Manchester United und FC Liverpool verbindet mehr als die erste Eisenbahnstrecke der Welt, auf der sämtliche Züge nach festem Fahrplan und mit Dampflokomotiven verkehrten. Beide sind die erfolgreichsten Vereine Englands, beide besitzen eine ausgeprägte Rivalität und beide treffen heute Mittag aufeinader. Anders als bei den meisten Derby-Klassikern ist die Rivalität zwischen den "Reds" aus Liverpool und den "Reds" (bzw. "Red Devils") aus Manchester weder geographisch, politisch oder ökonomisch, sondern allein sportlich begründet. Seit Anfang der sechziger Jahre spielen die beiden Vereine aus dem Nordwesten des Landes recht konstant an der Spitze der Premier League. Die Fans halten ihren Verein jeweils für den "erfolgreichsten Club Englands".

Manchester hat 55 Trophäen im Schrank, Liverpool sogar derer 58. Aber während die Liverpooler Erfolge hauptsächlich aus den Siebzigern und Achtzigern stammen, hat Manchester in den vergangenen zehn Jahren gewaltig aufgeholt – nicht zuletzt mit dem ersten englischen Triple 1999 (Meisterschaft, FA-Cup und Champions League). Womit die anhaltende Intensität des "North-West-Derbys" erklärt wäre. Beide Vereine pflegen zwar auch innerstädtliche Rivalitäten und gelegenhafte Feindschaften gen Süden (Manchester - Arsenal) und Norden (Liverpool – Newcastle). Aber nirgendwo in England wird so gehasst wie auf der M62 zwischen den Stadien von Anfield und Old Trafford.

Aber versteh doch, Papa, ich hasse sie wirklich!
Gary Neville, der seit 17 Jahren für Manchester United gegen den Ball tritt , brachte es einst auf den Punkt: "Ich kann Liverpool nicht leiden, ich kann Leute aus Liverpool nicht leiden, ich kann überhaupt nichts leiden, was mit Liverpool zu tun hat." Bei einem ähnlichen Interview soll sich der gleiche Spieler so obszön über die "bloody scousers" (= Liverpooler) ausgelassen haben, dass dessen Vater, der legendäre Cricketspieler mit dem unvergesslichen Namen Neville Neville, sich Sorgen um seinen Sprössling machte und spontan das Mikrofon des Journalisten ausschaltete. Worauf Gary Neville angeblich sagte: "Aber versteh doch, Papa, ich hasse sie wirklich!"

Auch Wayne Rooney goß vor ein paar Tagen noch einmal ordentlich Öl ins Feuer. "Ich freue mich schon sehr auf dieses Spiel", sagte Rooney nach dem 2:0-Sieg gegen Inter Mailand zu MUTV, Uniteds eigenem TV-Sender und erklärte freundlicherweise auch, warum. "Ich wuchs als Everton-Fan auf. Meine ganze Familie war und ist Fan dieses Vereins. Ich habe Liverpool immer gehasst - und das hat sich nicht geändert." Rooneys Club entschärfte die Wortmeldung, um vor dem Prestige-Duell keine zusätzlichen Emotionen zu schüren. "Wir wissen, was Rooney sagen wollte, aber wir wollen nicht, dass es von den Medien ausgeschlachtet wird", sagte ein United-Sprecher über die "Zensur".

Fans aus Liverpool singen seit dem Interview von Gary Neville einige Lieder über ihn, auch ein sehr obszönes, in dem es um inzestuösen Geschlechtsverkehr geht ("Gary shags his mum"). Die Fans aus beiden Lagern kennen keine Tabus, wenn der Lieblingsgegner zu Gast ist. Sowohl das 1958er Flugzeugunglück von München (acht United-Spieler starben) als auch die Tragödie von Hillsborough 1989 (96 Liverpool-Fans wurden im Stadion von Sheffield zu Tode gequetscht), wird in den fiesesten Schmähgesängen beider Lager thematisiert.

So zerrüttet ist die Beziehung zwischen beiden Vereinen, dass seit Jahrzehnten kein einziger Spieler mehr von Manchester nach Liverpool oder umgekehrt wechselte. Der Argentinier Gabriel Heinze wollte dies Mitte dieses Jahres ändern, als er sich bei Manchester auf der Bank wiederfand und Coach Rafael Benítez ihn deshalb nach Liverpool holen wollte. Es folgte ein Aufschrei der Empörung. Inzwischen spielt Heinze doch lieber bei Real Madrid.

Letzte Chance für den Titel
Der Traum des FC Liverpool vom ersten Meister-Titel seit 19 Jahren entscheidet sich wohl heute im Spiel gegen Manchester United. Bei einer Niederlage würde der Rückstand auf 13 Zähler anwachsen (sofern Manchester sein Nachholspiel gewinnt) und Liverpool wohl den Titel als alleiniger Rekordmeister los – beide hätten dann jeweils 18 Meisterschaften auf dem Konto. Bei einem Sieg in Old Trafford leben die Hoffnungen auf die Meisterschaft jedoch wieder auf. Liverpool liegt in der Tabelle zurzeit sieben Punkte hinter Tabellenführer "ManU", wie Manchester in England abwertend bezeichnet wird. Der Begriff wurde erstmals von Fans des West Bromwich Albion verwendet, um den verstorbenen United-Spieler Duncan Edwards zu beleidigen, der beim berühmten "Munich Air Disaster" oder "Munich Air Crash" mit sieben weiteren Spieler ums Leben kam: "Duncan Edwards is manure, rotting in his grave,Man U(you) are manure, rotting in your grave!” Später wurde es von Leeds United und Liverpool FC Anhängern übernommen, um alle Toten von München zu beleidigen: "Man U(you) never intendet coming home." sowie "Man U(you) went on a plane, Man U (you) never came back again.” Setzt man beim ersten Schmähgesang die Anfangsbuchstaben der Worte zusammen, erhält man das Wort "Munich".

Uniteds "Altstar" Ryan Giggs bringt die Brisanz des Duells noch einmal auf den Punkt. "Es ist eine Menge Brisanz in der Partie. Wenn wir gewinnen, wird es schwierig für sie, uns noch einzuholen. Aber gewinnt Liverpool, fühlen sie sich wieder im Rennen. Es ist ein entscheidendes Spiel für beide Teams", sagte Giggs. Der Waliser war unter der Woche einer der Garanten für den 2:0-Sieg gegen Inter Mailand. Seit 1990 spielt er für die Red Devils und hat damit natürlich schon einige Partien gegen Liverpool mitgemacht. Manchester dürfte nach dem lockeren 2:0-Sieg gegen Inter Mailand und dem damit verbundenen Einzug ins Viertelfinale der Champions League nur so vor Selbstbewusstsein strotzen und wird alles daran setzen, einen großen Schritt in Richtung 18. Meistertitel zu machen. Zudem würden sie bei einem Sieg ihren eigenen Rekord von zwölf Liga-Siegen in Serie einstellen. Allein das sollte schon Ansporn genug sein.

Das Team von Trainer Rafael Benitez muss dabei alles daran setzen, die Form vom überzeugenden 4:0-Champions-League-Sieg gegen Real Madrid zu konservieren. Benitez wollte den Sieg gegen Madrid daher auch nicht überbewerten. "Wir haben gut gespielt, aber wir haben jetzt ein unglaublich schweres Spiel vor uns, das wir gewinnen müssen", so der Spanier. Das Selbstbewusstsein vor dem Topspiel bei Manchester United ist groß. "Wenn wir den Rückstand verkürzen, sind wir zurück im Titelrennen", glaubt Benitez.

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