Marc Ziegler ist DFB-Torwartkoordinator und begleitete die U19 zuletzt bei der Heim-EM. Im Interview mit SPOX spricht der Ex-Bundesligaprofi des VfB Stuttgart und Borussia Dortmund über seine neue Aufgabe, Tanzstunden beim Torwarttraining, englische Torhüter und seinen Horrorunfall gegen Benfica. Zudem verrät er, warum er seine Kinder davon abhielt, Keeper zu werden.
SPOX: Herr Ziegler, Sie wollten nach Ihrem Karriereende ausgiebig um die Welt reisen. Hat das geklappt?
Marc Ziegler: Es hat nur bedingt funktioniert. Ich habe mir nach meinem Abschied vom aktiven Fußball erstmal eine einjährige Auszeit gegönnt. Meine Kinder sind aber noch in der Schule, deshalb konnten wir nicht 365 Tage reisen. In den Ferien waren wir allerdings schon viel unterwegs und haben einiges gesehen.
SPOX: Dann verraten Sie uns doch, wo es am schönsten auf der Welt ist.
Ziegler: Das ist schwierig, es gibt auch für mich noch so viel zu entdecken. Aber Amerika gefällt mir persönlich beispielsweise extrem gut. Zuletzt waren wir in Südafrika, das war mit den wilden Tieren natürlich eine unglaublich tolle Erfahrung und ein absolutes Highlight.
SPOX: Sie wollten zudem eigentlich noch studieren. War dafür die Zeit nicht ein wenig zu knapp?
Ziegler: Das habe ich bisher noch nicht geschafft, aber ich war trotzdem ziemlich umtriebig. Ich habe verschiedene Kurse besucht und eine Ausbildung zum Systemischen Business Coach gemacht.
SPOX: Systemischer Business Coach? Das hört sich gefährlich an. Um was geht es dabei?
Ziegler: Ich habe mich während meiner aktiven Karriere schon immer für Psychologie interessiert und mir nun die Zeit genommen, etwas tiefer zu bohren. Im Kurs werden den Teilnehmern unterschiedliche psychologische Ansätze vermittelt. Das heißt, man bekommt Werkzeuge an die Hand, die einem im Umgang mit Menschen in gewissen Situationen helfen. Es geht zum Beispiel um Gesprächsführung und Zielsetzung. Wie führe ich Gespräche? Wie schaffe ich es, mental auf die Ebene des Gegenübers zu kommen? Wie unterstütze ich ihn bei der Zielfindung? Mit diesen Fragen setze ich mich auseinander.
SPOX: Inwiefern hilft Ihnen diese Ausbildung aktuell bei Ihrem Job als U19-Torwarttrainer des DFB?
Ziegler: Das ist vor allem in den zahlreichen Gesprächen extrem nützlich. Nur ein Beispiel: Für uns ist es wichtig, dass die Jungs klare Ziele haben und verstehen, was ihr Spiel ist und wie sie es gestalten. Es geht nicht darum, irgendwelche Spieler zu kopieren. Deshalb muss ein individuelles Anforderungsprofil erstellt werden. Mit diesem kann im Anschluss sowohl der Trainer als auch der Spieler arbeiten.
SPOX: Das Eröffnungsspiel in Stuttgart fand vor über 50.000 Zuschauern statt. Wie packt man die Spieler da an?
Ziegler: Das Ziel ist es, dass die Spieler sich mit den Situationen beschäftigen. Sie müssen sich Gedanken machen, was alles auf sie einprasselt. Wir versuchen, die zahlreichen Eindrücke vorher mit ihnen durchzusprechen. Die meisten der Jungs spielen ja in der U19-Bundesliga vor rund 800 Zuschauern. Da ist ein solches Spiel deshalb schon enorm für die Psyche. Aber auch die Nachbereitung ist wichtig. Was ziehe ich aus so einem Spiel heraus? Konnte ich die Vorgaben umsetzen? Dabei hilft mir die Ausbildung schon.
SPOX: Beim letzten Torwarttrainingscamp war ein Tanzlehrer dabei. Inwiefern hilft das den Keepern?
