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04.06.2012 um 19:08 Uhr
Auf dünnem Eis
Der Name Joachim Löw steht für den Aufbruch im deutschen Fußball. Gemeinsam mit seinem damaligen Team-Chef Jürgen Klinsmann führte er die deutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land aus dem Tal der Depression. Nach dem Ausscheiden von Klinsmann und der Beförderung von Löw sind nun fast sechs Jahre vergangen, in der Löw auch die spielerischen Elemente ins deutsche Spiel zurückführte. Auch ohne Titel ist man geneigt zu sagen- Joachim Löws Amtszeit verläuft höchst erfolgreich- ja gerade zu sensationell wenn man in Betracht zieht, wie sehr der Fußballsport die Menschen im eigenen Land wieder in ihren Bann zieht. Doch der 53-jährige Schwarzwälder steht nicht immer außerhalb der öffentlichen Kritik. Derzeit im Fokus: Die Nicht-Berücksichtigung von Mats Hummels, den die meisten Experten deutlich vor dem langverletzten London Legionär Per Mertesacker sehen.

(b)Loyalität über alles


Dabei ist es nichts neues das Löw für Personalentscheidungen kritisiert wird. Es gehört fast schon zur Quintessenz einer Turniervorbereitung. Bei der Heim-WM sorgte das kongeniale Duo Klinsmann & Löw für die Demontage von Oliver Kahn, einen absoluten Leitwolf und Leviten-Leser im deutschen Profifußball. Im Bayerntrikot von den Massen gehasst, aber spätestens seit der WM 2002 im DFB-Dress von vielen verehrt. Ob bei der Entscheidung wirklich die sportlichen Attribute den Unterschied machten, oder ob es sich wie zuvor bei dem Torwart-Trainer Sepp Maier um die Abschiebung eines potenziellen Kritikers im eigenen Team handelte sei dahingestellt.
Kahns Entourage der Leitwölfe hatte in den nächsten Jahren auch unter Löws harter, zynisch behauptet gar despotischer Hand zu leiden. Thorsten Frings wurde auf die Bank gesetzt und aus dem Nationalteam gedrängelt, für die Führungsgestalt Michael Ballack war nach der verletzungsbedingten Absage für die Weltmeisterschaft 2010 ebenfalls das Kapitel National-Elf eher besiegelt als es ihm lieb war. Während alle Entscheidungen trotz des medialen Störfeuers fachlich in Ordnung gehen, bewies Löw bei der Umsetzung deutlich weniger Taktgefühl. Dass Löw mit Phillip Lahm einen sportlich begnadeten und äußerst intelligenten Spieler das Kapitänsamt verlieh überrascht im Nachhinein wenig. Lahm besitz größte Autorität innerhalb der Mannschaft, aber seine Stimme im deutschen Fußball wirkt im Vergleich zu seinen Amts-Vorgängern wirkt eher leise und pubertär. Seine Loyalität, die fast schon freundschaftliche Züge annimmt ist für den Patriarchen Löw von äußerster Wichtigkeit.


System "Erfahrung und Vertrauen"

Doch nicht nur Löws Umgang mit altgedientem Personal gilt als fragwürdig. Auch sein Festhalten an formschwache Akteure sorgt im Vorfeld der großen Turniere immer wieder für ordentlichen Zündstoff. Bei der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz vertraute Löw erneut Jens Lehmann. Obwohl dieser seinem Stammplatz bei Arsenal London verloren hatte und ohne nennenswerte Spielpraxis anreiste. Mit dem trauriger weise verstorbenen Robert Enke und Rene Adler standen zwei hoch veranlagte Torhüter in der Warteschleife, für Löw gänzlich Uninteressant. Dass Lehmann mit einem katastrophalen Patzer gegen die Türkei beinahe den Finaleinzug verspielte blieb in der Euphorie um den Finaleinzug eher unbemerkt.

Auch bei der Weltmeisterschaft in Südafrika zwei Jahre später ging Joachim Löw ein hohes Risiko ein. Er vertraute auf den Bayern-Bankdrücker Miroslav Klose und dem Kölner Volksheld Lukas Podolski. Während Klose ein müdes Dasein auf der Reservebank fristete, konnte Podolski gerade einmal sechs Scorerpunkte für den FC verbuchen. Doch Löw hatte keine andere Wahl- bei der damals vergleichsweise dünnen Personaldecke musste er den beiden bewährten Kräften vertrauen. Beide Problemprofis enttäuschten Löw nicht und lieferten das dritte Starke internationale Turnier hintereinander ab.

Vertrauen ist auch das Stichwort wenn es um die Personalie Per Mertesacker geht. Der langjährige Bremer erfüllte sich zu Beginn der letzten Saison einen Lebenstraum- den Wechsel in die englische Premier-League. Doch mit einem Traum hatte diese Zeit eher wenig zu tun. Katastrophale Fehler in den ersten Spielen, die Gefährdung seines Stammplatzes bei Arsenal London und schließlich seine schwere Knöchelverletzung machten fast einer Haken hinter der verkorksten Saison. Zeitgleich absolvierte Mats Hummels die zweite überragende Saison hintereinander auf nationaler Ebene ab. Kein Verteidiger war nach Medien- und Experteneinschätzungen stärker in der abgelaufenen Saison als der frischgebackene Meister und Pokalsieger. Sportlich sind Hummels ebenso wie Badstuber „Merte" längst voraus und auf einer höheren qualitativen Ebene anzusiedeln. Doch Löw wird auch vorerst bei der kommenden Europameisterschaft seinen auf Erfahrung & Vertrauen fundamentierten Prinzipien vertrauen.

