In Südafrika wurde die Welt auf Mesut Özil und Sami Khedira aufmerksam. Real Madrid investierte rund 30 Millionen Euro und lockte die beiden Nationalspieler in die Primera Division. Unter Trainer Jose Mourinho gab es viele Sternstunden, aber auch schwere Rückschläge. Aber wie sind die beiden Deutschen auf und außerhalb des Platzes integriert? Wie ist ihr Standing innerhalb der Mannschaft - und wie bei den Medien? Eine Bilanz.
30. Juli
Der Wechsel von Sami Khedria zu Real Madrid ist perfekt. Khedira unterzeichnet später einen Vertrag bis 2015, der VfB Stuttgart erhält angeblich 14 Millionen Euro Ablöse. In Madrid soll er rund drei Millionen Euro netto pro Jahr verdienen.
13. August
Erster Auftritt von Khedira im Real-Trikot. Beim Franz-Beckenbauer-Cup spielt er im defensiven Mittelfeld an der Seite von Xabi Alonso 90 Minuten durch.
17. August
Nach langem Hin und Her unterschreibt Mesut Özil bei Real Madrid einen Vertrag bis 2016, die Ablöse liegt bei rund 16 Millionen Euro. Angeblich verdient Özil ab sofort fünf Millionen Euro netto pro Jahr. "Ich brauche keine Angst zu haben. Ich weiß, welches Potenzial ich habe", sagt Özil nach der Landung in Madrid.
Seinem neuen Arbeitgeber bietet er nach einer beinahe endlos langen Saison zunächst ein anderes Bild. "Özil ist sehr schüchtern", sagte ein Real-Vorstandsmitglied. "Bei seiner Ankunft wirkte er erschöpft und desorientiert."
Trotzdem jubilieren die Gazetten fast überschwänglich: "Özil ist der wahre Crack unter den Neuen, das Sahnehäubchen auf einer Torte, die immer appetitlicher ist."
18. August
Erster Arbeitstag von Özil: Gleich in der Mannschaft mit den Leibchen, Khedira spielt im B-Team. Die "AS": "Er kam, er unterschrieb, er trainierte."
Backstage: "Özil war einer der Stars der Weltmeisterschaft und passt mit seiner Spielweise sehr gut zu Reals Stil", erinnert sich Miguel Gutierrez bei SPOX an die Anfangstage der beiden Deutschen in Madrid. Gutierrez ist Reporter bei Spaniens größter Radiostation "Cadena Ser", die quasi 24 Stunden täglich über Real Madrid berichtet.
"Die Verpflichtung von Khedira war dagegen von Anfang an ein bisschen überraschend. Transfers wie dieser werden von den Fans eher beiläufig wahrgenommen. Aber wenn man Mourinhos Zeit bei Chelsea kennt, dann weiß man schnell, dass er auf diese Art Spieler steht und sie für seine Idee vom Spiel auch benötigt."
23. August
Mourinho sorgt mit einem verwegenen Plan für erstes Aufsehen: Er sieht Khedira in Notfällen als dritten Torhüter!
"Sergio Ramos und Sami Khedira verteidigen unser Tor, wenn Iker Casilla und Jerzey Dudek verletzt sein sollten. Ich habe das schon zwei Mal in meiner Karriere erlebt, das könnte wieder passieren. Also werden ab jetzt Ramos und Khedira Torwart-Training machen, so dass sie vorbereitet sind für den Fall, dass wir einen dritten Torwart brauchen", sagt Mourinho.
In Mannschaftskreisen hat Khedira offenbar schnell den Spitznamen "la maquina", die Maschine, weg.
29. August
Beim Saisonauftakt auf Mallorca sitzen beide zuerst auf der Bank. Mourinho bringt sie in der zweiten Halbzeit, das enttäuschende 0:0 können aber auch Khedira und Özil nicht verhindern.
1. September
No comprenden espanol! Mourinho kritisiert die beiden Deutschen erstaunlich scharf und ohne Vorwarnung in der Öffentlichkeit.
Der Portugiese in der spanischen Sportzeitung "AS": "Das Leben der Deutschen ist nicht einfach. Sie sprechen kein Wort Spanisch. Sie können nur 'Guten Tag' und 'Hallo' sagen. Sie können nicht mal Englisch! Sie sprechen das ein ganz klein wenig besser als Spanisch, aber das ist schwierig."
