Da sitze ich also an einem Mittwochabend im Büro und ahne nichts Böses. Auf dem einen Fernseher läuft Fußball. WM-Qualifikationsspiel, Deutschland - Aserbaidschan. Muss man sehen, will man nicht sehen. Auf dem zweiten Fernseher läuft Basketball. EM-Krimi Deutschland - Lettland. Muss man sehen, will man sehen, kann man aber kaum ertragen. Mit dem leider nicht vorhandenen dritten Auge werden noch die US Open verfolgt. Kurzum: Es ist ein Abend, der schon dramatisch genug ist.

Doch dann passiert es: Eine News schneit herein. Ein kurzer Blick, da steht es: Lemgo beurlaubt Baur und Stephan. WHAT? Wie oft kann ein Mensch eigentlich nacheinander unfassbar sagen? Ich weiß es nicht, ich kann es hier nur nochmal wiederholen: U-N-F-A-S-S-B-A-R. Es gab vielleicht noch nie eine Trainerentlassung, die so schockierend war und so aus heiterem Himmel kam. Sobald man die Begründung für den Rausschmiss hört, wird es sogar noch schockierender. "Wegen der anhaltenden Durststrecke" sei der Schritt erfolgt, heißt es. Entschuldigung, habe ich etwa was verpasst? Lemgo hat noch kein einziges, ich wiederhole, noch kein einziges Bundesliga-Spiel absolviert.

Natürlich war die Vorbereitung ergebnistechnisch nicht sonderlich erfolgreich, aber wen um alles in der Welt interessieren Ergebnisse in der Vorbereitung. Mich nicht. Ich war beim Trainingslager am Bodensee persönlich vor Ort und konnte mich davon überzeugen, wie hart gearbeitet wurde. Es war Zug im Training, es passte alles. Zugegeben war das Champions-League-Qualifikationsturnier am vergangenen Wochenende ein Desaster. Kein einziger Sieg, nicht mal gegen Schaffhausen, die Mannschaft konnte nicht einmal die Hälfte ihres wahren Leistungsvermögens abrufen. Fehler wurden gemacht, Bälle weggeschmissen, dass es den Verantwortlichen zurecht die Sprache verschlug. Aber: Kein Trainer der Welt hätte da etwas machen können.

Markus Baur ist der Erste, der offen sagt, dass er als Trainer noch einiges zu lernen hat, aber grundsätzlich gibt es keinen Zweifel daran, dass Baur der geborene Trainer ist. Womöglich der zukünftige Bundestrainer und Nachfolger von Heiner Brand. Bis es soweit ist, schien Lemgo die perfekte Situation für Baur. Ein solide und vernünftig geführter Klub in einem ruhigen Umfeld - ein Klub, der auf die deutsche Karte setzt und Visionen hat. Dazu mit Daniel Stephan und Volker Zerbe zwei alte Nationalmannschafts-Kollegen an der Seite, die zusammen mit ihm ein kongeniales Trio bilden und Lemgo in den nächsten Jahren zu einigen Titeln führen wollten. Dass nun ausgerechnet der vernünftige TBV Lemgo zu so einer Kurzschlusshandlung greift, ist nicht zu verstehen und für den deutschen Handball insgesamt schlecht.

Markus Baur wird wieder irgendwo als Coach auftauchen und seinen Weg weitergehen - der Klub, der ihn bekommt, darf sich glücklich schätzen. Ein, zwei gute Siege in der Bundesliga und es wäre wieder alles gut gewesen - gestern Abend wurde der TBV Lemgo kurzzeitig für mich zum TBV Irrsinn.