Biathletin Magdalena Neuner und Skispringer Sven Hannawald sind echte Legenden des Wintersports. Vor den Olympischen Spielen in Peking spricht das Duo über den Hype, den sie zu ihrer aktiven Karriere erlebt haben - und der sogar zu heftigen Stalking-Vorfällen führte.
Außerdem erzählen Neuner und Hannawald im Interview mit dem Magazin Peking.22 von Ihrem heutigen Leben und stimmen Felix Neureuther bei dessen Sorgen um den Klimawandel zu.
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Frau Neuner, was bedeuten Ihnen rückblickend die Spiele in Vancouver?
Magdalena Neuner: Ich habe ja 2010 in meinem allerersten olympischen Wettkampf im Sprint Silber gewonnen. Und obwohl ich nur ganz knapp am Sieg vorbeigeschrammt bin, war das für mich schon so etwas wie eine kleine Goldmedaille. Am nächsten Tag habe ich dann die Verfolgung gewonnen. Es gibt da ein schönes Foto von mir, wie ich mit den Händen vor dem Gesicht durchs Ziel laufe, weil ich gar nicht fassen kann, dass ich es jetzt wirklich geschafft habe, ganz oben zu stehen. Dieses Gefühl kann man kaum beschreiben. Ich glaube, man muss es erlebt haben. Man hat so lange dafür gearbeitet. Der ganze Druck fällt von einem ab. Der allergrößte Traum in sportlicher Hinsicht geht in Erfüllung. Manche haben mich gefragt, ob dieses Gefühl vergleichbar ist mit dem, wenn man ein Kind kriegt. Aber das kann und sollte man nicht miteinander vergleichen.
Wie war die Siegerehrung?
Neuner: Es gibt ja zunächst diese kleine Siegerehrung im Stadion, die flower ceremony - da bekommt man nur die Blumen. Ich fand sie fast emotionaler, weil meine Eltern im Stadion waren. Ich habe gesehen, wie meine Mama Tränen in den Augen hatte. Das war fast schöner als die eigentliche Siegerehrung am Abend. Wir mussten wahnsinnig früh da sein. Ich hatte kaum Zeit, mich umzuziehen, hatte noch gar nichts gegessen, saß aber zwei Stunden vorher in einem Aufenthaltsraum. Ich habe da noch rumtelefoniert, um meinen Eltern Karten zu besorgen, leider vergebens. Das fand ich sehr schade. Wobei der Klang unserer Nationalhymne natürlich der Wahnsinn war.
Sven Hannawald: Bei mir war es ähnlich: Wir haben im Team ja nur mit einem Zehntelpunkt Vorsprung gewonnen, dem kleinstmöglichen Abstand. Direkt nach dem Wettkampf fällt das ganze Adrenalin von dir ab, dieser eine Moment war spektakulär. Vorher hatte ich von der Normalchance den Sieg knapp verpasst. Aber ich wusste, dass das Gold im Team noch schöner sein würde. Diese totale Euphorie war bei der Siegerehrung dann etwas gedämpfter. Aber es ist realer, und du realisierst: Du hast es geschafft, du bist am Ziel. Mega!
Frau Neuner, Sie hätten Ihre Olympia-Bilanz auch noch mit einer Staffel-Medaille krönen können. Aber sie haben auf einen Start verzichtet, was damals Experten wie Zuschauer völlig überrascht hat.
Neuner: Ja, das ist eine sehr schwierige Geschichte, weil diese Entscheidung eben nicht so ganz von mir alleine getroffen wurde. Ich musste sie zwar verkünden, das stimmt. Ich wäre gerne Staffel gelaufen. Aber es war damals schwierig in unserem Biathlon-Team. Es gab Athletinnen, die hatten keine Medaille, ich schon drei. Da wurde mir ans Herz gelegt, anderen den Vortritt zu lassen.
Neuner: "Ich habe gespürt, dass ich keinen Rückhalt habe"
Aber die Entscheidung lag bei Ihnen ...
