EM

Die Zeit der Rentner ist vorbei

Von Tim Habicht
Erik Pieters (l.) und Gregory van der Wiel: Zusammen schon 362 Erstligaspiele auf dem Buckel
© Imago

Die deutsche Nationalmannschaft spielt in der EM-Gruppenphase gegen den Nachbarn aus Holland. Deutschlands starke Offensive trifft auf die gewohnt schlechte niederländische Abwehr - oder etwa nicht? Sechs Talente sind auf dem Weg, die holländische Defensive zu stärken. Doch wie gut ist die neue Abwehr-Generation der Niederlande wirklich? Im Test gegen England (21 Uhr im LIVE-TICKER) darf sich ein Spieler bereits beweisen.

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Gregory van der Wiel

Alter: 24 Jahre

Position: Rechter Verteidiger

Ausgangslage: Die mit großem Abstand bekannteste niederländische Abwehr-Hoffnung ist längst kein Geheimtipp mehr. Mit 24 Jahren war Gregory van der Wiel bereits ein fester Bestandteil von Champions-League-Teilnehmer Ajax Amsterdam und der niederländischen Nationalmannschaft. 181 Spiele für Amsterdam wettbewerbsübergreifend und 29 Länderspiele hat der Rechtsverteidiger auf dem Buckel. "Er spielt schon Jahre auf einem hohen Niveau", weiß auch sein derzeitiger Trainer Frank de Boer. Sein Debüt in der Elftal gab van der Wiel mit 21 Jahren im Freundschaftsspiel gegen Tunesien. Nun steht der nächste Karriereschritt bevor: Ein Wechsel ins Ausland. Der FC Valencia hat sich ab kommendem Sommer die Dienste von van der Wiel gesichert und rund neun Millionen Euro für ihn auf den Tisch gelegt. Die laufende Saison beendet er noch in den Niederlanden. Derzeit laboriert der Rechtsverteidiger allerdings an Leistenproblemen und muss pausieren.

Spielweise: Gregory van der Wiel ist vor allem eines: Ein offensiver Verteidiger. Er hat in seinen 121 Einsätzen in der Eredivise für Ajax zehn Tore erzielt und 13 Treffer vorbereitet. Seine extreme Antrittsschnelligkeit und seine präzisen Flanken gehören zu seinen Waffen. Der Drang zum Tor ist allerdings auch seine größte Schwäche. Wenn er auf einen hochklassigen Gegenspieler trifft (wie beispielsweise Iniesta und Capdevilla im WM-Finale 2010), der ihn kaum offensiv zur Entfaltung kommen lässt, hat er Probleme in der Defensive.

Zukunftsaussichten: Für die niederländische Nationalmannschaft ist Gregory van der Wiel ein Segen. Vor ihm verteidigten entweder der unkonstante Khalid Boulahrouz oder der Notnagel Andre Ooijer auf der rechten Seite. Mit van der Wiel hat man jetzt einen gelernten Rechtsverteidiger auf internationalem Niveau im Aufgebot. Zudem wird sich der 23-Jährige beim FC Valencia weiter entwickeln. Das freut auch Bondscoach Bert van Marwijk: "Ich kann nur zufrieden sein mit Greg." Rosige Aussichten für die Elftal auf der Rechtsverteidigerposition also. Doch wehe, wenn sich der Amsterdamer einmal verletzt. Hinter van der Wiel klafft eine große Lücke. Denn aus der Jugend der niederländischen Vereine rückt momentan auch kein gescheiter Rechtsverteidiger nach. Dann müsste "der Kannibale" wieder einspringen.

Erik Pieters

Alter: 23 Jahre

Position: Linker Verteidiger

Ausgangslage: Erik Pieters ist mit 23 Jahren beinahe schon ein Arrivierter im Team von Bert van Marwijk. 14 Einsätze im Oranje-Trikot kann der Spieler von der PSV Eindhoven vorweisen. Dazu insgesamt 136 Einsätze in der Eredivise. Die PSV überwies 2008 2,5 Millionen Euro Ablöse an den FC Utrecht für den linken Verteidiger. Derzeit lässt Premier-League-Aufsteiger Newcastle United den jungen Niederländer beobachten. Nach einem Mittelfußbruch im vergangenen Herbst ist Pieters wieder zurück und gab im vergangenen Topspiel gegen Feyenoord Rotterdam sein Comeback als Einwechselspieler. Außerdem steht Pieters im Aufgebot beim Testspiel gegen England (Mi., 21 Uhr im LIVE-TICKER).

