WM

DFB-Team demütigt Maradona, Messi und Co.

Von Florian Bogner / Jan Teuner
Mit diesem Kopfball erzielte Thomas Müller (unten) das 1:0 und sein viertes WM-Tor
© Getty

Deutschland hat bei der WM zum dritten Mal in Folge das Halbfinale erreicht und trifft dort auf Spanien. Gegen den Turnierfavoriten Argentinien feierte die Elf von Bundestrainer Joachim Löw einen unerwartet hohen 4:0 (1:0)-Sieg. Argentinien war schon 2006 Gegner der deutschen Mannschaft gewesen - damals siegte das DFB-Team 5:3 n.E.

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Vor 64.100 Zuschauern im ausverkauften Green Point Stadium in Kapstadt brachte Shooting-Star Thomas Müller die deutsche Nationalmannschaft früh in Führung (3.). Wie schon beim 4:1 im Achtelfinale gegen England brachte in der zweiten Halbzeit ein Doppelschlag dann die Entscheidung: Miroslav Klose (68.) und Arne Friedrich (74.) erhöhten auf 3:0, Klose besorgte schließlich den Endstand (89.).

Für Klose waren es im 100. Länderspiel die Tore 51 und 52, das dritte und vierte bei dieser WM und das 13. und 14. insgesamt. Damit hat er Gerd Müller eingeholt und liegt nur noch einen Treffer hinter dem WM-Rekord des Brasilianers Ronaldo. Für Arne Friedrich war es das erste Tor im 77. Länderspiel überhaupt.

Ein kleiner Wermutstropfen: Thomas Müller sah nach einem Handspiel die zweite Gelbe Karte im laufenden Turnier und muss im Halbfinale gegen Spanien zusehen.

Nachbetrachtung:

Die Welt hält den Atem an, nach dem, was die junge DFB-Elf bei dieser WM gegen England und Argentinien abgeliefert hat. Es gab zwar in beiden Spielen kurz vor und nach der Halbzeit Phasen, in denen der Gegner Druck machte - die jungen deutschen Spieler fanden aber stets die richtige Antwort und sind bei diesem Turnier - man muss es so sagen - echte Konter-Maschinen.

Erstaunlich auch, dass Löws Team den eigentlich viel erfahreneren Argentiniern taktisch und vor allem physisch überlegen war - ein Faustpfand der DFB-Elf, das sich in den kommenden zwei Spielen weiter bezahlt machen wird. Eine solche Demonstration, am Ergebnis bemessen, hat der Weltfußball lange nicht mehr gesehen.

Argentinien ist hingegen auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet. Diego Maradona träumte, ja erwartete, den WM-Titel und steht jetzt mit leeren Händen da. Taktisch beging die WM-Legende einige Fehler. Im Mittelfeld fehlte der Taktgeber, quasi die Übersetzung zwischen Abwehr und Messi - Veron saß nur auf der Bank.

Im Angriff hätte er in diesem Spiel genügend Alternativen draußen gehabt, er hielt aber am blassen Higuain fest. Pastore für Otamendi zu bringen, war zwar mutig, kam aber nach dem 0:2 deutlich zu spät - zudem gab er damit die rechte Abwehrseite, über die fast alle gefährlichen deutschen Angriffe liefen, vollends preis.

Maradona wird sich in der Heimat herber Kritik stellen müssen. Nur 1958 hatten die Südamerikaner bei einer WM noch höher verloren: Dort setzte es im letzten Gruppenspiel in Schweden ein 1:6 gegen die Tschechoslowakei.

Reaktionen:

Diego Maradona (Trainer Argentinien): "Das frühe Tor hat all unsere Pläne über den Haufen geworfen. Wir haben ihnen vieles zu einfach gemacht. Deutschland hat das gnadenlos ausgenutzt. Das ist der traurigste Tag, seit ich selbst mit dem Fußball aufgehört habe und einer der schlimmsten Momente in meinem Leben. Es ist wie ein Tritt ins Gesicht. Messi hat in der Kabine geweint."

