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08.02.2013 um 18:06 Uhr
"Zurück ins alte Leben? Niemals"
Es sieht nach einem guten Durchgang aus. Drei Hindernisse trennen Hanne Brenner noch vom Ziel. Doch vor einem Tiefsprung im Waldabschnitt beginnt ihr Pferd plötzlich zu zögern. Was nun? Brenner fordert es dennoch zum Sprung auf. Ein großer Fehler. Das Tier bleibt mit den Vorderbeinen hängen, überschlägt sich und begräbt seine Reiterin unter sich. Schnell bestätigt sich der erste Verdacht: Brenner ist inkomplett querschnittsgelähmt.

27 Jahre sind seit dem Unfall vergangen. Erinnern kann sich die heute 49-Jährige aber noch ganz genau an den Tag. "Direkt nach dem Unfall hatte ich damals einen Bekannten, der mir gesagt hat, das sähe aus wie eine Querschnittslähmung. Ich hatte also Zeit darüber nachzudenken. Das ganze Ausmaß wurde mir aber erst nach Monaten bewusst. Manche Dinge konnte ich gar erst nach Jahren realisieren und akzeptieren."

Eines hingegen war Brenner schnell klar: "Ich wollte unbedingt wieder reiten. Es gab da keinen Vertrauensverlust. Der Unfall war mein Fehler, das Pferd eigentlich nur gehorsam." Schon während der Reha nutzte sie die freien Wochenenden, um wieder zu reiten. Doch ganz so, wie es sich Brenner vorgestellt hatte, klappte das nicht. "Es war doch ziemlich frustrierend. Ich hatte Probleme. Zum Beispiel beim Aufsteigen und bei der Einwirkung auf das Pferd."

Auf die Chemie kommt es an
Die Lust ließ nach. Brenner wollte Abstand vom Reitsport. Nur ab und zu ritt sie hobbymäßig das Pferd einer Freundin mit. "Mein erstes eigenes Pferd habe ich mir dann zehn Jahre später gekauft. Erst da habe ich akzeptiert, dass das ein neuer Körper und ein neues Reiten ist."

Neu war für Brenner auch die Möglichkeit, kompensatorische Hilfsmittel nutzen zu können. "Damit kann man die Behinderung etwas ausgleichen. Bei mir sind das Spezialsteigbügel, die ich nicht verlieren kann, weil sie fest am Fuß sitzen." Ansonsten kommt Brenner vollständig ohne technische Unterstützung aus. "Ein Pferd braucht gar nicht so viel Druck, wie ich mir vorher immer gedacht hatte." Früher sei ihr Reiten viel technischer gewesen. "Ich arbeite heute mehr mit Intuition und suche das Miteinander mit dem Pferd. Das macht für mich auch das Reiten aus: In vollständiger Harmonie mit dem Tier zu sein."

Tatsächlich schien die Chemie in den letzten Jahren zu stimmen. Spätestens seit ihrem Weltmeistertitel 1999 gehört die Rheinländerin zur absoluten Weltspitze. Mehrere Europameistertitel, Goldmedaillen bei Paralympischen Spielen und zahlreiche deutsche Meisterschaften folgten. Gleich zweimal wurde sie mit dem Silbernen Loorbeerblatt ausgezeichnet.

Behinderte tragen die Verantwortung
Auf eines konnte sich Brenner dabei zuletzt immer verlassen: Die Rückendeckung ihres Arbeitgebers. Seit 2009 arbeitet sie bei Lotto Rheinland-Pfalz in Mainz. Dank Sportförderung und eines Sponsors muss Brenner dort nur halbtags arbeiten. "Mir ist das wichtig. Ich arbeite sehr gerne. Daher ist es toll, einen Arbeitgeber zu haben, der einem so etwas ermöglicht." Mit großen Problemen oder gar Vorurteilen hat sie wegen ihrer Behinderung nicht zu kämpfen.

Brenner fühlt sich heute vollständig in die Gesellschaft integriert. "Wenn man zielstrebig ist und seine Ziele verfolgt, spielt es heute einfach keine Rolle mehr, ob man behindert ist, oder nicht. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir die Behinderung beim Erreichen meiner Ziele im Weg steht." Die Integration von Behinderten betrachtet sie ohnehin als Aufgabe der Betroffenen: "Das ist unsere Verantwortung. Wenn wir mit unserem Handicap normal umgehen, tut dies auch unsere Umwelt."

Ein unerreichbarer Traum?
Auch mit Blick auf den Sport sieht Brenner eine positive Entwicklung. "Die Übertragungszeit der Paralympics in London war fast dreimal so lang, wie vier Jahre zuvor in Peking. Das ist doch super. Wir haben was die Anerkennung des Behindertensports angeht aber immernoch einen weiten Weg vor uns."

"Ich träume davon, dass es irgendwann tatsächlich keinen Unterschied mehr gibt. Dass man den Menschen und den Sport, den er ausübt, sieht und nicht die Behinderung. In meiner Lebenszeit ist das vermutlich nicht mehr zu erreichen, aber vielleicht wird das irgendwann so sein."

Persönlich waren die Spiele im letzten Jahr für Brenner auch wie ein Traum. Gleich zweimal ritt sie auf ihrem Pferd 'Women of the World' zu Gold. "England ist eine Reitnation. Wir haben dort einmalige Spiele erlebt. London war ein unbeschreibliches Erlebnis."

"Mein Leben ist viel reicher geworden"
Ein Erlebnis, dass die Power-Frau ihrem unbändigen Willen, aber auch ihrer Behinderung selbst zu verdanken hat. Denn ohne ihren Unfall vor 27 Jahren wäre sie in London mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht dabei gewesen.

"Durch die Behinderung haben sich ganz neue Wege aufgetan. Um im Profisport international zu starten, brauchst du extrem teure Pferde. Das ist im Behindertensport noch ein bisschen anders", bestätigt sie selbst.

Hanne Brenner kann sich gar kein Leben ohne Behinderung mehr vorstellen. "Wenn die Möglichkeit bestünde in mein altes Leben zurück zu kehren, würde ich das nicht machen. Ganz bestimmt nicht. Mein Leben ist durch die Behinderung viel reicher geworden."

* Die O-Töne stammen aus einem vor einigen Tagen geführten Telefonat mit Hanne Brenner
Aufrufe: 2868 | Kommentare: 3 | Bewertungen: 2 | Erstellt:08.02.2013
ø 10.0
KOMMENTARE
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Voegi
MODERATOR
08.02.2013 | 18:54 Uhr
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Voegi : 
08.02.2013 | 18:54 Uhr
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Voegi : 
toller text.
und sehr beeindruckende geschichte.
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Fabian_Swidrak
08.02.2013 | 20:00 Uhr
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08.02.2013 | 20:00 Uhr
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Danke Voegi!
Sie hat wirklich noch deutlich mehr interessante Sachen erzählt. Aber das würde den Rahmen eines Blogs hier sprengen
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Schnumbi
08.02.2013 | 22:31 Uhr
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Schnumbi : 
08.02.2013 | 22:31 Uhr
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Schnumbi : 
Ganz Klasse Blog und ich weiß wovon Hanne spricht. Auch ich habe noch heute immer den Traum von Paralympics, nur leider habe ich für mich noch nie die passende Sportart gefunden.

recht vielen Dank
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