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12.04.2008 um 13:19 Uhr
Ebbsfleet-Experiment – Tag 11-17
Neugier und einer Laune folgend, habe ich mich für 35 Britische Pfund über die Internet-Plattform MyFootballClub beim englischen Fünftligisten Ebbsfleet United eingekauft und darf per Internet-Voting die Geschicke des Klubs mitlenken. Doch irgendwie will das Mitfiebern noch nicht so klappen. Was, wo, wie, warum ist eigentlich Ebbsfleet?

Ruhrgebiet in weiß

Selbst wenn ich bisher gedacht hätte, dass der Begriff "englische Woche" aus der Gastronomie kommt und eine Woche kulinarischen Horrors ohne Gewürze und mit schlechter Garung beschreibt, wäre mir in diesen Tagen mein Irrtum bewusst geworden. Gleich vier Mal muss "Fleet" in sieben Tagen in der Blue Square Premier spielen und das mit einem Kader von derzeit 17 gesunden oder einsatzfähigen Spielern. Man kann sich das Gejammer in deutschen Ligen vorstellen, wenn man Samstag, Dienstag, Donnerstag, Samstag im Kampf um Punkte ran muss.

Aber nicht die Engländer. Ne, die laufen und laufen und laufen. Allerdings liefen sie diese Woche bisher nicht gut. Gegen Woking aus dem unteren Tabellendrittel gab es nach 1:0-Führung und jeder Menge vergebener Chancen noch ein 1:1. Gegen Spitzenreiter Aldershot habe ich erstmals die Aufstellungsrunde verpasst, aber immerhin haben unsere Jungs ein 2:2 geholt. Ganz mies lief's dann gegen Abstiegskandidat Halifax. Ein Hand-Elfmeter nicht gegeben, früh Rot gegen Linksverteidiger Opinel und dann machen die auch noch in der zweiten Hälfte das 1:0. Der Trainer war sauer und ich natürlich auch. Allerdings war ich irgendwie nicht so richtig sauer und habe mich dann gefragt, woher das kommt.

Tradition seit über 100 Jahren

Ich denke, die Antwort ist ganz einfach: Fußball hat ja auch immer was mit Bindung, MIT-erleben und Geschichte zu tun. Und das fehlt mir in Bezug auf Ebbsfleet natürlich noch völlig. Das ist so, als würde ich mich als glühender Fan von Viktoria Aschaffenburg bezeichnen. Die habe ich auch noch nie live gesehen, weiß nicht wie die Stadt aussieht, wie die Leute ticken, was im Stadion so abgeht. Aber als verantwortungsbewusster Mit-Eigentümer des englischen Fünftligisten Ebbsfleet United F.C. versuche ich mal, mich der Region und dem Klub etwas mehr anzunähern. Man muss ja eventuell auch auf regionale Eigenheiten reagieren können. Ich könnte ja zum Beispiel auch nicht Fortuna Düsseldorf als Sponsor eine Kölsch-Brauerei an Land ziehen. Das heißt, ich könnte schon, aber für das Image des Vereins in der Region wäre das wahrscheinlich nicht so hilfreich.

Was, wie, wo, warum also ist Ebbsfleet United? Als Fußball-Klub gibt es den Verein grundsätzlich seit 1946. Nach dem zweiten Weltkrieg schlossen sich Gravesend United und Northfleet United - beide Ende des 19. Jahrhunderts gegründet - zu Gravesend & Northfleet F.C. zusammen. Die beiden Städtchen liegen knapp 20 Kilometer östlich von London an der Themse. Das größere Gravesend hat 56.000 Einwohner, Northfleet etwas mehr als 13.000. Das ist natürlich von Großstadt weit entfernt. Durch die Lage an der Themse ist eher Industrie angesiedelt, in diesem Fall genauer gesagt: Zement-Industrie. Kreide gibt's in der Region reichlich und Wasser auch, also begann man hier im ausgehenden 19. Jahrhundert das so genannte Portland Zement herzustellen, das als Basis für Beton, Mörtel und Stuck dient. Aha, also wohl wie das Ruhrgebiet, nur in weiß! Grundsätzlich Arbeitergegend, aber das gilt ja eigentlich generell für England.