Neuner: Ja, wenn ich gesagt hätte, ich möchte laufen, dann wäre ich auch gelaufen. Aber ich habe gespürt, dass ich keinen Rückhalt habe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich in der Staffel gewünscht bin. Und ich wusste, dass es in der Staffel darum geht, gemeinsam zu kämpfen. Und wenn dieser Geist nicht da ist, ist es schwierig. Wobei ich Martina (Beck, d. Red.), die dann gelaufen ist, die Bronzemedaille von Herzen gönne, weil sie eine ganz liebe Freundin ist. Und dennoch muss ich ab und an daran denken, dass ich halt nie Staffel bei Olympischen Spielen gelaufen bin, obwohl ich mit Abstand die Stärkste im Team war. Das tat mir schon sehr weh. Ganz bitter war das Spießrutenlaufen gegenüber den Reportern, weil alle Journalisten ja wissen wollten, warum ich nicht starte. Da musste ich dann nach Erklärungen suchen. Mittlerweile traue ich mich zu sagen, wie es in Wirklichkeit war.
Hannawald: Deine Entscheidung zu verzichten, war richtig. Du brauchst in solchen Momenten das absolute Vertrauen im Team. Wenn du dich dennoch durchboxt, musst du unbedingt funktionieren. Dieser Druck ist zu groß.
Neuner: Das stimmt. Ab dem Zeitpunkt, als ich gespürt habe, dass mir die Rückendeckung im Team fehlt, wäre es mir sehr schwergefallen, einen richtig guten Wettkampf zu machen. Das hätte ich immer im Hinterkopf gehabt.
Herr Hannawald, 2001/02 haben Sie als erster Sportler alle vier Springen der Vierschanzentournee gewonnen. Ist dieser Erfolg für Sie wertvoller als der Olympiasieg?
Hannawald: Ja, die Tournee wird für mich immer an allererster Stelle stehen. Sicher, die Spiele sind alle vier Jahre, Weltmeisterschaften alle zwei Jahre. Die Tournee findet jedes Jahr statt. Am Ende geht es aber bei Olympia und Weltmeisterschaften um Tages-Erfolge. Es gibt dort glückliche Sieger, weil der Favorit einen schlechten Tag hatte. Bei der Tournee muss man sich über zehn Tage zusammenreißen, weil jedes Springen zählt. Deshalb war dieser Sieg das Größte, was ich in meiner Karriere erreicht habe. Nichtsdestotrotz hat mich Olympia stolz gemacht. Ich durfte miterleben, wie Olympia für die große Sportfamilie steht. Ich habe Bob-Sportler kennengelernt, wo man gar nicht glauben konnte, dass so viel Muskulatur um ein Skelett rumgeht.
Was waren die ersten olympischen Momente vor dem Fernseher, an die Sie sich erinnern?
Neuner: Das weiß ich noch ganz genau: Es war mein elfter Geburtstag, also der 9. Februar 1998. An diesem Tag durfte ich ganz früh morgens vor der Schule die Spiele in Nagano gucken. Meine Mama hatte mir einen Geburtstagskuchen gebacken. Uschi Disl lief im Einzelrennen zur Bronzemedaille, wir haben uns so gefreut. Und an diesem Tag habe ich gedacht: Da möchte ich auch mal hin. Seitdem hat für mich Olympia etwas Magisches.
Hannawald: Bei mir waren es die Spiele in Calgary 1988, da war ich 13 Jahre alt. Damals liebten alle "Eddie the Eagle". Der britische Skispringer Michael Edwards kam aus einem Land, in dem man kaum weiß, wie man Skispringen schreibt. Und obwohl er gar nicht die körperlichen Voraussetzungen hatte, wollte er unbedingt bei Olympia springen. Dieser Gedanke hat mich fasziniert.
Wo bewahren Sie Ihre Medaillen auf?
Neuner: In einem Schließfach in einer Bank. Das ist für mich praktisch, wenn ich sie zum Beispiel für ein Fotoshooting oder einen TV-Film brauche, kann ich sie mir dort schnell holen. Diese Medaillen kann man nur sehr schwer versichern. Die haben keinen hohen materiellen Wert, aber einen sehr, sehr hohen ideellen. Und die Vancouver-Medaillen kann man nicht mehr reproduzieren. Die wurden ja aus einem Kunstwerk herausgestanzt, jede Medaille ist ein Unikat.
Haben Sie die Ihren Kindern schon gezeigt?