Ein Risiko bleibt

Für Löw zählen nicht Leistungsbilanzen und bloße Statistiken. Per Mertesacker absolvierte bislang drei große Turniere für die DFB-Elf, bei denen die deutsche Nationalmannschaft immer mindestens das Halbfinale erreichen konnte. Hummels kann diese Erfahrungswerte nicht vorweisen, was ihm höchst wahrscheinlich zum Verhängnis wird. Der Leistungsgedanke steht nicht im Vordergrund- ein System was bisher durchaus Erfolg verzeichnen konnte. Jedenfalls ist es der falsche Weg, Per Mertesacker, der lange als tapferer Abwehrchef die deutsche Mannschaft mit in den Aufschwung führte, jegliches Leistungsvermögen vorab abzusprechen.

Doch ist dieses Vorgehen auch dieses Jahr mit Vorsicht zu genießen. Anders als in den letzten Jahren landete Deutschland in einer titulierten Hammergruppe- Zeit für eine genügende Findungsphase innerhalb der Mannschaft bleibt nicht. In den Vorbereitungsspielen konnte die deutsche Mannschaft noch nicht überzeugen, was vor allem auch an der Formschwäche der offensiven Quadriga liegen könnte. Mesut Özil, Pass-Koryphäe beim weißen Ballett aus Madrid steht über jeden Zweifel erhaben. Thomas Müller, bei den Bayerns ins zweite Glied verbannt zeigte sich gegen Israel verbessert, doch Sorgen machen erneut auch Klose und Podolski. Die noch nicht an Ihre Form aus der magischen Novembernacht von Hamburg beim 3:0 gegenüber der Niederlande anknüpfen können. Doch stellt sich auch hier nicht für Löw die Frage personelle Umstrukturierungen zu tätigen, denn im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ist genügend Offensive Schlagkraft in der Hinterhand vorhanden. Joachim Löw hat dem deutschen Fußball ein neues Gesicht gegeben, einen neuen Feingeist verliehen. Doch wie reagiert Fußballdeutschland, wenn das System Erfahrung nicht den erhofften Erfolg bringt.


Danke für eure Aufmerksamkeit


Kommentare und Kritik erwünscht.

RG/GR mache ich Morgen in aller Ruhe
Aufrufe: 19932 | Kommentare: 142 | Bewertungen: 35 | Erstellt:04.06.2012
ø 5.1
EM  |Deutschland  |Löw  |
KOMMENTARE
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JessHarper
05.06.2012 | 20:09 Uhr
0
-3
JessHarper : Erfahrung
05.06.2012 | 20:09 Uhr
-3
JessHarper : Erfahrung
Herrn Löw geht es ja um Erfahrung. Etwas anderes hört man fast nicht mehr.
Was ihm noch fehlt ist die Erfahrung mal nach der Vorrunde nach Hause zu fahren. Mich würde es freuen.
0
Nietzscheaner
05.06.2012 | 22:23 Uhr
0
-1
05.06.2012 | 22:23 Uhr
-1
Tatsächlich kann man sich des Eindrucks nicht vollständig erwehren, dass sich diese ganze Debatte am ehesten an der Frage: " Hummels oder Mertesacker?" entzündet hat, die in der Tat diskutabel ist. Mir erscheint es an dieser Stelle allerdings im Sinne von Erkenntnisgewinn wenig zielführend zu sein, zum wiederholten Male das Für und Wider für den einen oder anderen Spieler mit den immer gleichen Argumentationsformen (Internationale Erfahrung, Leistungen in der Nationalmannschaft, ...) zu erörtern. Die wesentliche andere Frage ist aber -gerade im Hinblick auf Sinn und Unsinn von Aussagen von Löw oder anderen Funktionären - die nach der Deutungshoheit. Und im Falle von sportlichen Frage der Nationalmannschaft obliegt sie ausschließlich Joachim Löw. Das macht seine Entscheidungen und Aussagen inhaltlich zwar nicht unkritisierbar - ganz im Gegenteil; denn ein kritisch geführter Diskurs ist im Zweifelsfalle immer positiv anzusehen. Wenn er also sagt, dass er deshalb die BVB-Spieler nicht so bevorzuge, weil man nicht gegen Nürnberg oder Hoffenheim spiele, soll damit sicher nicht die fußballerische Kompetenz der Dortmunder bezweifelt werden - sondern jene Vereine fungieren nur als partes pro tot für "fehlendes internationales Niveau". Ob das mit dem internationeln Niveau tatsächlich so ausschlaggebend und virulent ist, wie Löw sagt, kann gerne diskutiert werden. Entfernen sollte man sich aber von jener künstlichen Aufregung und Betroffenheitssymptomatik, nach der es eine Unverschämtheit wäre,sich als Bundestrainer so "negativ" über deutsche Vereine zu äußern. Fürwahr, für die Fans und Offiziellen dieser Vereine mag das keine schöne Aussage gewesen sein, allerdings spielen Nürnberg und Hoffenheim tatsächlich nicht jedes Jahr um Europas Krone...
Wenn man ein gewisses Niveau hat, kann man solche Beurteilungen auch abgeben ohne dass man sich nach einem etwaigen Aufschrei entschuldigen müsse. Für Kritik an der Art dieser Aussage sollten die Ohren also mit Recht taub bleiben.
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