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26.10.2011 um 08:22 Uhr
Der gemeine Fan
Eine kleine Abrechnung mit Phrasen, Spott & plakativer Kritik

Emotionen gehören zum Sport, das sagt ein ungeschriebenes Gesetz. Dass diese Emotionen gerne dazu verleiten, über das Ziel hinauszuschießen, ist auch allgemein bekannt. Aber was bei der so hochgelobten Fankultur und dem Meinungsaustausch unter mehr oder weniger Gleichgesinnten auffällt, sind die immer gleichen Themen und der harsche Umgangston mit vermeintlich Fremden. Der gemeine Fan tritt nicht selten auf der Stelle und erlebt den Sport eindimensional. Hier fackelt das bengalische Feuer der Meinungsfreiheit und des gescheiterten Diskussionsversuchs.

Abgründe tun sich auf
Fangen wir mit einem kleinen Beispiel an, dass sich so oder so ähnlich bei vielen Begegnungen abgespielt haben kann: Als namhaftes Paradebeispiel dient der polnische Nationalmannschaftskapitän Jakub Blaszczykowski, der von seinem Trainer Jürgen Klopp kurz vor der Einwechslung die Anweisung bekommt, die gegnerische Abwehr doch bitte über die Flügel zu beschäftigen, also die Außenbahn zu halten und das Zentrum nicht noch enger zu machen. Kaum auf dem Platz wird besagter Profi der Borussia aus Dortmund höhnisch begrüßt und verliert auch prompt den ersten Ball nach einer unsauberen Annahme, wirkt spürbar nervös und verunsichert. Die Pfiffe gehen durch das Rund und der Spieler verkrampft zusehends. Von der Tribune raunen demotivierende Amateurvergleiche und die besonders eleganten „Raus!"-Rufe. Das hierbei eine kleine, nicht nur positive Fan-Profi-Historie vorliegt und die verachtenden Reaktionen der Fans gegenüber dem Spieler durchaus eine Tradition haben, mindert nicht die Schwere, die dem Profi damit auferlegt wird. Das lähmende Gefühl, bei einem Heimspiel vor den eigenen Fans noch vor der ersten Aktion negativ aufgenommen zu werden, ist ein Verlust für beide Seiten, wird aber nicht als solcher verstanden. Das Trauerspiel spielt sich regelmäßig und bei vielen Vereinen ab, sodass es keinesfalls abgestritten werden kann. Vielen der gemeinen Fans liegt viel daran, die Taktik und die Aufstellung der eigenen Mannschaft zu kommentieren. Wenn das allerdings in der Form praktiziert wird, bekommt der Begriff „Fan" eine ganz andere Bedeutung, denn dann spielt nicht länger die geliebte Elf, sondern ein Haufen Versager, denen man nur teilweise etwas abgewinnen kann. Als Fan hat man es aber auch nicht leicht, man muss dem Trainer durch laute Zurufe bei der Ausführung des einfachsten Jobs der Welt den alles entscheidenden Ratschlag zubrüllen, sonst fährt die Mannschaft wieder keine Punkte ein. Diese Trotzreaktionen führen allerdings nicht zu mehr als der Schwächung der eigenen Mannschaft, wenn sich 20.000 Zuschauer voneinander angeheizt dazu entschließen mit Pfiffen und beleidigenden Zurufen für den Umschwung zu sorgen. Man spürt auch dabei das Herzblut der Zuschauer, aber leider nicht nur diese Leidenschaft, sondern auch ein Verhalten, das Leiden schafft.