Ziegler: Ich bevorzuge den Ausdruck Rhythmiktrainer. (lacht) Das waren ganz einfach Rhythmusübungen, die von guter Musik begleitet wurden. Es geht darum, die Persönlichkeit und die Körpersprache zu schulen. Die körperliche Präsenz und die Außenwirkung sind bei einem Torhüter extrem wichtig. Die Übungen haben wir ganz einfach mit Musik verpackt.
SPOX: War das Gelächter bei einer Bande Jugendlicher nicht groß?
Ziegler: Nicht übermäßig, alle haben die Aufgaben toll mitgemacht und hatten Spaß. Am Anfang war unser Rhythmiktrainer alleine mit den Jungs, später durften wir Trainer dazu. Es war wirklich interessant zu sehen, wie viele recht Introvertierte aus sich herausgegangen sind. Zudem war es direkt am Anfang natürlich auch ein Icebreaker. Sie sind zum ersten Mal zusammen und sollen sich ja untereinander austauschen. Wenn die Spieler am ersten Tag kommen, sitzen sie am Tisch und es wird kaum geredet. Wenn du solche Teambuilding-Methoden einstreust, tut das der Truppe extrem gut.
SPOX: Wie sieht eine Übung aus?
Ziegler: Die Grundstellung des Torwarts war immer die Ausgangsposition. Dann wurden rhythmische Bewegungen mit Musik eingestreut, die mit torwartspezifischen Bewegungen kombiniert wurden. Zum Beispiel haben sie einen Sprung nach oben gemacht und so das Abfangen einer Flanke simuliert. Ab und zu mussten die Jungs auch einen Schrei loslassen. So wurde jeder aus der Reserve gelockt. Das war schon cool anzusehen.
SPOX: Oliver Kahn war stets ein Meister der Körpersprache. Ist es das ultimative Ziel, dass ein Stürmer Angst vor einem Torwart hat?
Ziegler: Sagen wir mal so: Es schadet auf jeden Fall nicht. Aber wir müssen jeden Spieler individuell abholen. Alle guten Torhüter haben allesamt einen anderen Stil. Bei uns steht Manuel Neuer für ein modernes Torhüterspiel. Das ist unser roter Leitfaden und in diese Richtung wollen wir. Aber das Individuum muss sich trotzdem noch entfalten können. Wir hätten ja auch keinen Neuer bekommen, wenn wir gesagt hätten, er soll wie Oli Kahn spielen.
SPOX: Angenommen beim Torwarttraining des DFB würde man ein Phrasenschwein aufstellen. Und immer müsste man 50 Cent reinschmeißen, wenn jemand sagt: 'Mach das mal wie Manuel Neuer.' Wie lange könnte der Trainerstab dann auf die Kanaren fliegen?
Ziegler: (lacht) Das Schwein wäre gar nicht so voll, glaube ich. Obwohl Manuel natürlich unser Aushängeschild ist und seine Spielphilosophie sich exakt mit unserer Ausbildungsphilosophie deckt. Aber es bringt ja nichts, einem Torhüter in der Ausbildung nur zuzurufen: 'Mach das mal wie Manuel Neuer!' Wir müssen es ihm zeigen. Dafür werden wir in den nächsten Wochen einen Leitfaden rausbringen, der für die DFB-Stützpunkte und die breite Masse gedacht ist. Dort ist verankert, wie wir uns das Spiel des Keepers vorstellen und wie wir gewisse Techniken sehen. Wir hoffen, dass darauf zurückgegriffen wird und wir das Torwartspiel in Deutschland noch mal qualitativ vorantreiben.
SPOX: Wie ist es generell erklärbar, dass Deutschland so eine Torwartnation ist?
Ziegler: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben in erster Linie natürlich gute Torwarttrainer. (lacht) Zudem sind wir das Land der Bewegungstalente. Es spielt sicherlich auch mit rein, dass wir schon so viele gute Keeper hatten und junge Leute inspiriert wurden. Schumacher, Kahn, Lehmann, Neuer, jetzt kommen vielleicht ter Stegen oder Leno. Denen will man natürlich nacheifern. Zudem kommen uns die deutschen Tugenden zugute. Vor allem Ehrgeiz ist im Tor eine zentrale Eigenschaft.