Carlos Tevez (Argentinien): "Das tut sehr weh. Wir wussten, dass es schwer werden würde, dass sie uns nicht angreifen lassen würden. Wir haben kein Tor erzielt, über ihren Sieg muss man deshalb nicht diskutieren."

Joachim Löw (Trainer Deutschland): "Die Mannschaft hat den Willen von Champions gezeigt. Was die Ergebnisse und die Höhe angeht, war das wirklich fast unvorstellbar vor dem Spiel. Messi kam fast nicht ins Spiel, das hat die Mannschaft perfekt umgesetzt, wir haben über das ganze Spiel hinweg kaum Fouls gemacht."

Thomas Müller (Deutschland): "Ich denke, Deutschland bebt gerade - und das zu Recht. Wahnsinn, was hier abgelaufen ist. Das war eindeutig wieder eine Mannschaftsleistung. Wenn ich Torschützenkönig werden will, muss ich auf meine Kollegen hoffen, dass sie im Halbfinale alles richtig machen, dann kann ich im Finale vielleicht nochmal treffen."

Bastian Schweinsteiger (Deutschland): "Ich habe richtig Gänsehaut. Wenn ich jetzt sagen würde, ich will nicht ins Finale, würde das nicht stimmen. Wir haben zwei starke Mannschaften geschlagen und sind schon weit gekommen. Wenn wir gegen Spanien spielen sollten, das ist die stärkste Mannschaft der Welt. Aber wir glauben an uns und haben genug Selbstvertrauen."

Miroslav Klose (Deutschland): "Ich habe jetzt 14 Tore wie Gerd Müller, aber er hat nur zwei Weltmeisterschaften gespielt und für mich ist es schon die dritte WM. Insofern in der Vergleich unfair."

Angela Merkel (Bundeskanzlerin): "Es war einfach überwältigend. So etwas ist ein Traum. Es ist eine junge Mannschaft, aber wie abgeklärt und ruhig sie ihre Chancen genutzt hat, hat mich begeistert. Ich bin eher ein vorsichtiger Mensch, beim 4:0 war mir gut ums Herz, aber vorher hatte ich immer noch Angst. Deutschland hat heute etwas Wunderbares geschafft."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Argentinien mit derselben Elf, die Mexiko mit 3:1 schlug, heißt: Der wieder fitte Samuel sitzt auf der Bank, Veron gleich daneben.

Auch das deutsche Team unverändert. Cacau ist wieder fit, sitzt auf der Bank.

3., 0:1, Müller: Schweinsteiger bringt einen Freistoß aus dem linken Halbfeld perfekt an den Fünfer. Müller kommt vor Otamendi eingelaufen und nickt den Ball am irritierten Romero vorbei ins Tor.

22.: Messi spielt 20 Meter vor dem Tor einen starken Pass tief in den Strafraum. Tevez ist durch, aber Neuer zuerst da und packt sicher zu. Gut aufgepasst!

24.: Dicke Chance zum 0:2. Fehler von Heinze. Müller sticht über rechts in den Sechzehner und legt auf Klose quer. Der setzt das Leder aus zwölf Metern unbedrängt über das Tor.

35.: Otamendi spielt Higuain am Strafraum an. Boateng doppelt nicht. Higuain dreht sich blitzschnell um Friedrich und schließt ins kurze Eck ab - Neuer taucht ab und hält.

48.: Die DFB-Elf nach der Halbzeit unter Druck. Di Maria lässt von halbrechts eine Fackel los - Zentimeter rechts vorbei.

68., 0:2, Klose: Aus dem Nichts - aber egal! Müller spielt den Ball im Liegen (!) genau in den Lauf auf Podolski. Der verzögert am Fünfer, legt quer auf Klose - und der drückt nur noch ein.

74., 0:3, Friedrich: Schweinsteiger überläuft über Links ganz Argentinien und hat dann das Auge für Friedrich. Der murmelt den Ball ins leere Tor.