Neuner: Nein, diese Medaillen noch nicht. Unsere größeren Kinder sind jetzt fünf und sieben Jahre alt, die haben daran kein großes Interesse. Sie wissen natürlich, dass ich Biathlon gemacht habe, die Gesamt-Weltcup-Kugel und die Auszeichnungen für die Sportlerin des Jahres stehen hier in meinem Arbeitszimmer. Vor kurzem habe ich mal ein bisschen ausgemistet und eine Riesenschachtel mit Medaillen gefunden. Irgendwann hat die mein Sohn gefunden, sich 20 Stück um den Hals gehängt und gesagt: "Mama, schau mal!" Aber das ist bei uns kein großes Thema.
Hannawald: Ich verrate öffentlich nie, wo meine Medaillen sind. Das ist mir zu riskant. Ich will nicht, dass jemand auf dumme Gedanken kommt. Wenn diese Medaillen gestohlen würden, wäre ich sehr traurig. An ihnen hängen so viele Erinnerungen.
Hannawald: "Ich bin im normalen Leben angekommen"
Blättern Sie gern noch in alten Zeitungsartikeln über Ihre Erfolge?
Neuner: Ich habe ganz hinten im Schrank ganz viele Ordner und auch Kisten mit CDs mit Fotos, die Leute für mich gesammelt haben. Oder Zeitungen und Zeitschriften, wo ich auf einer Titelseite war. Aber ich mag es nicht so gern anschauen, komischerweise. Bei vielen Artikeln ist es so, dass sie nicht immer zu 100 Prozent das wiedergeben, was man selber in dem Moment empfunden hat. Da tue ich mich schwer. Nur bestimmte Magazine, wo ich sage, da steht ein besonders schönes Interview drin, schaue ich mir hin und wieder mal an.
Hannawald: Das ist bei mir ähnlich. Wenn man sich diese Berichte oft anschauen würde, wäre es ein Zeichen, dass man vielleicht irgendwas vermisst. Und das ist bei mir definitiv nicht der Fall. Ich habe Berichte über mich eher beiläufig gesammelt, nie irgendetwas nachgelesen. Wenn mir vielleicht irgendwas vor die Füße fällt oder ich wieder eine Kiste von A nach B räume, kann es sein, dass ich mal nachschlage, was denn geschrieben wurde. Aber meine heutigen Aufgaben sind einfach andere. Ich bin im normalen Leben angekommen.
Neuner: Ich habe meine eigenen Erinnerungen an eine wahnsinnig schöne Karriere. Dazu zählen auch Dinge im kleinen privaten Kreis, die niemand mitbekommen hat. Ich habe einfach ein total schönes, positives Gefühl, wenn ich an meine Sportkarriere denke. Vielleicht auch, weil ich dann aufgehört habe, als es mir immer noch sehr viel Spaß gemacht hat. Mit drei Kindern habe ich ein ganz anderes Leben. Zu 98 Prozent dreht sich alles irgendwie um die Kinder. Vormittags habe ich hier noch ein ganz kleines Baby, mittags mache ich mit dem Ältesten Hausaufgaben, mit dem Fünfjährigen baue ich Puzzle. Und dann gibt es ja noch einen Mann, der mittags gern bekocht wird. (lacht)
Haben Sie irgendwann mal Ihren sehr frühen Rücktritt mit gerade 25 Jahren bereut?
Neuner: Nein, wirklich kein einziges Mal. Ich weiß, dass die Fans das nicht gerne hören. Aber es ist so. Wenn ich als Expertin in den vergangenen Jahren bei einem Rennen war, habe ich zwar manchmal an der Strecke überlegt, wie sich das anfühlen muss, jetzt zu laufen. Aber ich wusste in dem Moment auch genau, was es bedeutet, dorthin zu kommen. Wie viel Arbeit dahintersteckt. Wie viel Entbehrung. Wie viel Energie. Ich war mit 25 Jahren wirklich am Limit, wusste, da ist nicht mehr so viel Luft nach oben. Ich habe wirklich viel trainiert. Das habe ich auch bei meiner letzten WM 2012 in Ruhpolding gemerkt. Ich war einfach nur noch kaputt. Und auch jetzt im Nachhinein sagt mein Physiotherapeut immer wieder: "Du hast die richtige Entscheidung getroffen, wenn es um deinen Körper und um deine Gesundheit geht, weil man sich schon ganz schön verausgabt in so einer Sportart." Sie dürfen ja nicht vergessen: Ich habe ja schon als Sechsjährige mit Langlauf angefangen, drei Jahre später mit Biathlon.
