Als Jeremy weinte

Von Laura Romano
Der Dank an die Fans: Neusselands Frauen feiern den ersten Punktgewinn bei einer WM
© Getty

In Mexiko und Neuseeland hat der Frauenfußball einen schweren Stand. Die wahren Fans ließen sich das historische Spiel beider Mannschaften in Sinsheim trotzdem nicht entgehen. Auf der Pressetribüne flossen sogar Tränen.

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Über 150 Kilometer haben Beatrice und Michael aus dem Schwarzwald hinter sich gebracht, um in Sinsheim "ihre" Mexikanerinnen in der Vorrundenpartie gegen Neuseeland spielen zu sehen. Schon von Weitem fallen sie am Stadiontor auf mit ihren grünen Trikots, den riesigen Mexikoflaggen um ihre Schultern und einem breiten Lächeln.

Mexikaner aus dem Schwarzwald? Beatrice stammt eigentlich aus Acapulco, Michael aus Deutschland. Nachdem sie sich in Mexiko vor einigen Jahren kennengelernt haben, hat er sie schließlich nach Deutschland geholt. Sie haben geheiratet und leben seitdem zusammen im idyllischen Schwarzwald.

Doch längst wurde Michael von seiner Frau mit dem Mexiko-Fieber angesteckt. "Die Mexikanerinnen sind die Allerbesten! Ich glaube, bald werde ich dort Nationaltrainer", lacht er unter seinen Strohhut hervor. Ein waschechter deutscher Mexiko-Fan. Seine Frau hat ihn offenbar gut erzogen.

Das freundliche, junge Paar hat bisher fast alle Spiele der WM gesehen. Auch Michael ist im WM-Fieber. Was in Beatrices Heimat sicher noch außergewöhnlicher wäre als in Deutschland. Wie in den meisten südamerikanischen Ländern findet der Frauenfußball auch dort kaum Anerkennung. Obwohl die Spielerinnen guten Fußball spielen und gerade die Nationalmannschaft schon einiges erreicht hat.

Immerhin besiegte sie 2010 beim CONCACAF Cup den Weltranglistenersten USA. Das haben bisher nur wenige Mannschaften geschafft. Der Star der Mannschaft, die 32 Jährige Maribel Dominguez, wird von vielen sogar als eine der besten Torjägerinnen der Welt gesehen.

"Mein Vater weiß nichts von der WM"

Leider werden diese Erfolge in einem Land, in dem der Männerfußball und eine eher konservative Werteordnung herrschen, nicht gewürdigt. Auch die WM wird dort kaum verfolgt. "Mein Vater in Mexiko wusste gar nichts von der Weltmeisterschaft, als ich ihm erzählte, dass wir das Spiel in Sinsheim live sehen werden. Und das ist eigentlich die Norm in Mexiko", erzählt Beatrice.

Alleine dass die Frauen der mexikanischen Nationalmannschaft überhaupt Fußball spielen dürfen, ist keine Selbstverständlichkeit. Vielen Mädchen in Mexiko wird das Fußballspielen verwehrt, da es nicht zum Bild der "normalen" Frau passt. Fußball ist in Mexiko ein strikter Männersport. Auch Maribel Dominguez musste sich früher als Junge ausgeben, um im Verein Fußball spielen zu dürfen.

"Ich glaube, ich hätte von meinen Eltern aus schon spielen dürfen. Aber ich komme aus einer großen Stadt in Mexiko. Dort lebt man moderner und europäischer. Doch auf dem Land ist das anders. Dort ist alles sehr konservativ", erklärt uns Beatrice. Frauen müssen in Mexiko also noch um ihr Recht, Fußball zu spielen, kämpfen und auch um die Anerkennung, die der Sport dringend benötigt, um zu wachsen und noch erfolgreicher zu werden.

Neuseeland: Fußball ist uncool

Allerdings: Auch im Land der gegnerischen Mannschaft hat es der Frauenfußball sehr schwer. "In Neuseeland ist Frauenfußball kein populärer Sport. Bei uns hat Rugby eindeutig die Überhand ", erzählen uns Hans und Gina, die aus Neuseeland angereist sind.

Hans stammt ursprünglich aus Österreich, Gina aus Deutschland. Beide sind unabhängig voneinander in den 50er Jahren nach Neuseeland ausgewandert. Dort lernten sie sich kennen und lieben. Heute sind sie Rentner und reisen in diesem Sommer durch ihre alte Heimat. Mit einem zielsicheren Zwischenstopp in Sinsheim, um ihre Mannschaft aus Neuseeland zu unterstützen.