Mourinho will die beiden offenbar aufrütteln. "Das soziale Leben mit der Mannschaft ist gleich Null. Khedira lebt mit Özil und Özil mit Khedira. Ihre Integration ist nicht einfach, obwohl wir eine junge, freundliche und angenehme Truppe sind."
Unterstützung erhalten die beiden Deutschen, die mit der Nationalmannschaft in Belgien in die EM-Qualifikation starten, von Bundestrainer Joachim Löw: "Beide machen auf mich einen glücklichen Eindruck und haben erzählt, sie seien gut bei Real aufgenommen worden und fühlen sich wohl."
Backstage: Bis heute ist Mourinhos Intention seiner Aussagen nicht geklärt. Denn eigentlich ist der Trainer "ein ungemein kommunikativer Typ, der sehr viel mit seinen Spielern spricht", sagt Gutierrez. "Ihr Umgang mit Mou ist sehr auf die Arbeit beschränkt. Alles in allem gesehen gut, aber auch distanziert. Sie sprechen Mourinho mit 'Sie' an."
Özil nimmt sich eine Villa, einige Kilometer außerhalb von Madrid. 650 Quadratmeter Wohnfläche, ein Außen-Pool und ein kleiner Fußballplatz gehören dazu. Khedira wohnt in der Nähe.
Für die spanischen Medien sind sie aber undankbare Gesprächspartner. Oder gar keine. "Hier wird nach den Spielen viel mit Live-Schalten am Telefon gemacht. Man drückt den Spielern einfach ein Handy in die Hand, dann sind sie live auf Sendung. Da fallen beide als mögliche Interviewpartner aus..."
Im SPOX-Interview schildern beide ihre ersten Tage und Wochen in Madrid...
11. September
Beim Heimspiel gegen Osasuna geben beide ihr Debüt in der Startelf. Khedira spielt neben Alonso einen sauberen Part als Abräumer und hat schon erstaunlich viele Ballkontakte. Özil zeigt in einigen Szenen, worauf sich die Madridistas bald freuen können. Real würgt sich zu einem 1:0. Das Tor erzielt mit Ricardo Carvalho bezeichnenderweise ein Innenverteidiger.
Trotzdem feiert die "AS" Özil nach der Partie als einen der Besten. "Jede Aktion, an der er beteiligt ist, ist sauber wie der Ton eines Pianos. Er trickst wie ein Hase, hat das Gift einer Spinne, das Ballgefühl eines Kalligraphen und natürlich den Blick eines Chamäleons."
18. September
Real gewinnt 2:1 bei Real Sociedad. Alonso kämpft noch mit den Nachwehen der WM-Strapazen, weshalb Khedira den Takt im defensiven Mittelfeld angibt und das Spiel lenkt. Und Özil? Der sorgt zum ersten Mal so richtig für Aufsehen.
Die "Marca" schmilzt förmlich dahin: "Junge, mit dir haben wir Halluzinationen. Diese Magie, die das Bernabeu so lange vermisst hat, hast du uns zurückgegeben."
Es ist der Auftakt der Özil-Festwochen, nachdem Khedira in den ersten Spielen von Mourinho selbst immer gelobt wurde. Nur sind den spanischen Medien das Spektakel und die dazugehörigen Protagonisten näher als die unscheinbare, aber ehrliche Arbeit eines defensiven Mittelfeldspielers.
Backstage: "Dabei war es Khedira, der der Mannschaft in den schwierigen ersten Wochen Struktur und Halt gegeben hat. Er hat die vielen kleinen Dinge geregelt, die kaum auffallen, aber umso wichtiger sind. Nicht mit Schnelligkeit oder Technik, sondern nüchtern und mit einer ungemeinen Physis", erinnert sich Gutierrez.
Khedira selbst hat die Umstellung seines eigenen Spiels erstaunlich schnell verinnerlicht. "Beim VfB und in der Nationalmannschaft spiele ich einen Tick offensiver. Bei Real geht es aber darum, intelligenter und cleverer zu agieren. Und vor allen Dingen auch Kraft sparender. Ich muss die Balance zwischen Defensive und Offensive herstellen und bin dafür verantwortlich, dass unser System nicht aus dem Ruder läuft."