Herr Hannawald, Sie haben die Saison 2003/04 vorzeitig abgebrochen, weil Sie nicht mehr an frühere Leistungen anknüpfen konnten. Im April 2004 wurde dann bekannt, dass Sie sich in eine Burnout-Klinik begeben haben. Gab es anschließend Pläne für ein Comeback?
Hannawald: Ja, aber dann hat mir mein Körper das Signal gesendet, dass es nicht mehr funktioniert. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich hörte dann aber auf mein Innerstes. Loszulassen vom Skispringen war eine sehr schwere Entscheidung. Aber es machte keinen Sinn mehr.
Bei den Spielen in Turin 2006 sollten Sie als Experte für die ARD arbeiten.
Hannawald: Ich war fest eingeplant im Team. Aber ich habe dann abgesagt, weil ich einfach nicht damit klarkam, an der Schanze zu stehen und zu sehen, wie andere springen.
Stattdessen sind Sie in den Motorsport gewechselt, der ehemalige Formel-1-Pilot Heinz-Harald Frentzen wurde sogar Ihr Teamkollege. Haben Sie diesen Reiz damals gebraucht?
Hannawald: Ja, beide Sportarten verbindet, dass es krachen kann, wenn man nicht aufpasst. Wenn du zu weit springst oder zu schnell fährst. Durch den Motorsport habe ich mich so weit vom Skispringen gelöst, dass ich wieder darüber reden konnte. Jetzt freue ich mich auf jede neue Saison, die ich als Experte begleiten darf. Ich genieße jeden deutschen Erfolg. Und wenn wir dann bei der Tournee sind oder bei Olympischen Spielen, erinnere ich mich, wie es für mich war. Aber ich sehe mich selber nicht mehr in dem aktuellen Film. Das ist das Entscheidende.
Sie beide gehören noch immer zu den bekanntesten deutschen Sportstars. Wie gehen Sie mit ihrer Popularität um?
Neuner: Jede Medaille hat eine Sonnen- und eine Schattenseite. Ich habe viele, viele Menschen getroffen, die mich wirklich lieben. Und noch immer sagen mir wildfremde Leute, dass ich ihnen so viele schöne Momente beschert habe. Aber es gibt Menschen, die es nicht gut meinen. Die einen angreifen, verbal, vielleicht sogar körperlich. Ich hatte zwei relativ heftige Stalking-Fälle, auch mit Polizeieinsatz bei mir zu Hause, die in Gerichtsverhandlungen mündeten. Das war ganz schlimm. Ich wünsche wirklich niemandem, jahrelang verfolgt zu werden und nicht mehr abends aus dem Haus gehen zu können, weil man so Angst hat. Das ist eben die Schattenseite, und ich glaube, die erleben leider viele prominente Menschen. Ich habe mit einem Psychotherapeuten und Mentaltrainer zusammengearbeitet, der mich auch im Sport sehr erfolgreich gemacht hat und mir sehr geholfen hat. Gott sei Dank konnte ich das alles für mich ablegen. Die positive Seite überwiegt definitiv. Wobei ich schon merke, dass ich das für mich und meine Familie immer weniger mag. Ich glaube, ich bin nicht dafür gemacht, prominent zu sein.
Haben Sie auch deshalb den Namen Ihres Mannes Holzer als Familiennamen angenommen?
Neuner: Ich habe ja gleich nach meiner aktiven Zeit meine Jugendliebe geheiratet. Da haben schon auch manche gesagt: Bist du verrückt? Der Name Neuner ist doch auch deine Marke. Aber sie ist ja geblieben. In meinem Ausweis ist Neuner als Künstlername eingetragen. Wenn die Schule oder der Kindergarten anrufen oder es um einen privaten Termin geht, bin ich einfach Frau Holzer. Da sind die Leute viel neutraler zu mir. Und bei beruflichen Dingen bin ich Frau Neuner, das Umschalten fällt mir leicht.
Neuner: "Das hat mich wahnsinnig gestresst"
Zu Ihrer aktiven Zeit glich das Haus in Wallgau, in dem Sie mit Ihrer Oma gewohnt haben, einem regelrechten Wallfahrtsort.
