gerichtet und eifrig wird jede Bewegung und Aktion auf dem Platz kommentiert. Aus dem Gasthaus stürmt eine Bedienung in blau-weißer Schürze mit vollem Tablett auf die gerade aktiven Passivsportler zu. Die nächste Runde geht auf Rolf. Eindeutig.
Rolf ist beruflich sehr stark an die Launen seines Chefs gebunden, musste daher im, wie er es nennt, besten Alter die 2. Mannschaft seines Vereins verlassen, was ihm noch heute schmerzt. Nicht selten denkt er an die aktive Zeit zurück und glaubt zu wissen, dass er auch heute noch den Jünglingen in den bunten Fußballschuhen mit Leichtigkeit ihre Fifa-Tricks austreiben könnte. Das kann er bestimmt, denn er kennt sich bestens aus und besitzt eine erstaunliche Passivsportlervita. Seit nun mehr etwa grob überschlagen neun Jahren hat er den totalen Überblick dank Pay-TV und Dauerkarte des Bundesligisten aus der nahen Großstadt. Seine Freundin unterstellt ihm deshalb des Öfteren, dass er nichts als Sport im Kopf habe. Das stimmt natürlich nicht, manchmal denkt man auch mit in Falten geworfener Stirn an die Sommer- oder Winterpause, allerdings nur in emotional schwierigen Phasen.

Junkies in Serie
Der geneigte Passivsportler kennt keine Gnade, wenn es um die aufopferungsvolle und fokussierte Betrachtung gleich mehrerer, aufeinanderfolgender Fußballspiele geht. Nicht selten werden die Tage deshalb genauestens durchgeplant, um bloß nicht eine Minute der errechneten Spielzeit zu verpassen. Dabei wählt man geeignete Mitspieler aus, die sich ebenfalls als bewährte Profis dieser äußerst populären Beschäftigung erwiesen haben. Manchmal genügt allerdings auch schon, dass man sie gut leiden kann. Die Bemühungen um ein perfekt abgestimmtes Passivsporterlebnis kennen dabei weder finanzielle, noch körperliche Grenzen, wenn gleich mehrere Einkaufstüten mit dem Nötigsten über vier Stockwerke hoch getragen werden müssen. Im Laufe der zu verfolgenden Partien kann es passieren, dass trotz entspannt wirkender Haltung überaus große Anstrengungen durchlitten werden müssen, die durch das Geschehen auf dem Platz ausgelöst zu werden scheinen. Eine direkte Verbindung konnte trotz größter Bemühungen bis heute nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Allergische Reaktionen auf nicht hochauflösende Fernsehbilder oder Sichteinschränkungen gelten hingegen schon lange als bestätigt.

Passiv per Definition
Passivsportler verstehen sich als gesellschaftlich überaus akzeptierte Personen, weshalb sie gerne auch etwas lauter und gestenreicher kommunizieren. Gemäß zahlreicher Berichte ist es schon vorgekommen, dass sich Passivsportler rivalisierend um die Gunst anderer Anwesender bemühen, was sich vor allem durch vulgäre Äußerungen verdeutlicht, aber auch so genannte „Wer weiß mehr"-Schaukämpfe, die durch das Kontern mit Statistikwerten und den heimlichen Einsatz von Sportchroniken geprägt sind. Nicht selten irritieren diese für Aussenstehende schwer nachvollziehbaren Diskussionen über die geteilte Leidenschaft, welche meist nur bei einem alkoholhaltigen Kaltgetränk an einer Theke und mit reichlich Schulterklopfern beendet werden können. Die Faszination dieser Leidenschaft ist nicht eindeutig erklärt. Man geht allerdings davon aus, dass die Überbleibsel der eigenen, aktiven Vergangenheit Einfluss auf die Ausprägung zum besonders motivierten Passivsportler haben.



Lassen es sich schmecken: Passivsportler

Ein gesetzter Markt
Schon früh entdeckten Marketingspezialisten die Möglichkeit der großen Kasse. Pepsi warb bereits zu den Glanzzeiten des römischen Reichs oder in Anspielung auf diese mit weltbekannten Passivsängerinnen wie Beyoncé Knowles, Pink und Britney Spears in Gladiatorenoutfits, was enormen Einfluss auf die einzughaltende Passivsportbegeisterung nahm. Leider konnte auch das nicht verhindern, dass knapp 2.000 Jahre später das Dosenpfand eingeführt wurde. In der Zwischenzeit entwickelte sich der Genuss von Erfrischungsgetränken während des Beobachtens von Sportveranstaltungen allerdings zu einem profitablen und weit verbreiteten Phänomen. Weitere Erfolge in diesem Umfeld bilden bis heute der Snackmix, die XXL-Chipstüte und das 5-Liter-Bierfass, aber auch harmlos wirkende Produkte wie Bratwürste, frittierte Kartoffelstreifen oder Pizza spielen eine entscheidende Rolle im Ernährungsmix der Passivsportler. In der Werbung begegnen ständig Anspielungen auf die ausgelebte Leidenschaft und den Lebensstil, sodass von einer allgegenwärtigen Präsenz dieses Freizeitbeschäftigung ausgegangen werden kann. Selbst vor Sportbekleidung wird kein Halt gemacht, denn diese gehört aus Gründen der Bequemlichkeit auch dazu, wenn nur zugeschaut wird.

