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07.03.2010 um 20:01 Uhr
Liga-Lehren XXV
Der gefühlte Rensing

Die knallhärteste Liga der Welt zeigt sich diesmal ein wenig gefühlsduselig und offenbart die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen:

Gefühlt
Ach ja, Gefühle: Heutzutage ist ja alles irgendwie nur noch gefühlt. Früher waren allenfalls Temperaturen gefühlt, nunmehr wird jedwede Abweichung von Realität und Wahrnehmung mit einer gefühlten Andeutung gekennzeichnet. Kann man ganz einfach an diesem Wohlfühlspieltag belegen: Cacau befindet sich in einer gefühlten Formkrise. Cissé wirkt mit seiner lässigen "Hinten rein, vorne nein"-Performance wie die gefühlte Kreuzung aus Martin Demichelis und Alexander Zickler. Und Poldi macht seine erste Bude seit Tante Frings' letzter Ganzkörperwäsche – rein gefühlt versteht sich. Allerdings war Bayerns Butt diesmal ja auch irgendwie nur ein gefühlter Rensing.

Wieso
Kein deutscher Fußballclub verinnerlicht die ultimative Gefühlsmelange aus Angst, Wut und Trauer in diesen Tagen ja so unnachahmlich wie die bemitleidenswerte Hertha. Genau, dieser gefühlt zweiklassige Hauptstadtclub mit einer Corporate Identity irgendwo zwischen Bild des Jammers und Häufchen Elend. Vortrefflich repräsentiert durch Coach Funkel, der nach dem HSV-Spiel in weinerlichem Menno-Mantra andymöllerte, was die Tränendrüsen hergaben. Und dann so Sachen sagte wie "Heute hat sich alles gegen uns verschworen". Frage: Heute? Oder aber: "Der HSV weiß gar nicht, wieso er heute gewonnen hat". Anmerkung: Doch! Weil sie gegen Hertha gespielt haben.

Der alte Jäger
Ein Gleichnis: Ein Mann streift durch die Wälder und beobachtet an einer Lichtung einen altersmüden Jäger, wie er unter größter Anstrengung versucht, den geliebten Hochsitz zu erklimmen, um einen letzten Blick auf das liebgewonnene Jagdrevier zu erheischen. Der Jäger, um dessen Gesundheit es augenscheinlich nicht gut bestellt ist, scheitert in seinem verzweifelten Bemühen immer wieder an der Kraftlosigkeit des gebrechlichen Körpers. Mehrere Minuten schaut sich der Wanderer das unwürdige Treiben an, um sich dann doch zu erbarmen und den alten Jäger mit einem kräftigen Stoß auf den Sitz zu hieven. Der Jäger, dem so der letzter große Wunsch erfüllt wurde, überschaut mit seeligem Blick das ihm zu Füßen liegende Territorium und lässt den Helfer von dannen ziehen. Eine Woche später klingelt es bei dem Wanderer an Tür. Der Jäger stattet ihm einen Besuch ab, versetzt ihm aber nur einen Tritt in den Allerwertesten und verschwindet wortlos. - Was diese absurd-zusammenkonstruierte Geschichte mit unserer allseits geliebten Bundesliga zu tun hat? Nichts, rein gar nichts. Sie war gedacht als kleine Metapher auf bayrische Undankbarkeit unter der Prämisse eines Bayern-Siegs in Köln. Aber was lernen wir daraus? Bayern sind dankbarer, als es der Rheinländer jemals vermuten würde. Vor allem aber: Niemals irgendwelche wilden Storys vor dem Spieltag zusammenspinnen. Am Ende kommt alles doch ganz anders. Solch selbstreferentielle Grübeleien überlassen wir aber dann doch lieber der AL, die für diese Fremdreferenz ganz fcberesk sicher sehr dankbar ist.

Nostalgie I
Menschliche Regungen in einem theoretischen Trockenkurs durch zu deklinieren, mag ja etwas für sich haben. Wirklich plastisch erscheinen humane Gefühle aber erst, werden sie in einem todesmutigem Selbstversuch am eigenen Leib durchlebt. Genau deshalb verlassen die Liga-Lehren jetzt die pseudo-journalistische Sachlichkeit und begeben sich auf die unsachliche Ebene des emotionalen Beobachters: Denn mal ehrlich, war das nicht schön. Herzergreifend schön. Wie die eine Borussia zugunsten der anderen Borussia aus reinem Nachbarschaftsgeist auf jedwede Torbemühungen verzichtete. Wie Poldi und Schweini in alter Tradition die Treffer unter sich ausmachten. Oder wie der halbe Freiburger AStA mit Herbergerschem Gemeinschaftssinn das komplette Badenova-Stadion entschneet hat. Alles so wie in den guten alten Zeiten, als Tugenden und Werte noch etwas zählten. Aber das ist halt das Schöne an einem Fußballverband, der strukturell und intellektuell in der Bismarck-Ära hängengeblieben ist. Da ist eben vieles so schön – wie damals. Hach…

Nostalgie II
Nostalgie könnte man wohl definieren als die Sehnsucht nach Vergangenheit unter Leugnung der Gegenwart. Bedauerlicherweise funktioniert solch ein Verdrängungsmechanismus aber nur kurzzeitig. Bei Bayer 04 waren es immerhin anderthalb Monate. Dann half auch alles Leugnen nichts mehr und man erkannte: Wir sind schon in der Rückrunde. Und man tat das, was sich für eine Bayer-Rückrunde nun mal gehört: Verlieren, selbst wenn das gegen den Club gar nicht so einfach ist. Aber das muss dann einfach sein. Denn in Leverkusen gibt man noch etwas auf Tradition. Nostalgiker eben.