Neuner: Ich habe damals vormittags und nachmittags trainiert. Mittags wollte ich mich kurz hinlegen, aber ständig hat es geschellt. Und meine Oma, weil sie halt einfach ein so gutmütiger Mensch ist, hat immer aufgemacht und gesagt: "Warten Sie kurz, ich hol sie runter." Das hat mich wahnsinnig gestresst. Ich hatte das Gefühl, dass ich überhaupt kein Privatleben mehr hatte. Manchmal standen ganze Reisebusse vor unserer Tür. Ich habe dann ein höfliches Schild ans Gartentor gehängt und geschrieben: "Bitte sehen Sie davon ab, zu klingeln und Autogramme zu verlangen. Schicken Sie mir doch bitte einen Brief."
Hannawald: Das Problem kenne ich auch. Ich habe früher auch noch Autogramme vor meiner Haustür geschrieben. Aber das war irgendwann nicht mehr machbar. Also habe ich mir nach Wettkämpfen die Zeit genommen, bis gefühlt jeder im Stadion ein Autogramm hatte.
Was würden Sie einem Nachwuchs-Springer oder einer Nachwuchs-Biathletin raten?
Hannawald: Ich würde ihm raten, dass er versuchen soll, bei allem Erfolgsdruck, der kommen wird, den Spaß an seinem Sport nicht zu verlieren. Und dass er sich professionelle Hilfe suchen soll, wenn psychische Probleme kommen. Am Anfang denkt man, es geht bestimmt wieder von selbst weg. Aber das tut es eben nicht, wie mein Fall gezeigt hat. Zum Glück gibt es immer mehr Sportlerinnen und Sportler, die sich öffnen.
Neuner: Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin damals ja völlig naiv eingestiegen. Ich dachte, das läuft so wie im Deutschland-Cup. Ich komme ja aus einem kleinen Dorf in Bayern, bin total behütet aufgewachsen. Und dann war ich beim ersten Weltcup in Ruhpolding und völlig von den Socken, was da los ist. Die ganzen Zuschauer, die Dopingkontrollen, die Medien. Das ist ein hartes Geschäft. Und dennoch würde ich jedem raten, bei sich zu bleiben und auch mal "Nein" zu sagen, auch wenn es um viel Geld geht. Ich war damals auch am Rande des Burnouts, mein Mentaltrainer hat mich wieder in die Spur gebracht. Damals wurde ich dafür belächelt. Doch er war der Schlüssel dafür, dass ich am Ende so erfolgreich war. Der Druck ist so groß.
Herr Hannawald, Sie sind immer wieder umgezogen. Noch als Kind in die Kinder- und Sportschule Klingenthal, mit 15 dann in ein Ski-Internat im Schwarzwald, es folgten Stationen in Berlin und München, wo Sie nun mit Ihrer Familie leben. Was bedeutet Heimat für Sie?
Hannawald: Ja, ich musste immer wieder anfangen. Durch den frühen Wechsel in die Kinder- und Jugendsportschule musste ich mich früh daran gewöhnen. Schön ist das nicht. Es ist schwer, Beziehungen oder ein Familienleben zu führen. Meine Familie war die Skisprung-Familie, so gesehen bin ich nur räumlich umgezogen.
Ist München jetzt für Sie Heimat?
Hannawald: Es ist mein Rückzugsort - und liegt sehr zentral. Wenn ich weiter im Schwarzwald wohnen würde, hätte ich den einen oder anderen Reisetag mehr. Ich habe auch ein paar Jahre in Berlin gelebt. Aber wenn ich dann in der Tagesschau im Wetterbericht gesehen habe, dass im Süden die Sonne scheint, während es in der Hauptstadt wieder regnete, bin ich fast durchgedreht. Inzwischen ist mir das Wetter völlig egal, die Nähe zu den Bergen gefällt mir sehr. Aber Heimat? Dafür war ich nie so richtig mit einem Ort verbunden. In München kann ich einfach das Berufliche mit dem Familienleben am besten verbinden.
Frau Neuner, bei Ihnen heißt es wohl: Einmal Wallgau, immer Wallgau ...
Neuner: Ja, Wallgau ist für mich die Heimat meiner Familie. Und ich bin ein Familienmensch. Auch für mich gab es Optionen, auf ein Sportinternat zu wechseln oder später zur Bundespolizei nach Bad Endorf zu gehen. Aber zum Erfolgreichsein gehört das Sich-Wohlfühlen. So wie es war, war es für mich perfekt. Ich hatte auf der einen Seite den Leistungssport, der überall auf der Welt stattgefunden hat. Und auf der anderen Seite Wallgau als festen Punkt, wo ich immer gern zurückgekommen bin. Hier leben meine Familie, meine Freunde. Und natürlich mein Mann, den kenne ich ja auch schon seit 34 Jahren. Und wir leben natürlich hier auch sehr privilegiert. Mitten in den Bergen, 20 Autominuten sind es zum Skifahren nach Garmisch und genauso lange nach Seefeld. Ich habe die Langlaufloipe direkt vor der Haustür. Ein Traum!