SPOX: Klopft eigentlich auch mal ein Engländer an und fragt, wie man einen guten Torhüter bekommt?
Ziegler: Wir reden untereinander natürlich viel. Hier und da sind die Engländer uns im Tor auch noch einen Schritt voraus. Da wollen wir noch aufholen.
SPOX: Langsam, langsam ... die Engländer sind uns im Tor einen Schritt voraus?
Ziegler: Die Engländer haben den torwartspezifischen FIFA-Elitekurs bereits, also das Pendant zum 'Fußball-Lehrer'. Wir sind jetzt gerade erst dabei, das Pilotprojekt zu starten. Diese Lücke wollen wir schließen. Dass die Engländer dennoch Probleme auf der Position haben, liegt wohl daran, dass in der Liga viele ausländische Torhüter im Kasten sind. Das blockiert die Jugend immens.
SPOX: Sie haben lange die Torwarthandschuhe vor Ihren Kindern versteckt, sodass sie nicht auf die Idee kommen, Keeper zu werden. Hat es funktioniert?
Ziegler: Ja, das hat geklappt. Meine zwei Kids sind zwar eifrig am Kicken, aber im Sturm und im offensiven Mittelfeld. Sie sind beide also weit weg vom eigenen Tor.
SPOX: Kommt da der Beschützerinstinkt raus?
Ziegler: Wahrscheinlich schon. Es ist eine ganz tolle Position, aber man bekommt natürlich auch viel ab. Die Entscheidung ist aber eher auf dem Mist meiner Frau gewachsen. Sie hat viel mit mir durchgemacht und war vor den Spielen immer sehr nervös. Noch einmal wollte sie das nicht miterleben. Mir war es immer nur wichtig, dass die Kids irgendeinen Sport machen. Dass es Fußball geworden ist, freut mich natürlich. Ich kann deshalb viel mehr mit ihnen machen und kann Tipps geben. Das ist beim Singen und Malen anders.
SPOX: Oft fragen Journalisten nach dem Karriereende, welche Erinnerungen sie noch an das letzte Spiel haben. Bei Ihnen muss ich fragen: Haben Sie überhaupt noch welche? Sie sind schließlich nach einem üblen Zusammenprall im Spiel gegen Benfica vom Platz getragen worden.
Ziegler: Bis zum Unfall ist noch alles da. Ich wusste, dass ich einen Ball abgewehrt habe, dieser leicht nach vorne gesprungen ist und ich nachgegangen bin. Dann war Funkstille. Ich habe fünf oder sechs Wochen gebraucht, bis ich einigermaßen wieder hergestellt war. Ich war zehn Tage mit Schwindel im Bett gelegen und konnte am Anfang gerade einmal fünf Minuten joggen. Anschließend musste ich mich in der Kabine hinlegen und habe dort eine halbe Stunde geschlafen. Das war echt krass. Ich hätte nie gedacht, dass es so Auswirkungen hat. Zumindest habe ich jetzt immer eine Erklärung, wenn nicht alles funktioniert. (lacht) Komischerweise habe ich mir die Szene nie angeschaut. Ich habe bisher nur ein paar Fotos gesehen.
SPOX: Warum nicht?
Ziegler: Ich weiß es nicht so richtig. Es tut natürlich doppelt weh. Zum einen hat der Schädel mächtig gebrummt und ich bin im Krankenwagen aufgewacht. Zum anderen wäre es schön gewesen, noch mal spielen zu können. Ich habe schon immer gesagt, dass man mich mal vom Platz tragen muss. Deshalb hat es ganz gut gepasst.
SPOX: War das auch der Grund für das Karriereende?
Ziegler: Ich hatte letztlich auch andere körperliche Probleme. Vor allem meine Knie haben mir stark zu schaffen gemacht. Ich wusste immer, dass ich Schluss mache, wenn ich nicht mehr über die Hürden springen kann. Das war der Fall. Das letzte Jahr war zum Abgewöhnen. Ich war 2013 noch beim DFB-Pokalfinale mit dem VfB noch dabei. Das war ein versöhnlicher Abgang.
Marc Ziegler im Steckbrief