Liebe
Fehlt nur noch die wohl faszinierendste menschliche Empfindung: Liebe, die interhumane Zuneigung zwischen Individuen wahlweise gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts. Beide Varianten des populären Gefühlsklassikers wurden am vergangenen Donnerstag an kompetentester Stelle exemplarisch durchexerziert. Unter Leitung von Gefühlspapst Johannes Babsi Kerner plauderten zunächst Loddar und Lilly über ihr wiedergefundenes Glück, ehe Manny A. über die Scherben der Affäre M & M sinnierte. So traurig einen der Abpfiff in der Schiri-Liaison auch machte, so herzergreifend war das, was Deutschlands Nationalcoach in spe über die Fortsetzung der schönsten Liebessgeschichte seit Einführung des Zölibats zu erzählte hatte. Denn als die Lilly mal so richddig krank war, da hat ihr der Loddar einen Viddaminkorb geschickt (dolle Dakdik) und da waren sie wieder ein Draumpaar. Und weil Loddar so ein ganz Aufrichtiger ist, schimpfte er gleich noch ein bisschen über die Medien. Die seinen Namen unverschämterweise immer ins Spiel bringen würden, wenn irgendwo ein Trainerposten frei sei. Und da hat er nun mal absolut Recht. Ein Loddar Matthäus hat sowas nicht nötig. Sich selbst ins Spiel bringen? Pah! Da würde Freiburg eher ein Heimspiel gewinnen oder Uli Hoeneß mit Michi Kempter auf einen Bayern-Sieg anstoßen. Absurd!

Und was gab's noch?
Das heißblütige Duell zwischen Alemannen und Gauchos oder – um im stereotypen Gefühlsduktus zu bleiben – Sachlichkeit gegen Leidenschaft. Genau genommen war das Ganze aber so heißblütig wie ein Junggesellenabschied von Mesut Özil, erbrachte aber immerhin den ultimativen Beweis: Stereotype sind irgendwie doch nur Vorurteile. Und überhaupt war diesmal alles ganz anders, irritierend anders: KMH mit Mutter-Beimer-Gedächtnisdauerwelle, die deutsche Elf spielerisch wie farblich ein einziges Negativ, Demichelis & Co. im unkonfektionierten Obelix-Presswurst-Outfit, Ballack als metrosexuelles Rocky-Balboa-Double und ein Adler im navigationsfreien Sturzflug. Nur Maradona ging wie immer als Kanonenkugel – mit Lunte. Für die WM bleibt indes die ernüchternde Erkenntnis: Vom Feeling her haben wir ein schlechtes Gefühl…
Aufrufe: 7777 | Kommentare: 25 | Bewertungen: 46 | Erstellt:07.03.2010
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KOMMENTARE
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FlojanKrkic
08.03.2010 | 20:33 Uhr
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08.03.2010 | 20:33 Uhr
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Lieber Voegi,

bisher wollte ich deine LL nicht kommentieren - da es schlicht und ergreifend - sinnlos ist. Da du genug Lob hierfür bekommst.
Aber ich muss dir einfach meinen Dank aussprechen. Dafür, dass du mir den Wochenbeginn immer so lustig gestaltest und man hier niveauvoll unterhalten wird.

Sehr schöne Sache. Schon fast barneyesk... LEGENDÄR!

Und bitte. Weiter so. Spox sollte dir ein Denkmal bauen.

Und, ja. Der Heiratsantrag folgt dann demnächst.
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Voegi
MODERATOR
08.03.2010 | 20:36 Uhr
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Voegi : 
08.03.2010 | 20:36 Uhr
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Voegi : 
...dann kann ich mir ja schon mal eine antwort überlegen. ;)
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Kuniniho
08.03.2010 | 21:36 Uhr
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Kuniniho : 
08.03.2010 | 21:36 Uhr
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Kuniniho : 
wie kann man fehler in seinem blog korrigieren?
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Tagon
09.03.2010 | 01:53 Uhr
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Tagon : 
09.03.2010 | 01:53 Uhr
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Tagon : 
Voegi, ein ganz ein dickes Lob! Ich hab über die LL mental ejakuliert, sehr, sehr super!

10P sind ja klar ;)
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flandaman
09.03.2010 | 02:12 Uhr
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flandaman : 
09.03.2010 | 02:12 Uhr
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flandaman : 
@ Tagon

Ich dachte immer, dass man zum Ejakulieren andere Seiten aufruft.
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