Kommen Sie noch zum Skifahren?
Neuner: Vergangenen Winter war ich mit Babybauch mit den Kindern viel Langlaufen. Ich habe mir für diesen Winter vorgenommen, dass ich den Kleinen mal vormittags eine Stunde bei meiner Mama lasse, um Langlaufen zu gehen. Vormittags sind die beiden Größeren ja in der Schule oder im Kindergarten. Das brauche ich einfach. Sie könnten mich nachts um ein Uhr wecken: Ich würde mir die Langlaufski anschnallen - und es würde sich gut anfühlen.
Herr Hannawald, wie ist das bei Ihnen?
Hannawald: Aktuell eher weniger. Ich hoffe aber, dass sich das wieder ändert.
Werden Sie die Spiele für die ARD vor Ort begleiten?
Hannawald: Nein, wir machen das aus Mainz. Alles andere wäre zu aufwändig. Und es reizt mich auch nicht so. Die Corona-Richtlinien in Peking sind so streng, dass wir uns dort abseits der Schanze vor allem auf dem Zimmer aufhalten müssten. Da ist überall die Handbremse drin, alles ist reglementiert. Das sind nicht die Spiele, wie ich sie kennengelernt habe, wo man Athleten aus aller Welt trifft.
Hannawald: "Es geht zu viel ums Geld"
Frau Neuner, Sie pausieren derzeit als Expertin?
Neuner: Ja, ich habe schon am Ende der vergangenen Saison gesagt, dass ich jetzt auf jeden Fall dieses Jahr aussetzen werde. Arnd Peiffer hat jetzt meinen Job übernommen. Der macht das sehr gut. Sein Vorteil ist, dass er ja erst vor kurzem aufgehört hat. Der ist viel näher dran am Team.
Deutsche Olympia-Bewerbungen sind in den vergangenen Jahren gescheitert. Auch in anderen westlichen Ländern formiert sich Widerstand gegen eine Gastgeber-Rolle. Warum tut sich die olympische Idee so schwer?
Hannawald: Viele spüren, dass der Kommerz mehr und mehr dominiert, es geht zu viel ums Geld. Umso mehr freue ich mich, dass die nächsten Spiele in Paris und die nächsten Winterspiele in Mailand und Cortina d'Ampezzo stattfinden. Das ist das richtige Signal.
Neuner: Wir müssen uns fragen, wie wir das Rad zurückdrehen können. Zurück zu kleineren, nachhaltigen Spielen. Ich war mal privat in Lillehammer und habe mir vorgestellt, wie familiär die Spiele 1994 gewesen sein müssen. Aber ich fürchte, die Zeiten sind einfach vorbei. Wenn ich allein die Bob- und Rodelbahn in Peking sehe: Komplett überdacht! Wahnsinn! Aber brauchen wir das wirklich?
Felix Neureuther hat sich jüngst mehrfach sorgenvoll zum Thema Klimawandel geäußert ...
Hannawald: Felix hat völlig recht. Wir sehen doch, dass wir immer weniger Schnee in den Bergen haben. Und wir lesen, dass die Gletscher immer weiter zurückgehen.
Neuner: Meine Schwägerin war neulich auf der Zugspitze und hat berichtet, dass es dort oben kaum noch Schnee gibt. Ich stelle mir auch zunehmend die Frage, ob es wirklich richtig ist, mit so viel Kunstschnee zu arbeiten. Müssen wir wirklich von November bis April Skifahren gehen? Aber ich weiß natürlich auch, wie viele Arbeitsplätze in meiner Heimat am Tourismus hängen.
Hannawald: Man muss auch im Kleinen anfangen. Bei sich selbst. Eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach schrauben, ein E-Auto fahren. Überall auf Nachhaltigkeit achten. Davon mache ich auch die Auswahl meiner Partner abhängig. Ich gehe nicht zu dem, der das meiste Geld zahlt. Sondern zu dem, der sich Gedanken macht, wie man einen Weg einschlagen kann, der Natur etwas zurückzugeben.
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