Auch das ist eher die Ausnahme, denn in Neuseeland ist Frauenfußball keine große Nummer. Ähnlich wie in den USA ist "Soccer" dort zwar ein beliebter Sport bei Kindern - sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen. Doch ab dem 14. Lebensjahr wechseln die meisten zum Rugby, dem Nationalsport in Neuseeland. "Rugby wird als viel cooler angesehen als Fußball. Wer in der Pubertät Fußball spielt, ist uncool und gehört nicht dazu", sagt Hans.

Und gerade in dem Alter ist es wichtig, cool zu sein. Also verliert der Fußball klar im Duell gegen Rugby. "Fußball wird auch kaum im Fernsehen übertragen. Dadurch fehlt das Sponsoring und es können sich auch keine guten Mannschaften halten. Geschweige denn eine echte Liga", so Gina.

Auf der Pressetribüne: Ein Ultra aus Neuseeland?

Tatsächlich gibt es in Neuseeland auch keine Frauenliga mit einer annähernd professionellen Struktur: "Die sind genug damit beschäftig, den Betreib bei den Männern halbwegs aufrecht zu erhalten."

Doch dass dieses Paar extra ins Stadion reist, um die Mannschaft spielen zu sehen, zeigt, dass die Frauennationalmannschaft aus Neuseeland vielleicht wenige, dafür aber echte und treue Fans hat. Das beweist ganz besonders auch ein weiterer Fan - ausgerechnet auf der sonst so ruhigen und bodenständigen Medientribüne.

Jeremy Ruane: Ein Journalist, den man von weitem als Neuseeländer erkennt. Die blaue Jogginghose trägt er über dem Bauchnabel, die Neuseelandflagge liegt fein ausgebreitet auf seinem Tisch. Auch ein Fernglas und ein Thermometer hat er mitgebracht - und ein großes Herz.

Der Tisch auf der Medientribüne vibriert schon in der Anfangsphase, als Jeremy seinen Frust über zwei frühe mexikanische Tore an seinem Schreibpult auslässt. Fluchend schreibt er an seinem Bericht, immer wieder auf den Monitor starrend, ob die mexikanische Torschützin nicht doch im Abseits stand. Der langhaarige, mexikanische Journalist neben ihm, der das Spiel mit mindestens genauso viel Herzblut verfolgt, trägt nicht zur Beruhigung bei.

Als es nach 80 Minuten immer noch 0:2 steht, scheint sich Jeremy langsam in sein Schicksal zu ergeben. Zum Glück: Von seinen Fingernägeln ist kaum mehr etwas übrig.

Doch plötzlich: Neuseeland schreibt Geschichte

Doch plötzlich wendet sich das Blatt: Der Anschlusstreffer! Und in der Nachspielzeit tatsächlich der Ausgleich für Neuseeland. Jeremey ist außer sich! Er springt auf, lacht und tanzt. Lauthals feiert er seine Neuseeländerinnen. Das Spiel ist zu Ende. Ein Unentschieden. Ein gefühlter Sieg! Und der erste Punkt, den Neuseeland jemals bei einer WM erreicht hat. Schnell greift sich Jeremy seine Fahne und schwingt sie euphorisch hin und her. Er hat Tränen in den Augen. "Seit 25 Jahren begleite ich nun den Frauenfußball in Neuseeland. Das ist das Größte, was ich je erlebt habe!", schluchzt er.

Und so merkt man, dass trotz der vielen Flaggen und Laola-Wellen im Publikum der wahre Fan auf der sonst so seriösen Medientribüne sitzt.

Ein Neuseeländer, der mit ganzem Herzen seine Frauennationalmannschaft unterstützt und nicht der Masse in seinem Heimatland folgt, für die Fußball nur eine Vorbereitung ist für ihren wahren Sport Rugby.

Und vielleicht war dieses Spiel ja genau die richtige Werbung für beide Länder, in denen Frauenfußball einen so schweren Stand hat. Denn sowohl Neuseeland als auch Mexiko zeigten einen tollen Fußball, der nicht nur den Herzblut-Fan auf der Medientribüne mitgerissen hat. Sondern auch die deutschen Zuschauer, die während der Halbzeit am Fanshop reichlich neue Trikots kauften. Unterstützung für Gina, Hans, Beatrice und Michael - die ihres natürlich längst anhatten.

Laura Romano (18) begleitet als DB Schülerreporterin die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011. Während der WM berichtet sie vor Ort von den Spielen in Sinsheim.

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