Teil II der Nordderby-Festspiele: Im Halbfinal-Hinspiel des UEFA-Cups erwartet Werder Bremen den Hamburger SV (ab 20.30 Uhr im LIVE-TICKER und im Internet TV). Der HSV wehrt sich gegen den Vorwurf, eine gute Saison am Ende weguzwerfen. Werder-Torhüter Wiese haben die Hamburger noch immer nicht verziehen.
"Schatz, Du siehst heute irgendwie müde aus." Schon in den 70er Jahren wurden soziologische Studien veröffentlicht, die belegten, dass auch der völlig ausgeschlafene Schatz sich irgendwann tatsächlich müde fühlte, wenn er diesen Satz nur oft genug hörte: ein Art Sonderform der self-fulfilling prophecy.
Mathijsen bricht Interview ab
"Sie wirken nach der Niederlage gegen Bremen im Pokal irgendwie müde und leer." Beinah täglich werden die Spieler des Hamburger SV zurzeit mit dieser Aussage konfrontiert. "So ein Unsinn, lassen Sie mich doch mit Müdigkeit in Ruhe", brach Abwehrspieler Joris Mathijsen daraufhin ein Interview nach der Niederlage des HSV am Samstag in Dortmund ab.
PremiereDie ungewohnt heftige Reaktion zeigt, wie sehr die Profis die Suggestivkraft solcher Formulierungen fürchten - vermutlich mehr als den tatsächlichen Kräfteverschleiß, den der lange Tanz auf drei Hochzeiten für Hamburg in dieser Saison mit sich bringt.
Denn tatsächlich spielte die Elf von Trainer Martin Jol eine durchaus aufgeweckte erste Halbzeit gegen den BVB, wirkte frisch, aggressiv und laufbereit. Trotzdem ging das Spiel verloren. Der HSV hatte zuvor in der laufenden Spielzeit bereits acht Mal verloren, doch an der neunten Niederlage sollte nun die Müdigkeit schuld sein - und die Angst vor dem ganz großen Scheitern.
Am Ende nur ein "Scherbenhaufen"?
In Hamburg beginnt das Zittern, behauptete unisono der Boulevard. Ebenfalls eine negative Suggestion für den an sich sehr komfortablen Umstand, dass die Mannschaft in zwei Pokal-Wettbewerben das Halbfinale erreicht und in der Bundesliga immer noch realistische Chancen auf die Meisterschaft hat.
Der HSV hat ein junges, unerfahrenes Team ohne große Namen, das vor und während der Saison seine Schlüsselspieler abgeben musste und mit zahlreichen Verletzungen zu kämpfen hatte. Insofern verlief das Jahr bislang überraschend erfolgreich.
Doch nachdem die viel versprechende Serie im DFB-Pokal exakt elf Meter von Berlin entfernt zu Ende ging, müssen sich die Hamburger, konfrontiert mit öffentlichen Versagensängsten, paradoxerweise gerade dafür rechtfertigen: Was, wenn der HSV am Ende mit leeren Händen dasteht?
Dabei ist es eine beinah melodramatische Pointe des Schicksals, dass die Bewertung einer ganzen Saison von einem 19-tägigen Dauerderby gegen Werder Bremen anhängen soll. Dass ausgerechnet der verhasste Nordrivale eine glänzende Spielzeit in einen vermeintlichen "Scherbenhaufen" verwandeln könnte, schürt die medialen Horrorszenarien noch weiter.
Trochowski: "Warum sollten wir Angst haben?"
"Wer zwei Halbfinals erreicht, riskiert logischerweise auch, zwei Halbfinals zu verlieren", antwortet allerdings Jol mit der ihm eigenen Gelassenheit. Der Niederländer wehrt sich gegen den Fluch der guten Tat: Auch ohne einen Pokal in den Händen hätte er in Hamburg gute Arbeit geleistet.
Und offenbar gelingt es dem Niederländer auch, die Suggestivkraft der Schlagzeilen auch von seinen Spielern fern zu halten: Zumindest in ihren öffentlich Statements entwirft sich die Mannschaft vor dem UEFA-Cup Hinspiel in Bremen am Donnerstag nicht auf Augenhöhe ihrer Angst - sondern auf Augenhöhe ihrer Hoffnung.
"Die Niederlagen ändern nichts daran: Wir haben schon eine super Saison gespielt und nichts mehr zu verlieren. Es ist noch alles drin", sagte etwa Piotr Trochowski: "Außerdem steht Bremen in der Tabelle hinter uns - warum sollten wir also Angst haben?"
Jarolim vs. Wiese
Für die Bremer spricht allerdings, dass für sie der suggestive Effekt in genau umgekehrter Form gilt. Mit zwei Finalteilnahmen könnte Werder eine bis dato völlig verkorkste Saison plötzlich als strahlender Sieger beenden.
Die Liga ist zudem längst abgehakt, Trainer Thomas Schaaf konnte es sich am Wochenende sogar leisten, einige Stammspieler zu schonen, und das Momentum ist nach der Euphorie des gewonnenen Elfmeterschießen klar auf Seiten der Bremer.
Und dass mit Tim Wiese ausgerechnet das Feindbild Nummer eins in der Hamburger Arena zum Helden wurde, passt nur allzu gut in die psychologische Textur dieser "Festspiele des Nordens". Immerhin hatte Bremens Torhüter die Atmosphäre mit markigen Sprüchen noch angeheizt.
"Die Bremer dann in unserem Stadion tanzen zu sehen, das hat schon wehgetan", gab selbst HSV-Kapitän David Jarolim zu - und versuchte dann, den Spieß einfach umzudrehen. Seine Ansage an Wiese: "Wenn man so eine große Fresse hat, wird man bestraft!" Das klang weder müde noch ängstlich.
Werder - HSV: Die Bilanz gegeneinander