Ein Bahnhof, ein Name

Außerdem ist in der Nähe das Einkaufszentrum "Bluewater", das mit 330 Shops auf 154.000 Quadratmetern zu den größten Europas zählt. Für Kultur ist eher Gravesend zuständig. Das hat eine schöne alte Kirche und außerdem hat die Indianerin Pocahontas (die gab's wirklich, ist nicht nur eine Disney-Erfindung wie Dumbo) ihre letzten Lebensjahre hier verbracht. Pocahontas lebte allerdings Anfang des 17. Jahrhunderts, da spielte Fußball noch nicht so die Rolle und deshalb mal zurück in die jüngere Geschichte: Gravesend & Northfleet war 1979 Gründungsmitglied der höchsten englischen Nicht-Profi-Liga (Non-League-Football nennt der Engländer das), der so genannten Conference, heute Blue Square Premier.

Zwei Jahre später stieg der Klub dann ab und wanderte 20 Jahre durch die Ligen der Region Kent. 2002 hatte der Dornröschen-Schlaf dann ein Ende und Gravesend & Northfleet kehrte zurück in die Conference. In jüngerer Vergangenheit kamen dann die einschneidenden Änderungen. Die eine war, dass die britische Regierung beschloss, für mehrere hundert Millionen Pfund einen Groß-Bahnhof genannt "Ebbsfleet" an die Strecke "High Speed 1" zu bauen. Auf der "High Speed 1" fährt der Eurostar, der durch den Kanaltunnel England mit dem Festland verbindet. Seit Ende 2007 heißt es also: London - Ebbsfleet - Paris. Um den Bahnhof herum soll jetzt die Trabanten-Stadt Ebbsfleet Valley mit 10.000 Wohnungen und 20.000 Arbeitsplätzen entstehen.

Auf nach Wembley

Neben dem Arbeiter-Mileu könnten sich also auch Yuppies und Bildungsbürgertum hier demnächst breit machen. Ein großes Spektrum, auch für einen Fußball-Klub. Das dachten sich wohl auch die Vereinsverantwortlichen und benannten Anfang 2007 Gravesend & Northfleet F.C. in Ebbsfleet United F.C. um. Der Verein heißt also wie ein Bahnhof, aber nun gut, Schalke ist ja auch nur ein Vor-Ort von Gelsenkirchen. Den größten sportlichen Erfolg feierte der Verein 1962-63, als "Fleet" bis in die vierte Runde des FA-Cups kam und dort erst im Wiederholungsspiel nach einem 1:1 mit 2:5 gegen den FC Sunderland scheiterte.

Das können wir aber diese Saison noch toppen: In der FA-Trophy, dem Pokal für Mannschaften unterhalb der Profi-Ligen, steht mein Klub erstmals in seiner Geschichte im Finale. Am 10. Mai geht's im Wembley-Stadion (ja tatsächlich, DAS Wembley-Stadion) gegen Torquay United. Aber dieser kleinen Sensation widme ich mich später. Jetzt geht's erstmal ums aktuelle Tagesgeschäft. Und das hat ja vor Kurzem die zweite einschneidende Änderung erlebt. Seit März 2008 bestimmen die mittlerweile über 29.000 Mitglieder von MyFootballClub das Geschehen, zu deren ich ja dank meiner 35 Britischen Pfund auch gehöre.

Zusammenfassend könnte man uns also eigentlich so wie ein kleines Hoffenheim beschreiben. Im Randgebiet einer sich entwickelnden Region wird ein Fußball-Klub, den es eigentlich schon seit über 100 Jahren gibt, von Investoren aufgepäppelt und nach oben gebracht. Das ist doch ein schöner Gedanke, auch wenn ich vom Milliardär noch ein paar Nullen entfernt bin. Also jetzt erstmal frisch ans Werk. Ich muss die Aufstellung für das Spiel beim Vorletzten Droylsden fertigmachen. Dann geht's wieder live ans Internet-Radio und immerhin weiß ich jetzt ein bisschen mehr, mit wem ich mitfiebere. "Let's go Pochantos-Chalk-Station!"

Tag 18-20 - Money, money, money
Aufrufe: 1677 | Kommentare: 0 | Bewertungen: 4 | Erstellt:12.04.2008
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