Aus Liebe zum Spiel
Nicht erst seit gestern begegnet man den Profisportlern mit einer ungesunden Mischung aus Vergötterung und Verdammnis. Ein Fehler kann Spiele entscheiden, aber nicht jeder der verursachten Fehler ist das Ende aller Tage, trotzdem wird jedes noch so kleine Malheur reißerisch aufgefasst und lautstark verarbeitet. Dieses Ungleichgewicht und der damit zusammenhängende Tanz auf der Rasierklinge macht es den eigenen Helden unglaublich schwer die Erwartungen zu erfüllen, da diese schlicht unerreichbar sind. Die Mentalität der gemeinen Fans lässt keine Fehler oder Niederlagen zu, denn die passen nicht zu den hoch bezahlten Profis und Hoffnungen, die man an diesen festmacht. Dass in letzter Zeit immer mehr Profisportler an der unmenschlichen Erwartungshaltung und dem mentalen Druck zu zerbrechen drohen, findet kaum oder keinerlei Beachtung. Es ist zwar offensichtlich, dass hier eine der Verbindungen zu finden ist, doch wird das totgeschwiegen. So gesehen sind Profisportler die Gladiatoren der Neuzeit und werden allwöchentlich zum nächsten Schaukampf in viel besuchte Arenen geleitet. Der gemeine Fan sieht sich dabei gern als kleiner Mann, der alles gibt, um den eigenen Club zu unterstützen, sich dabei aber zu oft von der Mannschaft im Stich gelassen fühlt, dabei ist es häufig genau umgekehrt. Nur davon bekommt man im Wahn wenig bis gar nichts mit. Leider.

Bild dir deine Meinung
Nicht nur im Stadion wird die Mannschaft angetrieben, auch abseits der Spiele herrscht rege Aufregung und bemühte Unterstützung. Online wird scharf geschossen, um dem letzten Deppen klar zu machen, wer die längere, größere Tradition hat und hinter der besseren Mannschaft steht. Beleidigende Äußerungen gehören zum guten Ton und jede andere Meinung wird in alle Einzelteile zerlegt. Hohn und Spott bestimmen das Bild und zeugen davon, wie tief die Gräben reichen können, wenn man sich nur dem einen Ziel, der Unterstützung der Gladiatoren, verpflichtet und keinerlei Kritik akzeptieren kann. Da erreichen Statistiken zu fleißigem Meinungsaustausch und Diskussionen schnell den Charme der Materialschlachten aus Michael Bay-Produktionen. Es geht nur um die Masse der Meinungen, die allesamt in wenig differenzierte Richtungen zielen. Dabei reicht ein einfacher Newsbeitrag aus, um Hasstiraden sizilianischer Mafia-Ausmaße zu erleben. Die Kämpfe wollen gewonnen werden, auf wie neben dem Platz. Und darin liegt die größte Enttäuschung. Die Liebe zum Verein führt zu Verbalkrämpfen hartnäckiger Ausprägung. Zu häufig zerbrechen Diskussionen an den immer gleichen Phrasen und Meinungsplatzpatronen, die keinerlei Wert haben, aber doch zum Bruch führen. Hauptsache, das eigene Team wird geschützt. In vielen anderen Lebensbereichen würde diese Hartnäckigkeit als krankhaft bezeichnet, als Fan ist sie Teil des gesunden Daseins.

Professioneller Trashtalk
Wenn aber selbst ehemalige Profis öffentlich Meinungen kundtun, die sonst in der letzten Kellerspelunke zu Hause sind, muss man den gemeinen Fan ein Stück weit in Schutz nehmen. Es gehört wohl scheinbar dazu, sich verbal aus dem gesellschaftlichen Reihenhaus zu lehnen und über die Stränge zu schlagen, weil damit umso deutlicher wird, wie persönlich es zugeht. Bei Sport hört der Spaß auf, eine Freizeitbeschäftigung nimmt religiöse Ausmaße an und verzeiht keine reflektierte Betrachtung. Die gehört in die stillen Kreise, öffentlich tritt man lieber wie ein texanischer Republikaner auf dem Grünen-Landtag in Baden-Württemberg auf: hart, laut und voller Missverständnis für alle Unregelmäßigkeiten. Die Welt der gemeinen Fans muss nicht jeder verstehen, aber einen Blick sollte man riskieren. Falls es dann doch zu Missverständnissen kommen sollte, hilft ein populäres Zitat, um wenigstens für einen Moment Ruhe und Respekt zu sorgen:

„Ich bin einer, der lässt sich das nicht gefallen, Freunde der Sonne" -
mit der Betonung auf "Freunde der Sonne". Um mehr ging es auch dabei nie...


