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07.12.2012 um 14:50 Uhr
EM 2020: Jubiläum ad absurdum
Es ist also beschlossen, die Europameisterschaft 2020 soll in mehreren Ländern stattfinden, von 10 bis 14 Ländern ist derzeit die Rede. UEFA-Präsident Michel Platini hat sich durchgesetzt.

Eine schöne Idee für ein Jubiläum? "Ich verstehe die UEFA ehrlich gesagt nicht. Durch eine solche Vorgehensweise wird der Geist des Wettbewerbs zerstört", findet etwa Jerome Valcke. Und der ist nicht irgendwer, dabei handelt es sich immerhin um den Generalsekretär der FIFA.

Eine Europameisterschaft ist an sich ein komplexes Thema, das viele Facetten hat. Jedoch ist die Ausrichtung in mehreren Ländern ein Beschluss, der mehreren zentralen Aspekten eines solchen Turnieres eher schadet als nutzt.


1. Die Logistik

"Wir müssten keine Stadien oder Flughäfen bauen, gerade jetzt in Zeiten der wirtschaftlichen Krise", lautet eines der Argumente Platinis. Im Ansatz zweifellos kein schlechtes Argument. Dabei sollte man aber auch nicht vergessen, dass kleinere Länder vom Aufbauen bzw. Verbessern der Infrastruktur längerfristig profitieren können - der Stadionbau ist hiermit natürlich nicht gemeint.

Man könnte das Turnier aber an ein Land geben, in dem Stadien bereits vorhanden sind. Selbst wenn man Deutschland aufgrund der zeitlich noch nahen Heim-WM ausklammert, gibt es namhafte Optionen innerhalb Europas, in denen Stadien und Infrastruktur gegeben wäre.

Besonders an England wäre hier zu denken, das bereits bei der WM-Vergabe 2018 den kürzeren zog - und wäre das Mutterland des Fußballs nicht auch eine schöne Option für die Jubiläums-EM? Elf Fußballstadien mit einer Kapazität von mindestens 40.000 Zuschauern stehen in England derzeit zur Verfügung, an Flughäfen und Logistik in den Großstädten sollte es auch nicht scheitern.

Darüber hinaus wird es für alle teilnehmenden Verbände logistisch ein enormer Aufwand und mit hohen Kosten verbunden sein, zu jedem Spiel in ein anderes Land zu fliegen. Zumal nicht vergessen werden darf, dass ab der EM 2016 acht weitere Länder teilnehmen werden - also noch mehr Nationalmannschaften, die ihr Lager nicht in einem Land aufschlagen könnten, sondern die durch Europa reisen müssten.

Hierbei werden dann gerade Fans, die ihrem Team gerne hinterher reisen wollen, unter Umständen vor große logistische und finanzielle Aufgaben gestellt.

Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass schon bei der EM dieses Jahr in Polen und der Ukraine über zu lange Distanzen für Spieler und Fans zwischen den Spielorten geklagt wurde. Dieser Aspekt dürfte sich kaum verbessern.


2. Die Stimmung

Es ist das, was eine Europa- und eine Weltmeisterschaft seit jeher maßgeblich mit prägt. Das Bild eines Landes, das sich heraus geputzt hat, sich von seiner besten Seite zeigt und in dem sich fußballbegeisterte Fans aus allen Teilnehmerländern treffen.

Die Fans im Gastgeberland freuen sich Monate im Vorraus darauf, ein die fußballerische Elite Europas (bzw. der Welt) begrüßen zu dürfen, und auch die Wirtschaft profitiert von dem Gäste-Ansturm.

Mit der Verteilung der EM beraubt man sie ihres länderspezifischen Flairs, und damit im Endeffekt ihrer Stimmung. Eine Europameisterschaft, die sich auf ganz Europa verteilt, wird nicht den ihr sonst so typischen Charakter aufweisen und zweifellos nicht den Flair haben, den eine EM sonst haben kann.


3. Der Heimvorteil

Ein ganz besonderer Aspekt, der natürlich eng mit der Stimmung zusammen hängt. Man hat es ganz besonders bei der WM in Japan und Südkorea gespürt, wie bei einem solchen Turnier die Fans ihr Team tragen und zu Leistungen jenseits aller kühnsten Erwartungen gebracht haben.

Bei einer EM mit 24 Ländern, die aber "nur" in 10-14 Städten ausgetragen wird, ergibt sich hier klar ein Nachteil für die Länder, die nicht zu den Gastgebern zählen. Während mutmaßlich Nationen wie Deutschland, England, Spanien oder Italien als Mit-Gastgeber Heimspiele haben werden, müssten grob geschätzt zehn Länder auf den Heimvorteil verzichten. Und sollten tatsächlich, wie vereinzelt vermutet, die Gastgeber ihre Gruppenspiele alle zuhause spielen, wäre der Vorteil noch bedeutend größer.