Eine Welt ohne Sitzplätze
Das bloße Betrachten von Sport hat sich durch das Einführen von größer angelegten VIP-Bereichen in Stadien sogar in den höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreisen etabliert, weshalb mittlerweile sogar für ergebnisorientierte Lobbyarbeit auf beheizte Sitzplätze bei Sportbegegnungen zurückgegriffen wird. Die alt eingesessenen Passivsportler können sich mit dieser Entwicklung unmöglich identifizieren und erheben sich dafür des Öfteren aus den Sitzschalen, um ihren Unmut mit einem kritischen Fingerzeig kundzutun. Allerdings verdeutlicht diese Entwicklung auch wie hip es mittlerweile ist, sich für Sport hinzusetzen. Für all die begeisterten Beobachter heißt das nur Gutes, denn an eine Abschaffung der Übertragung und Bestuhlung von Sportveranstaltungen ist so bis auf Weiteres nicht zu denken.

Unmöglich könnte man dieses Thema treffender abschließen als mit den Worten eines Passivsportlers nach einem besonders schönen Treffer:

„Der hat gesessen!"


In diesem Sinne

tobzzzzn
Aufrufe: 10220 | Kommentare: 9 | Bewertungen: 22 | Erstellt:18.11.2011
ø 8.6
KOMMENTARE
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tobzzzzn
18.11.2011 | 08:26 Uhr
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tobzzzzn : Kommen sie euch bekannt vor?
18.11.2011 | 08:26 Uhr
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tobzzzzn : Kommen sie euch bekannt vor?
Hi Folks,

sind euch diese Passivsportler auch schon begegnet?
Was haltet ihr von ihnen? Was für Erfahrungen habt ihr gemacht?

über euer Feedback wird sich gefreut.

Viel Spaß am Wochenende und bei dem anstehenden Top-Spiel!

Passivste Grüße
tobz
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gartenzwerg
18.11.2011 | 08:32 Uhr
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18.11.2011 | 08:32 Uhr
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Shit, keine Zeit zum Lesen.
Das ein ein Reminder und kein Kommentar
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Büchsenmacher
18.11.2011 | 09:03 Uhr
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18.11.2011 | 09:03 Uhr
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Erstklassikes Ding !!!!
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Bastiberger92
21.11.2011 | 19:53 Uhr
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21.11.2011 | 19:53 Uhr
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richtig lustig und sehr schön zu lesen, 10 Punkte
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Meike32
21.11.2011 | 21:24 Uhr
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Meike32 : 
21.11.2011 | 21:24 Uhr
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Meike32 : 
Mh, ich find den Blog ja richtig gut.

Aber... sind wir nicht fast alle ein bisschen Passivsportler?

Ich sag ganz ehrlich, ich sitze im Stadion auch lieber, als dass ich stehe. Zumindest im Sommer. Wenn das Spiel bescheiden ist, kann ich mich wenigstens noch in Ruhe sonnen...
Und davon mal abgesehen sehe ich aufgrund meiner Größe einfach besser, wenn vor mir nicht irgendwer rumsteht.

Aber andererseits gibt es im Stadion nichts, was ich mehr hasse, als andere Zuschauer in meiner Nähe, die mir das Spiel "for free" auch noch kommentieren.

Also wohl so halb und halb. Ich "passivsportle" auch ganz gern mal, aber nicht dauernd und schon gar nicht so, dass ich damit meine Umwelt belästige
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tobzzzzn
21.11.2011 | 23:19 Uhr
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tobzzzzn : 
21.11.2011 | 23:19 Uhr
-2
tobzzzzn : 
@ El_Diabolo: So eine XXL-Chipstüte muss man sich verdienen! Etwas mehr Begeisterung hätte geholfen. :-P

@ Meike32: Von leichten Passivsporttendenzen können sich wohl nur ganz wenige Sportsfrauen und -männer freisprechen. Dazu ist es einfach viel zu verlockend. Gerne hilft dabei auch ein Alibi oder der Hinweis darauf, dass man ja jetzt viel lieber selbst aktiv wäre. Damit sind kritische Blicke von Bekannten, die lieber Bergpässe abwandern oder Tennis spielen, bis auf Weiteres eingedämmt. Und so gut wie jeder weiß, wie es in Tennisclubs zugeht. Die haben nicht umsonst Vereinsheime mit rustikalen Holztheken und eigentlich immer Getränke auf Verdacht kühl stehen.

@ all: Vielen Dank für euer Feedback!
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LopezSegu
22.11.2011 | 16:46 Uhr
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LopezSegu : 
22.11.2011 | 16:46 Uhr
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LopezSegu : 
Hehe, schönes Ding!
Könnte ein Wikipedia-Eintrag zum Thema sein.

Ein bisschen Passivsport gehört immer dazu.
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gartenzwerg
23.11.2011 | 09:43 Uhr
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23.11.2011 | 09:43 Uhr
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MIr fehlt eigentlich nur die Redewendung vom possierlichen Passivsportler
und der Aufzucht und Hege, was damit zu tun haben könnte, dass der gemeine Passivsportler (und ich schließe mich da mit ein) alles andere als possierlich ist.

Ein Wiedererkennungseffekt ist vorhanden.
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jasi2106
25.11.2011 | 14:02 Uhr
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jasi2106 : 
25.11.2011 | 14:02 Uhr
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jasi2106 : 
Sehr, sehr amüsant geschrieben und mal ein anderes Thema 10P
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