In diesem Sinne

tobzzzzn
Aufrufe: 3876 | Kommentare: 12 | Bewertungen: 10 | Erstellt:26.10.2011
ø 8.9
KOMMENTARE
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tobzzzzn
26.10.2011 | 08:31 Uhr
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tobzzzzn : Das gemeine blog?
26.10.2011 | 08:31 Uhr
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tobzzzzn : Das gemeine blog?
Moije spoxer,

jede Wortmeldung, Kritik und Anmerkung sind willkommen. Immer raus mit der Sprache. Falls ich mit den Annahmen total daneben liege, zieh ich auch nicht den Kopf ein.

Viel Spaß beim Lesen & einer möglichen Diskussion
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Gnanag
26.10.2011 | 10:23 Uhr
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Gnanag : 
26.10.2011 | 10:23 Uhr
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Gnanag : 
Wow, in der Flut an "Blogs", die hier veröffentlicht werden, ragt dieser absolut heraus. Super geschrieben, geschliffen formuliert, interessanter Inhalt - große Klasse.

Zum gemeinen Fan: Fans sind unterm Strich ein Querschnitt der Gesellschaft, man findet sowohl den schleimigen Jursiten, den intellektuellen Geisteswissenschaftler, als auch den emotionalen Jugendlichen und schlichtweg in seiner geistigen Kapazität vom Herrgott limitierten Durchschnittsproleten.

Vernünftige Lösungen fallen mir - ich zähle mich übrigens zur letzten Kategorie -nicht ein. Man kann eigentlich nur durch sein eigenes Verhalten versuchen, Dinge in eine gewisse Richtung zu lenken oder zu beeinflussen, die breite Masse zu ändern ist schwierig.

Ist aber ein schöner Denkanstoß der Blog. 10P.
2
Schnumbi
26.10.2011 | 10:29 Uhr
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Schnumbi : 
26.10.2011 | 10:29 Uhr
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Schnumbi : 
sehr gut !!

wie schon erwähnt, ist für VIELE, dass stadion einfach nur ein ventil für ihr gesellschaftliches leben. ob rechtsanwalt oder hartz IV empfänger, im stadion ist alles vertreten.
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EdHardy22
26.10.2011 | 11:07 Uhr
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EdHardy22 : 
26.10.2011 | 11:07 Uhr
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EdHardy22 : 
Ich hatte befürchtet, dass du nur über die Ausschreitungen im Dresdner Block schreibst, aber da hast du mich positiv überrascht, das werden die Medien noch einige Tage übernehmen. Du hingegen beschreibst das große Ganze und das in deinem gewohnten Stil. Ich kenne niemanden der so schreibt - toll!
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tobzzzzn
27.10.2011 | 21:31 Uhr
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tobzzzzn : 
27.10.2011 | 21:31 Uhr
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tobzzzzn : 
Vielen Dank für eure netten Kommentare

Der gemeine Fan hat sich glücklicherweise nicht in dieses blog verirrt. Ich hatte fast damit gerechnet, dass das bengalische Feuer und die Laserpointer auch hier Einzug halten. :P

Ich wünsch euch schon mal ein spannendes BuLi-Wochenende und weiterhin viel Spaß mit den vielen guten blogs aus der spox- und Sportwelt.
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Josh9
28.10.2011 | 11:15 Uhr
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Josh9 : 
28.10.2011 | 11:15 Uhr
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Josh9 : 
verdammt starkes Teil.

wirklich gut.
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Rheodred
28.10.2011 | 11:53 Uhr
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Rheodred : 
28.10.2011 | 11:53 Uhr
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Rheodred : 
@tobzzzzn:

Für den "gemeinen" Fan ist Dein Blog zum Einen zu lang und zum Anderen zu sachlich.
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3er
28.10.2011 | 12:27 Uhr
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3er : 
28.10.2011 | 12:27 Uhr
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3er : 
Über Stil und Sprache des Blogs kann ich mich meinen Vorrednern nur anschließen...

