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19.09.2012 um 20:17 Uhr
No Way Out
Die Partie zwischen Manchester United und Galatasaray am ersten Spieltag der diesjährigen Champions League (1-0) war das Wiedersehen alter Bekannter. Vor rund 20 Jahren gab es diese Begegnung nämlich schon einmal, und sie ging auf beiden Seiten in die Vereinsgeschichte ein. Der Hauptgrund dafür ist das beispiellose Chaos, dem Manchester United damals in Istanbul ausgesetzt wurde. Eine Erinnerung an das Unvergessene.

Wenn Fußball immer nur Fußball im eigentlichen Sinne wäre und sich gänzlich auf dem Rasen abspielen würde, dann würde sich wohl so gut wie niemand an die Begegnung Galatasaray gegen Manchester United vom 3. November 1993 erinnern. Denn nach 90 Minuten im Ali Sami Yen-Stadion, in denen die Hausherren sich auf Zeitspiel und Manndeckung beschränkten und die Gäste keine einzige Torchance herausspielen konnten, stand es 0-0.

Ein torloses, unspektakuläres Remis also, noch dazu so lange her. Und trotzdem bleibt die Partie bis heute für beide Parteien unvergessen, wird immer wieder aus den Archiven gekramt, diskutiert und von den Beteiligten beschrieben, so gut wie keine Autobiografie der damals anwesenden United-Spieler kommt ohne eine Erwähnung dieser Begegnung aus. Doch warum?

Da wäre zunächst die Tatsache, dass die Kontrahenten damals im Rahmen ihrer ersten Teilnahme an der Champions League aufeinandertrafen, die damals noch in ihre erst zweite Spielzeit als Nachfolger des Europapokals der Landesmeister ging. Für beide Seiten war das Aufeinandertreffen in der KO-Runde, deren Sieger die Gruppenphase erreichen sollte, sowohl der Beginn einer neuen Ära als auch eine große Chance.



United hatte lange Jahre voller sportlicher Tristesse hinter sich gebracht, war 1993 erstmals seit 26 Jahren wieder englischer Meister geworden und wollte so schnell wie möglich auch international wieder zu altem Glanz finden. Bei Gala hatten Trainer Karl-Heinz Feldkamp und sein Nachfolger Reiner Hollmann in den Jahren zuvor die Mannschaft um junge, vielversprechende Spieler wie Hakan Sükür, Bülent Korkmaz, Tugay Kerimoglu und Okan Buruk aufgebaut und zwei aufeinanderfolgende Meisterschaften geholt. Nachdem man bereits im Jahre 1988 das Halbfinale des Europapokals der Landesmeister erreicht hatte, wollte man nun das Aufeinandertreffen mit dem englischen Meister dazu nutzen, erneut auf internationalem Parkett für Furore zu sorgen.

Mit dem im Rückspiel erreichten 0-0 wurde dieses Vorhaben erfüllt. Da das Hinspiel im Old Trafford mit 3-3 geendet hatte, schied Manchester aus und der Underdog Galatasaray erreichte überraschend die Gruppenphase.
Doch so unerwartet das Ausscheiden Manchesters und so wichtig das Weiterkommen für Galatasaray war, viel mehr als die sportliche Bedeutung bleibt das eigentliche Drumherum der Partie in Istanbul in Erinnerung, vor allem aus englischer Sicht.

„Eine Nacht, an die man sich ewig erinnern wird", heißt es auf der offiziellen Webseite von Manchester United. „So etwas habe ich nie wieder erlebt" schrieb Gary Neville in seiner Autobiografie, und in die gleiche Kerbe schlägt Ryan Giggs: „Ich habe es noch immer genau vor Augen. Es ist eine dieser Erinnerungen, die man nie wieder vergisst".

