„Weißt du noch früher, Vitali ...? Als die Gegner vor Ehrfurcht wie die Milchschnitten von allein umgefallen sind? Niemand hat einem, ohne vorher Bescheid zu sagen, ins Gesicht gespuckt oder den Kampf schon in die PK vorverlegt. Damals. Als Sportler noch Vorbilder sein konnten. Und heute? Alles ist Entertainment. Nur die große Show. " „Mmmmmm."

Vorbilder? Vorbilder gibt’s nicht mehr.
Da muss man sich schon was Geeigneteres suchen als Sportler. Nur wer soll’s werden? Kirche fällt wohl raus. Politik? Zu wenig Ehrgeiz und Anstand, die Knaben. Bleibt noch die Familie. Nur gibt’s Papa nicht im Kicker zum „an die Wand nageln". Also doch Sportler, aber wen? Norbert Meier, vielleicht. Der ist wenigstens ehrlich und hart im Nehmen. Als Arbeitgeberterrorist Albert Streit ihm nämlich mit der Kopfnuss drohte, hat der sich nicht einfach fallen lassen. Nein! Was in dem Moment keiner gesehen hat, er ist mit dem Fuß in ein Loch getreten, hat sich dabei aufgrund der instabilen Körperhaltung einen Hexenschuss zugezogen, der ihm bis in die Nase gekrochen ist, und hat den guten Mann niedergestreckt. Hat er aber niemandem gesagt und es geschickt als Schwalbe getarnt. Ist ja keine Memme. Oder Andi Möller, der am 13. April 1995 dem Eichhörnchen im Strafraum des KSC einfach ausweichen musste. Dass der Vollidiot von Schiedsrichter da Elfer pfeift, konnt’ ja keiner ahnen. Und wer das Vieh eigentlich mitgebracht hatte? Fragt auch keiner nach.

Rivaldo stand, naja lag 2002 mächtig in der unberechtigten Kritik. Der türkische Nationalspieler Ünsal spielte dem zum Eckball bereitstehenden Brasilianer, entgegen jeder sportlichen Logik, den Ball zurück. Da Ünsal in letzter Zeit sehr viel Spinat zu sich nahm, war er nicht in der Lage, den Ball mit angemessenem Tempo zu treten und traf den ehemaligen Weltfußballer am Bein. Dieser ging zu Boden. Rivaldo aber war ein paar Tage zuvor bei Giovane Elber zum traditionellen Linsensuppen-Dinner eingeladen. Elbers Frau trug an diesem Abend weit ausgeschnitten und Rivaldo verlor sich in ihrem Dekolleté. Giovane schoss ihm daraufhin eine der widerspenstigen Dinger mit dem Löffel direkt ins Auge. Ähnlich eines Huhnes, dem man den Kopf abgetrennt hatte, kam der Schmerz erst später im Spiel zum Vorschein und ließ den Hünen an der Eckfahne zusammensinken. Ünsal wurde mit Rot wegen Verdacht auf Manipulation der Linse vom Platz gestellt.

Jaja, Sport ist schon eine Geschichte voller Missverständnisse. Aber erinnern kann man sich immer gut an solche Zeitgenossen. Extreme bleiben einfach besser im Köpfchen als ein „nur gutes Spiel". Fragen Sie doch mal bei Ewald Lienen nach! Mike Tyson hätte wahrscheinlich nie den Bekanntheitsgrad erreicht, wenn er privat nicht etwas, sagen wir mal anders gewesen wäre. Grade im Boxsport, der durch seine nicht vorhandene Transparenz, dem fehlenden Nachwuchs und Ahmet Öner immer mehr an Seriosität verliert, sind solche Methoden für viele eines der letzten Sprungbretter auf die große Bühne. Aber auch schlechte PR ist PR, wie man weiß. Vor allem Ahmet Öner! Und wenn man mal ehrlich sein will, sind diese Momente für die Zuschauer aus der Sensationsgesellschaft das reinste Vergnügen und Grundlage tausender Diskussionsrunden. Jede Woche aufs Neue wartet man auf eine Trainerentlassung, ein umgerissenes Tor in Madrid oder die nächste Dusche für Wladimir Klitschko.

Fast schon langweilig erscheint die Posse um Michael Ballack, der einfach nicht kleinzukriegen ist. Woche für Woche, Tag für Tag prügeln Ecki Heuser und Kollegen in Absprache mit Wolfgang Holzhäuser und Manuel Friedrich mit der Verbalkeule auf den Capitano ein. Ohne Erfolg. Keine Chance. Nichts. Dem Medienprofi ist emotional nichts zu entlocken. Keine Träne der Nachgiebigkeit. Ein Fels, der Mann. Teufelskerl! Aber so langsam halt nicht mehr für die Weekly Soap „Gute Bundesliga, schlechte Bundesliga" verwertbar, da Konfliktpotenzial ausgeschöpft. Vielleicht ’ne Musikkarriere?

Apropos Manuel Friedrich. Auch nicht grad mit Ruhm bekleckert! Trikottausch in der Halbzeit? Pah! Symbolisch fast eine vorzeitige Resignation gegen einen Gegner, dem man es durchaus etwas schwerer hätte machen können. Und mit Völler sitzt in Leverkusen einer der die Situation kennt. Frank Rijkaard, die Älteren erinnern sich, wollte sich Tante Käthes Trikot ebenfalls vorzeitig sichern, aber Rudi blockte ab und verwies ihn auf das Ende des Spiels. Rijkaard war zu Tode betrübt und machte den Chisora. Das nur so am Rande.

Kein Competition ohne Drama
Das Medium Profisport ist weitestgehend Entertainment und Show, und das muss es auch bleiben. Denn genau diese absurden Momente sind es, die das Ganze nahbar machen. Einen Profi mit menschlichen Zügen und Fehlern. Dass man niemandem ins Gesicht spucken sollte, aus gesundheitlichen Gründen vor allem nicht Wladimir Klitschko, ist selbstverständlich. Der Grat aber wird zusehends schmaler. Die Vorbildfunktion als Hauptaufgabe anzugeben ist für moderne Gladiatoren jedoch schwierig, da man uns Zuschauern immer mehr Superlative bieten muss.

Mittlerweile ist hier sehr viel wirtschaftliches Potenzial vorhanden. Verkauft werden Emotionen, die am besten, um wirksam unters Volk gebracht werden zu können, vorschlaghammerartig sein sollten. Körperverletzungen à la Petr Cech oder gar noch Schlimmeres gehören nicht dazu. Aber diese kleinen Geschichten, seien es Schauspieleinlagen oder „ ... bei 0:2 brauchste mich auch nicht mehr einwechseln!" sind es, die einen zum Schmunzeln bringen. Saubermann und Publikumsliebling funktionieren meist schlecht zusammen. Vorbild hin oder her, filtern muss jeder jegliche Informationen aus dem Mediendschungel für sich selbst. Das Zusammenspiel von Vorzeigeprofi und Medien kann daher nahezu nicht aufgehen, Ausnahmen und die Regel und so weiter.

Rebellen sind für Medien und Peripherie unersetzlich. Der Sport lebt genau von solchen Gestalten wie Tévez oder Chisora. Jedem Klitschko-Fan wurde am Samstag sein Wunsch nach Vergeltung für die lange Wartezeit oder dem Wasseranschlag ganz natürlich durch die Emotionen verstärkt. Man hatte das gute Gefühl etwas gesehen zu haben, an das man später noch mal zurückdenken könnte ...