Den Inhalt sehe ich ein wenig differenzierter, da ich das Gefühl habe, dass er im Sinne eines gepflegten und sprachlich geschliffenen Ausdrucks die angesprochenen Probleme fast verharmlost. So verstehe ich, was du mit der beschriebenen Szene aus dem Dortmunder Stadion meinst, doch dass der gemeine Fan soweit denkt erwarte ich noch nicht mal...
Ich finde es viel erschreckender, dass ein viel zu großer Teil mit dem Erwerb eines Stadiontickets glaubt, für 90 + x Minuten sich nicht benehmen zu müssen. Da werden übelste Beleidigungen gerufen und das nicht nur in den Stehblöcken. Selbst in Familienblöcken schreien Familienväter mit ihren Söhnen an der Hand zum Teil Beschimpfungen in Richtung Platz, die alles aber nicht mehr jugendfrei sind.
Und ein weiteres Problem ist meines Erachtens, dass ein viel zu großer Teil keine, aber wirklich gar keine Ahnung von Fußball hat und wohl grad so weiß, dass der Ball rund ist. Das führt dann dazu, dass ein auflösender Ball aus dem Mittelfeld aus der Bedrängnis heraus zum Torhüter mit Pfiffen begleitet wird und genervtem Stöhnen.
Manchmal hab ich das Gefühl, wenn man am Eingang nur Leute rein lässt, die korrekt die Abseitsregel erklären könnten, dann würde das Stadion zwar nur noch mit einem Drittel besetzt sein, doch dafür würde man von solchen Auswüchsen verschont bleiben...
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tobzzzzn
29.10.2011 | 12:49 Uhr
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tobzzzzn : .., wie wahr
29.10.2011 | 12:49 Uhr
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tobzzzzn : .., wie wahr
@3er

Ich kann dir voll und ganz zustimmen. Das Verhalten in und um Stadien ist erschreckend. Ein Bild bezüglich "Vater-/Sohn-Erlebnis Stadion" hängt mir da auch noch im Kopf. Ein vielleicht fünf Jahre junger Knirps eifert seinem Vater nach, der fast über die gesamte Spielzeit mit Fäkalsprache und erhobenem Mittelfinger all die Aktionen und Geschehnisse auf dem Rasen kommentiert. Der Kleine schaut zu seinem Vater auf und tut es ihm nach. Das hat nichts mit Begeisterung für Sport zu tun, das ist ein Ventil für kleine Männer und Großmäuler.

Dass ich mich nicht auf die tiefsten Abgründe gestürzt habe, ist auch richtig, aber ich wollte hier keine schmutzige Wäsche waschen, sondern mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die dem Großteil der Sportbegeisterten fehlende Emotionalität und Begeisterung vorwerfen. Das ist mir vielleicht nicht ganz gelungen, aber das werden hoffentlich noch Andere nachholen. Dieses Thema sollte nicht abklingen. Es beschäftigt viele uns schließlich allwöchentlich.

Mit der Annahme, dass der Sport mehr und mehr zur Bühne für die gesellschaftliche Mitte und ihre Entertainment-Sucht wird, liegt ihr auch verdammt richtig. Im Stadion erlebt man gerade deshalb eine oft seltsame Stimmung, weil zu viele zu wenig von dem Sport verstehen, den sie verfolgen. Es ist in zu vielen Fällen eine gern genutzte Alternative zu anderen Unterhaltungsformen. Vor allem bei Spielen der Nationalmannschaft fällt das unangenehm drastisch auf, weshalb ich mir keines der DFB-Auswahlspiele im Stadion anschauen könnte.

Vielen Dank für die Feedbacks.
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BartP
29.10.2011 | 12:56 Uhr
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BartP : 
29.10.2011 | 12:56 Uhr
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BartP : 
Jop, Fussballfans sind schon ein schwer erträgliches Pack...

Wenn ich hier anfangen würde meine Meinung zu den von dir angesprochenen Dingen und anderen fanspezifischen Dingen zu schreiben, wäre ich morgen noch dabei...

Klasse Blog!
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