Über Istanbul ist ein Zitat überliefert, das die Gegensätzlichkeit der Metropole am Bosporus schön zusammenfasst: "Jeder Satz über diese Stadt ist so wahr wie sein Gegenteil." Und so geriet auch der Istanbul-Aufenthalt von Manchester United zu einem großen Kontrast: In einer ansonsten in vielerlei Hinsicht atemberaubenden Stadt voller Sehenswürdigkeiten und Kulturgütern wurde ihnen ein wahrer Horrortrip bereitet, da sie gekommen waren, um über Galatasaray zu triumphieren, deren Fans aber entschlossen waren, alles dafür zu tun, damit ihnen das so schwer wie nur möglich erscheint.

Schon am Flughafen wurde der United-Tross damals von lautstarken Gala-Fans empfangen, die mithilfe von Bannern („Welcome To Hell") und Schlachtrufen („No Way Out! No Way Out!") die feindselige Richtung vorgaben, in der es in den nächsten Tagen weitergehen sollte. Ein türkischer Anhänger lief auf United-Spieler Paul Parker zu und begrüßte ihn auf recht radikale Art und Weise: „You will die!"

"Wir waren während dieser Reise soviel Feindseligkeit und Schikane ausgesetzt, wie ich es auf keiner anderen Auswärtsfahrt erlebt habe" - Sir Alex Ferguson

Während die erfahrenen Spieler wie Eric Cantona, Peter Schmeichel, Roy Keane, Paul Ince oder Mark Hughes die Anfeindungen mit äußerlich unbeeindruckter Miene an sich abprallen ließen, war besonders den jungen Spielern wie Neville, Giggs oder David Beckham das Erstaunen im Gesicht abzulesen, als sie sich unter diesen Umständen von der Passkontrolle bis zum Mannschaftsbus kämpfen mussten.

Die feindselige Atmosphäre wurde von der Ankunft der Engländer bis zu ihrer Abreise aufrechterhalten, es war, als hätte man sich in Istanbul kollektiv dazu entschlossen, den Gästen das Weiterkommen und den Aufenthalt in der Stadt so schwer wie möglich zu machen.

Der damalige Innenverteidiger Gary Pallister berichtete später beispielsweise, dass er bei der Ankunft im Mannschaftshotel einem Hotelpagen zur Begrüßung freundlich zugelächelt habe, dessen Reaktion aber darin bestand, dass er sich mit dem Zeigefinger quer über die Kehle fuhr. Die nächtliche Belagerung der Hotelanlage durch lautstark skandierende Fans und jeden Schlaf verhindernde Anrufe auf den Zimmern rundeten das umfassende Anfeindungspaket ab.

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Aufrufe: 7865 | Kommentare: 4 | Bewertungen: 7 | Erstellt:19.09.2012
ø 6.1
KOMMENTARE
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hoeneßhoch10
22.09.2012 | 12:49 Uhr
4
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hoeneßhoch10 : sehr schöner blog
22.09.2012 | 12:49 Uhr
-2
hoeneßhoch10 : sehr schöner blog
sehr gut geschrieben - auch von der dramaturgie des aufbaus her.
ein zwei absätze mehr hätte ich mir gewünscht - unter anderem mit einer wertung eines solchen verhaltens seitens der fans. schließlich kennt man aus der türkei dieses verhalten nicht nur von fans sondern leider auch von spielern (schweiz)
4
Genetikk
22.09.2012 | 15:01 Uhr
2
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Genetikk : 
22.09.2012 | 15:01 Uhr
-2
Genetikk : 
Glückwunsch zu einem solch gelungenen Bericht...der erste der es geschafft hat meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen!
2
bastian56
22.09.2012 | 15:09 Uhr
4
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bastian56 : 
22.09.2012 | 15:09 Uhr
-2
bastian56 : 
Einfach nur traurig. Meines Erachtens wurde nicht verstanden, dass Fußball Volkssport ist.. Der soll zusammenführen, aber nicht die Zusammenführung dazu nutzen, andere zu bedrohen oder fertig zu machen...

Aber gut verfasst.
4
eshkeeya
MODERATOR
22.09.2012 | 15:33 Uhr
3
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eshkeeya : 
22.09.2012 | 15:33 Uhr
-1
eshkeeya : 
Danke euch für das Feedback.

Alle weiteren Kommentare bitte unter den zweiten Teil, den Hinweis hab ich diesmal vergessen. Danke.
3
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