Die Real-nahen Sporttageszeitungen haben aber längst einen anderen Liebling gefunden. "Mesut, du bist der Zauberer von Öz", schreibt die "Marca" nach dessen erstem Pflichtspieltor beim 6:1 gegen La Coruna. Präsident Perez vergleicht Özil völlig voreilig schon mit Zinedine Zidane.
Beide sind in der Mannschaft akzeptiert, aber natürlich keine Leader. Privat halten sich die beiden Deutschen sehr zurück. "Wir haben zwei, drei Stammlokale, in die wir gehen", sagt Özil, der seine Freizeit mit Lernen und zumeist zu Hause verbringt. Ähnlich wie Khedira. Mit Higuain, Marcelo und di Maria werden beide einige Male gesichtet.
"Sie bekommen wohl viel Besuch aus Deutschland. Über ihr Privatleben ist kaum etwas bekannt. In der Nobel-Disko Buddah del Mar, in der für gewöhnlich immer viele Real-Spieler ausgehen, wurden sie noch nicht gesehen", sagt Gutierrez.
Die Eigenständigkeit gefällt beiden aber sehr gut. Bei Real gibt es keinen Acht-Stunden-Tag wie bei den meisten Bundesligisten.
"Du hast hier viele Freiheiten und bist im Endeffekt dein eigener Chef. Ich muss wissen, was ich vor einem Spiel essen oder trinken will, um fünf Stunden später Top-Leistungen abzurufen. Ich muss wissen, ob ich abends noch weggehen will. Man geht hier anders an die Arbeit heran", sagt Khedira.
"Wir Spieler müssen uns hier nur auf den Fußball konzentrieren, alles andere übernimmt der Verein", pflichtet Özil bei.
Teil 2: Die Schmach, das Lob, der Ausblick
6. Oktober
Khedira und Özil weilen für die EM-Qualifikationsspiele gegen die Türkei und Kasachstan beim DFB-Team. Dort gibt es erneut verbale Streicheleinheiten vom Bundestrainer.
"Real Madrid gehört zu den renommiertesten Klubs der Welt. Da ist der Druck natürlich besonders groß, weil das Team mit Weltstars gespickt ist. Gerade angesichts der kurzen Vorbereitung haben beide dort bisher unglaublich viel Positives geleistet", ist Löw begeistert von den Leistungen der beiden.
8. November
Ein Özil-Freistoß sichert Real den Sieg im Stadtderby gegen Atletico. Aber es ist nicht der Ex-Bremer, der sich die Elogen seines Trainers abholen darf.
"Man spricht immer von den spektakulärsten Spielern. Aber wenn ich nach diesem Spiel jemanden auswählen müsste, wären es Khedira und Ricardo Carvalho, die sich zwischen so viel Magie und Qualität der anderen Mitspieler verbergen", erklärt Jose Mourinho.
29. November
Das Beben. Die Schmach. Die Demütigung. Real verliert den Clasico mit 0:5. Selbst ein zweistelliges Ergebnis wäre auf Grund des Spielverlaufs und der Tatsache, dass Barca zwei Klassen besser war, möglich gewesen.
Die Medien prügeln auf die Mannschaft ein, die Stadt ist quasi paralysiert. Im Vorfeld hatten zahlreiche Experten den Königlichen durchaus etwas zugetraut im Camp Nou. Und dann das.
Aber es sind nicht unbedingt Özil und Khedira, die nach ihrem ersten Clasico am meisten abbekommen. Sie genießen bei der teilweise gnadenlosen spanischen Presse gewissermaßen Welpenschutz. Lediglich Khedira sei "im defensiven Mittelfeld untergegangen". Aber wer in Weiß ist das an diesem Abend nicht?
"Ein göttliches Barca demütigt Real und Mourinho. Pep Guardiola erteilt Mourinho eine Lektion", schreibt die italienische "Gazzetta dello Sport" nicht ohne Häme über ihre einstige Hassliebe Mourinho.
Vielleicht kommt die vernichtende Niederlage gerade zum richtigen Zeitpunkt. "Wir haben noch jede Menge Arbeit vor uns", gesteht Mourinho ein. Er wusste es vermutlich schon vorher...
Backstage: An diesem denkwürdigen Abend knabbern die Madridista noch heute - und sehr wahrscheinlich bis zum Rückspiel Mitte April im Bernabeu.
