"Das Leben ist schön!"

SID
Für Japans Torfrau Ayumi Kaihori (l., gegen Abby Wambach) war ihre geringe Größe kein Hindernis
© Imago

Japan ist Weltmeister! Im Endspiel der FIFA-Frauenweltmeisterschaft 2011 holte sich der Außenseiter aus Fernost am Sonntag völlig überraschend den Titel gegen die USA. Nicht nur weil Japans Trainer die Fußballgötter beschwor, erinnerte das Finale an die biblische Geschichte von David gegen Goliath.

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Knapp ein Meter trennte die Japanerinnen von den US-Girls, wenn man die Körpergrößen der Spielerinnen aus beiden Startformationen im WM-Finale 2011 zusammenrechnet. In etwa fünf Köpfe waren die Asiatinnen also kleiner als ihr Gegner. So ungefähr könnten die Größenverhältnisse auch zwischen David und Goliath in der Bibel ausgesehen haben.

Das ewige Duell also: klein gegen groß. Die schmächtigen Japanerinnen gegen die robusten und kopfballstarken Amerikaner. Der unerfahrene Außenseiter, der noch nie in einem WM-Finale stand, gegen die Nummer eins der Weltrangliste. Die schüchternen Mädchen aus Fernost gegen die selbstbewussten Topathleten aus den USA.

Unter dem tosenden Beifall der Zuschauer im ausverkauften Frankfurter Stadion eröffnete Bibiana Steinhaus am Sonntag das endgültig letzte Spiel dieser Weltmeisterschaften - und gab die Arena frei für den ungleichen Kampf.

Fußballriese mit dem besseren Start

Tatsächlich begann das Spiel mit einer Demonstration der Stärke Goliaths. Chance um Chance erarbeitete sich der Fußballriese aus Amerika. Die kleinen Davids aus Japan hatten große Probleme mit dem athletischen Auftreten des US-Teams. Sie überstanden jedoch die erste Hälfte ohne Gegentor.

Vor allem eine japanische Spielerin wuchs dabei über sich hinaus, im wahrsten Sinne des Wortes. Ayumi Kaihori, mit gerade einmal 1,70 Metern eine der kleinsten Torhüterinnen des gesamten Turniers, machte das Spiel ihres Lebens.

Immer wieder fischte sie Flanken der Amerikanerinnen aus der Luft, parierte mehrmals gegen die US-Hünin Abby Wambach und profitierte von ihrer herausragenden Sprungkraft und ihrem guten Timing. Sie war es auch, die noch zur Heldin des Spiels werden sollte.

Die ganze Partie schien extra dafür einem perfekten Drehbuch zu folgen. 120 Minuten, die an Spannung kaum zu überbieten waren - mit den dramatischen Höhepunkten nach der Pause: Tor USA Anfang der zweiten Halbzeit, Ausgleich Japan kurz vor Spielende. Verlängerung! Tor USA, Ausgleich Japan. Wieder kurz vor Schluss! Rote Karte Japan. Elfmeterschießen! Schöne Treffer, rassige Zweikämpfe und tolle Kombinationen: Ein Highlight jagte das nächste. Den Zuschauern stockte immer wieder der Atem.

Japan rettet sich in letzter Sekunde

Wie immer hielten sich die Japanerinnen dabei in ihrem Angriffsspiel zunächst zurück und verfolgten mit einer Engelsgeduld ihren teuflischen Plan: die Fehler des Gegners gnadenlos auszunutzen. Und das taten sie auch. Nach zwei Patzern der US-Abwehr traf der Außenseiter zwei Mal und rettete sich erst in die Verlängerung und dann ins Elfmeterschießen.

Und dort schlug endgültig die große Stunde der kleinen Ayumi Kaihori. Die Japanerin parierte zwei Strafstöße glänzend, avancierte zur Heldin des Abends und krönte ihre herausragende Leistung mit dem Weltmeistertitel. Die Sensation war perfekt!

Schon in der Bibel behielt der kleine David gegenüber dem großen Goliath die Nerven und gewann. Genauso auch Japan. Der Fußballzwerg, den vor dem Turnier kaum einer auf der Rechnung hatte, nutzte seine Außenseiter-Chance und machte sich zum neuen Weltmeister.

"Wir haben immer an uns geglaubt"

"Ich habe bei den Strafstößen einfach auf meine Intuition vertraut und sie hat mich nicht im Stich gelassen. Ich habe heute einfach an mich selbst geglaubt und wollte die Schüsse parieren", sagte Kaihori nach dem Spiel.

So richtig begreifen konnte sie ihre Heldentat aber selbst noch nicht: "Ich kann es noch nicht fassen, dass dieser Traum wahr geworden ist. Aber wir haben nie aufgegeben und immer an uns geglaubt", strahlte die 24-Jährige mit den schmalen Schultern.

Und zeigte noch einmal ihre wahre Größe, indem sie ihren persönlichen Triumph den Landsleuten widmete: "Ich hoffe, dass die Menschen, die von der Katastrophe in Japan betroffen sind, durch unseren Sieg neue Hoffnung und Mut sammeln. Wir haben gezeigt, wie wichtig es ist, nie aufzugeben und immer weiter zu kämpfen."

USA zollt "David" Japan Respekt

Auch die gefallenen Riesen aus den USA zollten den tapferen und bescheidenen Siegern Respekt. Obwohl Mittelfeldspielerin Carli Lloyd einräumte, dass die überraschende Niederlage nach zweimaliger Führung ein Schock für sie war, konnte sie dem Ergebnis noch etwas Positives abgewinnen: "Ich freue mich für Japan, auch wegen der schwierigen Situation im Land nach dem verheerenden Tsunami."

Torhüterin Hope Solo brachte ihre Gefühlslage noch philosophischer auf den Punkt: "Wir waren so nah dran - und sind nun doch so weit weg. Aber so ist das Leben. Und das Leben ist doch schön!"

Das Fazit des Abends aber lieferte Japans Trainer Norio Sasaki: "Die Fußballgötter haben uns heute geholfen. Deshalb widmen die Mädchen diesen Sieg den Menschen in Japan. Unsere Spiele wurden dort im Fernsehen übertragen. Und wir konnten den Menschen zu Hause mit unserer Art Fußball zu spielen neue Hoffnung geben. Das haben wir aus der Heimat gehört."

Auch wenn die Japanerinnen körperlich unterlegen waren, hat dieses Mal nicht die Physis sondern der Glaube das Spiel entschieden. Wie damals bei David gegen Goliath.

Josef Opfermann (17) begleitet als DB Schülerreporter die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011. Während der WM berichtet er vor Ort von den Spielen in Wolfsburg.