Spielweise: Der PSV-Spieler ist nicht nur ein reiner Linksverteidiger. Er ist flexibel einsetzbar in der Defensive und half bereits als Innenverteidiger in seinem Klub aus. Doch auch eine Station weiter vorne, im linken Mittelfeld, kann der 23-Jährige auflaufen. Er ist mit 1,86 Meter durchaus groß gewachsen für einen Außenverteidiger und setzt dies gut ein. Im Kopfballspiel hat er seine Stärken. Dazu zeigt er - gewohnt holländisch - in der Offensive, im Passspiel und in der Technik seine Stärken. Für ihn gilt wie für van der Wiel: Defensiv muss Pieters noch einiges zulegen, um europäischen Topstars gewachsen zu sein. Er spielt genauso geradlinig und kompromisslos wie er sich abseits des Platzes gibt: In einem Interview mit dem "Telegraaf" gestand er: "Ich bin und bleibe ein Bauernjunge aus Enspijk - und daran ist nichts verkehrt."

Zukunftsaussichten: Nach dem WM-Finale 2010 beendete der ewige Linksverteidiger Giovanni van Bronckhorst seine Karriere. Heißt: Links hinten ist ein Platz bei Oranje frei, der unbedingt belegt werden muss. Pieters gab nach der WM im Testspiel gegen die Ukraine sein Debüt in der Nationalelf - und wusste durchaus zu überzeugen. Auch wenn die große internationale Bühne etwas ungewohnt für ihn war: "Am Anfang war es bei Oranje etwas merkwürdig, weil ich plötzlich mit Spielern wie Sneijder, Robben, van Persie und van Bommel auf dem Platz stand. Das sind Spieler, die ich als Kind selbst anfeuerte und noch immer auf der PlayStation spiele."

EM-Gruppe B: Deutschland trifft auf die Niederlande

Sein Respekt ist also groß und er selber weiß am besten, wie schwer es ist, in der Nationalmannschaft Fuß zu fassen: "Es ist an mir, zu zeigen, dass der Bondscoach keine andere Möglichkeit hat, als mich spielen zu lassen." Derzeit muss Pieters allerdings pausieren. Er hat sich den Mittelfuß gebrochen. Momentan vertritt ihn in der Nationalmannschaft der Hoffenheim-Verteidiger Edson Braafheid. Der hat seine Aufgabe zwar ordentlich erledigt, enttäuschte beim Rückrundenstart der Bundesliga aber auf ganzer Linie. Natürlich ist fraglich, ob Pieters nach seiner langen Verletzung schnell zurück zu alter Form finden kann. Aber wenn der 23-Jährige fit ist, ist er deutlich stärker als Braafheid.

Jetro Willems

Alter: 17 Jahre

Position: Linker Verteidiger

Ausgangslage: Jetro Willems ist eines der größten Talente überhaupt im niederländischen Fußball. Der Linksverteidiger spielt regelmäßig bei der PSV Eindhoven (14 Ligaspiele) und legte eine großartige U-17-EM 2011 hin. Mit der niederländischen U-17-Auswahl holte er den EM-Titel souverän nach einem 5:2-Sieg gegen Deutschland. Und Willems schaltete niemand geringeren als das Bayern-Juwel Emre Can aus. Nicht umsonst ist Manchester United offenbar heiß auf den 17-Jährigen. Der Bruder von Sir Alex Ferguson soll den in Rotterdam geborenen Spieler bereits mehrfach beobachtet haben.

Spielweise: Willems ist ein typischer Außenverteidiger: Mit 1,70 Meter klein gewachsen. Dafür wieselflink und antrittsschnell. Trotz seiner schmächtigen Statur und seiner erst 17 Jahre ist er körperlich sehr präsent. Er verfügt bereits über ein tolles Stellungsspiel und antizipiert sehr gut. Seine Spielanlage und -eröffnung erscheint äußerst reif. Erwachsen wirken auch seine Aussagen in der niederländischen Presse: "Wenn du frisch im Kopf bist, dann hast du auch die Kraft in den Beinen und kannst ein gutes Spiel machen." Natürlich fehlt dem 17-jährigen Niederländer noch die Abgebrühtheit und Cleverness eines Giovanni van Bronckhorst. Und auch an seinen Flanken bzw. an seinem gesamten Offensivspiel muss Willems noch arbeiten. Eine Torvorlage in derzeit 16 wettbewerbsübergreifenden Einsätzen ist eindeutig zu wenig für einen modernen Außenverteidiger.

Zukunftsaussichten: Rosig! Willems spielt seine erste Saison in der Eredivisie, erhält aber schon beachtliche Einsatzzeiten für einen 17-Jährigen. In der U 17 bzw. jetzt U 19 ist er eine feste Größe. Für die linke Abwehrseite hat die Niederlande zwar eine erstaunlich große Auswahl (Braafheid, Pieters, Burnet), doch niemand hat ein so großes Potential wie Willems. Für seine Entwicklung wäre es das beste, wenn er noch in der heimischen Liga Erfahrung sammelt und dort zum absoluten Stammspieler reift, bevor er den Weg ins Ausland antritt. Aber wenn er sich stetig verbessert und körperlich zulegt, führt kein Weg an Jetro Willems vorbei.

Teil 2: Die Nobodies: Blind, Viergever und Burnet