89., 0:4, Klose: Özil flankt von links und Klose nimmt den Ball aus zehn Metern volley. Für Romero unhaltbar schlägt der Ball flach im linken Eck ein.

Fazit: Eine unfassbare DFB-Elf demontiert Argentinien, Maradona und Messi. Zwischenzeitlich war es eng, aber nach dem zweiten Tor spielte die DFB-Elf gnadenlos.

Der Star des Spiels: Thomas Müller (SPOX-Note 1). Der Junge ist einfach überragend. Tore mit dem Kopf kannte man von ihm bisher noch nicht - umso schöner war die frühe Führung. Bereits der vierte Turniertreffer für den 20-Jährigen. Am zweiten Tor gehört Müller mindestens die Hälfte. Wie er den Ball im Zweikampf gegen FCB-Kollegen Demichelis im Liegen auf Podolski durchsteckte, war erste Sahne. Ebenfalls grandios: Bastian Schweinsteiger.

Für die SPOX-User war Bastian Schweinsteiger Man of the Match

Die Gurke des Spiels: Nicolas Otamendi (SPOX-Note 6). Der gelernte Innenverteidiger wusste in der Anfangsviertelstunde überhaupt nicht, wie ihm geschah. Sein Foul an Podolski führte zum Freistoß, der das 0:1 brachte. Dabei stand er dann prompt zu weit weg von Torschütze Müller. Beim dritten Foul nach elf Minuten gab's dann auch Gelb. Beim 0:2 rechts hinten nicht zu sehen.

Die Pfeife des Spiels: Rawschan Irmatow (Usbekistan). Keine gute Leistung des Schiedsrichters. Ließ zu viel durchgehen, hätte Otamendi nach Foul an Podolski schon früher Gelb zeigen und Di Maria wegen absichtlichen Handspiels zwingend verwarnen müssen - vor allem, weil er später Müller für dasselbe Vergehen Gelb zeigte. Bei den persönlichen Strafen insgesamt ohne Linie.

Analyse: Furioser Auftakt der DFB-Elf, die sofort hellwach war und Argentinien in den ersten 15 Minuten fast überrannte. Das aggressive Pressing der Gauchos war gegen das ballsichere DFB-Mittelfeld wirkungslos. Weil Argentinien sehr hoch stand, ergab sich viel Raum für Schweinsteiger und Khedira. Die DFB-Elf wiederum griff erst hinter der Mittellinie an und machte den Platz eng.

Nach 20 Minuten roch die Maradona-Elf den Braten und verteidigte tiefer. Podolski spielte diesmal etwas defensiver, um Boateng gegen Messi und Tevez besser absichern zu können. Bei den Gauchos lief schnell alles über diese Seite, zumal Di Maria nach 25 Minuten nach rechts wechselte, um mehr Druck auf Boateng machen zu können.

Prompt ergab sich daraus mehr Ballbesitz für Argentinien, das immer wieder über die rechte Seite angriff. Messi bekam den Ball meist direkt von den Innenverteidigern bzw. Mascherano in den Fuß gespielt, wurde aber von Schweinsteiger gut abgesichert. Die DFB-Elf wiederum spielte ihre Konter in der Folge zu überhastet aus, oft fehlte der letzte Pass oder der Abschluss kam zu früh.

Argentinien schnürte die DFB-Elf phasenweise am eigenen Sechzehner ein. Nach rund einer Stunde explodierte Löw mal an der Seitenlinie, weil seine Elf nach dem Wechsel zu fahrig agierte und kaum zwei Pässe hintereinander an den Mann brachte. Das verfehlte seine Wirkung nicht - kurz darauf machte die DFB-Elf mit einem Doppelschlag wie gegen England alles klar. Im Halbfinale trifft die deutsche Mannschaft auf Europameister Spanien.

Argentinien - Deutschland: Fakten zum Spiel