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass das Heimpublikum, gerade in der Gruppenphase, eher skeptisch sein dürfte, wenn dann in Berlin das Vorrundenspiel Ungarn gegen Kroatien stattfinden würde, während das eigene deutsche Team gerade irgendwo anders in Europa spielt.

Durch 10-14 Gastgeber könnte man außerdem kaum alle Co-Gastgeber als automatisch qualifiziert setzen - durchaus denkbar, dass also in Stockholm oder Brüssel drei Spiele stattfinden, ohne dass die jeweilige Heimmannschaft überhaupt am Turnier teilnimmt. Ein Szenario, in dem das Interesse der Fans vor Ort sicher noch weiter gemindert werden würde.


4. Die sportliche Qualität

Keine Frage, die sportliche Qualität einer EM ist nicht mit der Qualität in der Champions League oder den großen nationalen Ligen vergleichbar. Wie sollte sie auch, schließlich haben die Nationalmannschaften bedeutend weniger Zeit, sich einzuspielen und als Team zusammen zu wachsen.

Ein Turnier verteilt in Europa würde die ohnehin schon schlechtere sportliche Qualität weiter mindern. Kurze Regenerationsphasen und damit verbunden weniger Trainingsmöglichkeiten wären zunächst die Folge der häufigeren und unter Umständen längeren Reisen.

Außerdem müssten, im Extremfall, Teams Zeit- und Klimaunterschiede in Kauf nehmen, je nachdem wo überall gespielt wird.

Die Europameisterschaft würde bei diesem Konzept sportlich Gefahr laufen, zu einer schlechten Champions League zu verkommen. Ein großes Teilnehmerfeld, mit (teilweise) Heim- und Auswärtsspielen. Einen solchen Wettbewerb gibt es mit Champions League und Europa League bereits, und ihn auf Nationalmannschaftsebene zu kopieren macht keinen Sinn.

Zusätzlich haben beide jüngsten "Revolutionen" der UEFA die EM betreffend (also die Aufstockung der Teilnehmer und die Austragung in mehreren Ländern) schlicht den faden Beigeschmack, dass sie die sportliche Qualität des Turniers mindern und die Kassen der UEFA weiter füllen.


5. Fazit

Es mag sich dabei zugegebenermaßen um eine einmalige Sache handeln. Etwas besonderes, immerhin wird die Europameisterschaft 60. Aber ist es der richtige Ansatz ein Turnier bei seinem Jubiläum seiner Identität zu berauben?

Wäre es nicht schöner, die UEFA würde sich auf den Kern der EM konzentrieren und, anstatt sie durch numerische Aufstockung und geographische Zersplitterung lieber sportlich und emotional versuchen zu verbessern?

Abschließend, und das dürfte der wichtigste Punkt sein: Eine EM in 10-14 Ländern kann nicht fair sein, und es wird nach der Bekanntgabe der Spielstätten sicher nicht lange dauern, bis die Länder ohne Heimrecht sich beklagen werden. Und das zurecht.

Mit diesem Konzept werden letztlich, und das ist unabhängig von allen noch zu klärenden Details, sowohl die Mannschaften als auch die Fans aller Nicht-Gastgeber erheblich benachteiligt - und das sollte doch wohl nicht im Sinne der UEFA sein.
Aufrufe: 7952 | Kommentare: 22 | Bewertungen: 20 | Erstellt:07.12.2012
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KOMMENTARE
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BizDanIshVili
10.12.2012 | 19:36 Uhr
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BizDanIshVili : super blog
10.12.2012 | 19:36 Uhr
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BizDanIshVili : super blog
Ich fand die Idee auf den ersten Blick reizvoll, aber Deine sehr wohl überlegten Argumente haben mich umgestimmt - ist wohl ne echte Schnapsidee. Schlimmer ist jedoch die bereits beschlossene Aufstockung - das wird die Qualität der Wettkämpfe ab 2016 extrem verringern...
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bunsen
11.12.2012 | 08:40 Uhr
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bunsen : 
11.12.2012 | 08:40 Uhr
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bunsen : 
sehr interessant die kommentare hier. ich schlage mich auf die seite derer, die das als ausnahmeveranstaltung begrüßen, mit dem hintergrund (und unter der bedingung) dass man die kleinen länder entsprechend auch mal einbindet, die sonst eine EM alleine nie stemmen könnten. ob man das zur regel machen muss ... keine ahnung. einfach mal abwarten.
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