"Die Nacht von Barcelona wiegt immer noch enorm, es war eine Zäsur. Das Spiel schwebt wie ein Damoklesschwert über der ganzen Mannschaft. Alle erwarten in Madrid, dass diese Schmach beim Rückspiel im Bernabeu wettgemacht wird", beschreibt Gutierrez die Selbstverständlichkeit, mit der Barca im Rückspiel aus dem Stadion gefegt werden muss.
4. Dezember
Eine Woche später betreibt Real zumindest ein wenig Wiedergutmachung. Im Verfolgerduell gegen Valencia siegen die Königlichen 2:0, die beiden Deutschen werden aus taktischen Gründen spät in der Partie ausgewechselt. Khedira wird bis heute keine Partie mehr über die gesamten 90 Minuten spielen.
Der Ton hat sich inzwischen aber verändert. Die Presse schießt sich immer mehr auf Khedira ein. Seinen Stammplatz hat er an Lass Diarra verloren, spielt nur noch Teilzeit.
7. Januar
Nach dem Pokal-Viertelfinale gegen Levante (0:2, Hinspiel allerdings 8:0), das Real mit einer besseren B-Elf und mit Khedira bestreitet, motzt die "AS": "Die meisten Reservisten, vor allem Khedira und Pedro Leon, zeigten eine Gefühlskälte wie französische Schauspielerinnen." Die Zeitung "ABC" bezeichnet ihn als "Totalausfall".
Ungeachtet dessen findet Löw zum Jahreswechsel erneut lobende Worte für seine beiden Legionäre. "Man merkt ihnen an, dass sie reifer geworden sind. Ich habe den Wechsel von Anfang an begrüßt, weil Stuttgart und Bremen nicht den Anspruch haben können, jedes Jahr Champions League zu spielen und weit zu kommen."
Auch Ex-Real-Trainer Bernd Schuster haben Khedira und Özil positiv überrascht. "Ehrlich gesagt, hatte ich Zweifel. Ich habe diese beiden Verpflichtungen nicht verstanden. Sie waren aus meiner Sicht überflüssig, weil Real auf diesen Positionen gut besetzt war. Aber beide Deutsche haben bewiesen, dass sie reinpassen."
Spaniens größte Sporttageszeitung "Marca" besteht aber auf ihren Zweifeln und fährt ihre harte Linie gegen Khedira weiter: "Mourinho ist begeistert von Khedira, aber viele verstehen nicht, warum. Von einem zentralen Mittelfeldspieler bei Real Madrid erwartet man viel mehr."
Im großen Teamranking der "Marca" für die Hinrunde belegt Khedira zusammen mit Ramos, Canales und Diarra mit fünf von zehn möglichen Punkten den letzten Platz. Özil steht mit acht Punkten im vorderen Drittel.
Backstage: Die sportliche Bilanz bisher: Özil steht bei fünf Toren in der Liga und einem in der Champions League. Bis auf das bedeutungslose CL-Rückspiel gegen Auxerre stand der Ex-Bremer in jeder Partie auf dem Platz.
Khedira kam ähnlich oft zum Einsatz, fehlte in zwei Partien der Königsklasse. Zuletzt fand er sich aber immer öfter auf der Bank wieder. Der Ausraster von Konkurrent Diarra beim letzten Heimspiel gegen Villarreal könnte Khedira aber wieder in die Karten spielen.
Angst vor der Zukunft hat der 23-Jährige jedenfalls nicht. "Madrid ist für mich ein Mix aus Herausforderung und Chance, sich weiterzuentwickeln. Ich bin froh, den Schritt gewagt zu haben. Ich bin inzwischen voll integriert. Die Kollegen haben gesehen, dass ich gewillt bin, mich anzupassen - an Mentalität und Spielweise."
Und trotzdem bleibt Real Madrid ein heißes Pflaster. Miguel Gutierrez weiß das genau.
"Es wird viel von ihrem ersten Jahr abhängen und ob Real einen Titel holt. Das Geschäft in Madrid ist sehr schnelllebig, nach einer Saison kann man schnell weg vom Fenster sein. Der Name Steven Gerrard wird neuerdings (wieder) in Madrid diskutiert."
"Sollten sie bereits im ersten Jahr scheitern, kann es danach ganz schwer in ihrer Karriere werden. Welche Klubs zahlen solche Gehälter weiter? Dennoch ist man hier in Madrid mit den Deutschen eigentlich immer gut gefahren. Ich denke, sie werden sich durchsetzen."
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